Brief an Elisabeth Röttsches

Die Buchhändlerin

Ihre Welt ist eine leise Welt aus Worten und Geschichten und Träumen, eine Insel, abgeschottet vom Alltag. Eine Buchhandlung mit Charakter. Inzwischen gibt es dort weniger Bücher, dafür ein Café mit 20 Sitzplätzen.

06.01.2018, 04:22 Uhr / Lesedauer: 3 min
Elisabeth Röttsches

Elisabeth Röttsches © Bettina Engel-Albustin / Fotoage

Liebe Elisabeth Röttsches,

Sie hätten mir gar nicht erzählen müssen, dass Sie jeden Tag gern zur Arbeit gehen, dass Sie sich nichts anderes vorstellen können, als Buchhändlerin zu sein. Um Ihre Begeisterung für den Beruf zu spüren, reicht es aus, wenn Sie von Ihrem neu gegründeten Literaturhaus Herne Ruhr mit dem Café und der Alten Druckerei schwärmen, wenn die Namen Ihrer Lieblingsautoren und -romane aus Ihnen heraussprudeln, wenn Sie zu Beginn der Lesungen voller Vorfreude auf der Bühne stehen, Ihre Schriftsteller und Gäste begrüßen.

Es ist Ihre Welt, eine leise Welt aus Worten und Geschichten und Träumen, eine Insel, wohltuend abgeschottet vom hektischen Alltag, in dem wir uns selbst überholen; und doch ist die Insel mittendrin, denn wer könnte unsere Zeit, unsere Gesellschaft besser spiegeln, wer könnte die Vergangenheit, aus der wir lernen, eindrucksvoller festhalten, die Zukunft kreativer fantasieren als Autoren mit ihren Büchern.

Filialen der Ketten sind genormte Geschäftsmodelle

Die Filialen der Buchhandelsketten sind – auch wenn Sie es selbst nie sagen würden – vielfach genormte Geschäftsmodelle; links vom Eingang stehen die Tische mit Krimis und erotischen Romanen, dahinter die Regale mit Bestsellern direkt neben der Kasse – und auf der anderen Seite jede Menge Geschenkartikel, die mit Literatur wenig gemein haben, sich aber gut verkaufen.

Ich mag eher Buchhandlungen mit Tradition, mit Familienstolz, mit Stammkundschaft, mit einem Hauch von Nostalgie und schönen Erinnerungen, weil ich mir in einer solchen Buchhandlung mein erstes Kinderbuch aussuchen durfte, das ich irgendwann meinen Enkeln vorlesen möchte. Ich mag es, wenn mich die Inhaber oder ihre Mitarbeiter persönlich beraten, Menschen, die ich kenne, deren Empfehlungen ich vertraue, mit denen ich später über den Roman diskutieren kann.

Ein Drittel des Ladens wurde zum Café

Seit 40 Jahren führen Sie in vierter Generation die Buchhandlung, gemeinsam mit Bruder Ludger. Sie beide hatten im März 2016 den Mut, ein Drittel der Verkaufsfläche und das Schreibwaren-Angebot für ein gemütliches Café aufzugeben, mit 20 Sitzplätzen, mit Kuchen aus einer Bäckerei, mit einer Kaffeemaschine, die zischt, dampft und faucht. Es ist eine Oase in der Oase, zum Genießen, Lesen, Reden.

Hinter der Buchhandlung, quasi in zweiter Reihe, getrennt durch einen Innenhof mit Pflastersteinen und Bäumen, haben Sie den Raum, in dem einst Großvater Josef die Tageszeitung drucken ließ, mit Liebe zum Detail zu einem Veranstaltungsort im Literaturhaus umgebaut: die neue „Alte Druckerei“ mit Bühne und mächtigen Vorhängen, mit Balken unter der Decke und einer Sitzecke mit Sofa und Sesseln, mit großen Fenstern und viel Kerzenlicht, mit Büchertisch und kleiner Theke; hier lesen bekannte und weniger bekannte Autoren, halten Fachleute Vorträge und leiten Workshops.

Liebe Elisabeth Röttsches,

Ihre Welt hat sich in 40 Jahren verändert. Früher gab es gerade mal eine Handvoll guter Krimi-Autoren, heute werden wir von Romanen mit Mord und anderen Verbrechen erschlagen. Erotische Romane wurden nur unter der Ladentheke verkauft, nach Fifty Shades of Grey liegt das geheime Verlangen plakativ auf Büchertischen. Und Winnetou und Old Shatterhand sprechen längst nicht mehr die Sprache unserer Kinder. Auch wenn bei Ihnen die Bestseller einen bevorzugten Platz haben, machen Sie nicht jeden Trend mit. Sie haben mir erzählt, dass auf Ihrem Nachttisch immer zwei Bücher liegen, geschrieben nicht nur von Erfolgsautoren. Ihre erlesenen Geheimtipps geben Sie an Ihre Kunden weiter. Auch das macht Ihre Welt so wertvoll.

Mit besten Grüßen
Hermann Beckfeld