Brief an Alexis Sorbas

Beckfelds Briefe

„Nun verstand ich, was Du dem Schriftsteller und mir sagen willst“ - Chefredakteur Herrmann Beckfeld schreibt diese Woche über das, was ihn der griechische Schriftsteller Alexis Sorbas lehrte.

13.01.2018, 05:04 Uhr / Lesedauer: 3 min
Der Tanz im Sand: eine Szene aus dem Film Alexis Sorbas, die Herrmann Beckfeld nachdrücklich beeindruckt hat. Foto: dpa

Der Tanz im Sand: eine Szene aus dem Film Alexis Sorbas, die Herrmann Beckfeld nachdrücklich beeindruckt hat. Foto: dpa

Lieber Sorbas,

lange, zu lange ist es her, da gaben der Fahrplan der Fähren und das Fernweh meinen Kurs vor. Wie Du saß ich im Hafen von Piräus in einer Taverne, wie Du entschied ich mich für das Schiff nach Kreta. Damals hatte ich mehr Zeit als Geld, heute ist es umgekehrt. Ich verzichtete auf eine Kabine, rollte auf dem Oberdeck meinen Schlafsack aus. Bei Brot, Käse und Wein las ich den Roman von Nikos Kazantzakis, las Deine Geschichte; die Geschichte von Alexis Sorbas, dem Landarbeiter und Lebenskünstler, der die Frauen und die Freiheit, das Meer und die Inseln, den Wein und das Essen liebte.

Unbeschwerte Tage, verschlafene Dörfer

Es wurde dunkel, die Sterne gaben nicht mehr genug Licht, und ich konnte nicht weiterlesen, aber träumte in der Nacht von Deinen Abenteuern, die auch meine sein sollten; ich träumte von unbeschwerten Tagen, verschlafenen Dörfern, einsamen Stränden, vom Sirtaki im Sand und von noch viel mehr.

Mehr als 40 Jahre sind seitdem vergangen, und ich bin froh, dass ich das Träumen nicht verlernt habe. Im Bücherregal eines Hotels in Österreich entdeckte ich am Silvestertag den Bestseller von einst. Die Seiten mit der kleinen Schrift waren vergilbt, jemand hatte auf Seite 3 unter dem Hotelstempel mit einem Bleistift Kaufdatum und -preis eingetragen: 1.10.69, 16,80 Schilling.

Nichts Wertvolleres als die Freiheit

Ich habe den Roman in einem Zug noch einmal gelesen. Viele Deiner Sätze, Deiner Weisheiten, Deiner Reaktionen hatten mich als junger Inselhüpfer überfordert. Nun verstand ich, was Du dem Schriftsteller und mir sagen willst: Dass es nichts Wertvolleres gibt als die Freiheit, die Unabhängigkeit, die Liebe und die Freundschaft; dass es sich immer lohnt zu kämpfen; dass die wahre Freiheit darin besteht, das Leben mit allen Freuden und Katastrophen so zu nehmen, wie es ist, und das Beste aus jeder Situation zu machen. Als Eure Seilbahn und der Traum vom eigenen Braunkohlebergwerk in Trümmern liegen, ist es der Schriftsteller und Pächter der Kohlemine, der Dich am Strand bittet: Lass uns den Sirtaki tanzen.

Sirtaki im Sand

Was für eine Szene im Buch und in meinem Lieblingsfilm. Du ziehst die Jacke aus, krempelst die Ärmel hoch, breitest die Arme aus, als wolltest Du die ganze Welt umarmen. Ihr beginnt zu tanzen, Seite an Seite. Erst schlurfen Eure Füße durch den Sand, dann wird die Musik immer lauter, immer schneller, und Ihr wirbelt herum, lacht, könnt Euer Glück kaum fassen. Und hinter Euch rauscht das Meer, vor Euch erhebt sich die griechische Berglandschaft.

Zwei Männer, zwei Freunde. Der gebildete, aber lebensunerfahrene und häufig grübelnde Basil, wie der Autor im Film heißt und doch Nikos Kazantzakis selbst ist. Und Du, sein Vorarbeiter, der Vagabund, der nie eine Schule besucht hat; ein Schlitzohr und Charmeur; einer, der genießt, über die Stränge schlägt, aber auch malochen kann. Dein Motto gefällt mir: Das Leben lieben, den Tod nicht fürchten.

Mehr als eine Million verkaufte Bücher

Es gab Dich wirklich. Als Georgios Sorbas lernte Nikos Kazantzakis Dich auf dem heiligen Berg Athos kennen. Nach Deinem Tod im Jahr 1942 hat der griechische Schriftsteller Eure gemeinsamen Erlebnisse in einem Roman verarbeitet. Er änderte Deinen Namen, verlegte die Handlung vom Festland auf die Insel Kreta.

Allein in Deutschland hat der Rowohlt Verlag mehr als eine Million Bücher verkauft. 1964 kam der Film, kam die Geschichte von Dir, von der gealterten Madame Hortense, der verführerischen Dorfwitwe Surmelina und den Klageweibern in die Kinos. Er wurde ein Kassenschlager, ausgezeichnet mit drei Oscars.

Nikos Kazantzakis erlebt die Premiere nicht mehr; Dein Freund war sieben Jahre zuvor gestorben.

Lieber Sorbas,

Anthony Quinn, der Dich im Film spielte, gab Dir ein Gesicht. „Ich bin Sorbas und Sorbas ist ich“, sagte der Schauspieler. Nächsten Samstag werde ich ihm einen Brief schreiben. Der Tanz geht weiter.

Mit besten Grüßen

Hermann Beckfeld