Benedikt XVI. und das Ende der deutschen Vorherrschaft im Vatikan

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Benedikt XVI. und das Ende der deutschen Vorherrschaft im Vatikan

rnKatholische Kirche

Das Ende der eindrucksvollen Fülle deutscher, kirchlicher Macht im Vatikan kommt krachend. Der Absturz ist gewaltig. Eine Analyse.

von Andreas Englisch

Vatikanstadt

, 25.02.2022, 15:11 Uhr / Lesedauer: 4 min

Das Symbol des Untergangs der deutschen Übermacht im Vatikan ist jeden Morgen für viele Augenpaare zu sehen. Dann macht sich der Mann auf den Weg, der als Inbegriff für die Epoche der deutschen Kontrolle des Vatikans gilt. Es ist Erzbischof Georg Gänswein, den Papst Franziskus im Januar 2020 aus seinem Job als Präfekt des päpstlichen Hauses feuerte, der langjährige Sekretär von Papst Benedikt XVI. Der Deutsche galt als nahezu allmächtig in der Schaltzentrale der Macht.

Morgens verlässt er seine Wohnung in dem Komplex, der im Vatikan scherzhaft „Alt Santa Marta“ genannt wird. Es ist ein Wohnblock neben der Audienzhalle, die den Namen Papst Paul VI. trägt. Gänswein muss über den Platz vor dem Komplex des neuen Santa Marta Gebäudes, dem Gästehaus, in dem Papst Franziskus wohnt.

Georg Gänswein galt als nahezu allmächtig im Vatikan.

Georg Gänswein galt als nahezu allmächtig im Vatikan. © dpa

Alle, die dort jetzt herrschen, haben die deutsche Übermacht erlebt und viel erlitten. Jahrzehntelang (von 1981 bis 2005) regierte mit eiserner Faust der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre Joseph Ratzinger die katholische Welt und drangsalierte die Freunde von Papst Franziskus, die fast alle die Theologie der Befreiung unterstützten. Die Wunden, die jahrelang die deutsche Übermacht geschlagen hatte, sind tief.

Doch diese Übermacht ist gebrochen. Das Münchener Missbrauchsgutachten samt der Anschuldigen an den Papst hat die Ratzinger-Connection im Vatikan endgültig entmachtet. Und damit hat auch der konservative Flügel im Vatikan, der über Jahrzehnte die reine Lehre gegen Reformen verteidigte, entscheidend an Macht verloren.

Eine schallende Ohrfeige von Papst Franziskus

Die letzte Chance, um nach dem Skandal um Joseph Ratzinger wenigstens einen würdevollen Abgang im Vatikan hinzubekommen, sah die Gruppe um den emeritierten Papst in einem Machtwort von Papst Franziskus. Er hätte sich vor seinen Vorgänger stellen müssen. Doch der Papst dachte nicht daran. Das wog deswegen so schwer, weil nach der Veröffentlichung des Gutachtens namhafte Kritiker den deutschen Papst sogar der Lüge bezichtigten. Eigentlich ging das zu weit, jetzt hätte Papst Franziskus einschreiten müssen, doch er sagte nichts. Als er am 9. Februar während der Generalaudienz endlich redete, war das ein noch schlimmerer Schlag für die Deutschen als sein Schweigen. Joseph Ratzinger hatte sich in seiner Erklärung vom Vortag verteidigt und erklärt, dass seine „Freunde“ für die Fehler verantwortlich seien. Jetzt hätte der Papst darauf eingehen und klar sagen müssen, dass er nie an der Rechtschaffenheit des Joseph Ratzinger gezweifelt habe. Hätte er. Stattdessen lobte er, wie schön Joseph Ratzinger über das Tor des Todes geredet habe. Das kam einer Ohrfeige gleich.

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Das Ende der eindrucksvollen Fülle deutscher, kirchlicher Macht kommt krachend. Der Absturz ist gewaltig. Neben Papst Joseph Ratzinger war im Vatikan Kardinal Gerhard Ludwig Müller zum Chef der Glaubenskongregation aufgestiegen. An der Schaltstelle des Dialogs mit den übrigen christlichen Kirchen und dem Judentum saß im Vatikan Walter Kasper. Die sozialen Belange des Vatikans bearbeitete Kardinal Josef Cordes, die konservative Front unterstützte im Vatikan der Historiker Kardinal Walter Brandmüller.

Das Bild aus 2012 zeigt neben Papst Benedikt XVI James Michael Harvey. An ihm zeigt sich die mitunter willkürliche Machtausübung Benedikts.

Das Bild aus 2012 zeigt neben Papst Benedikt XVI James Michael Harvey. An ihm zeigt sich die mitunter willkürliche Machtausübung Benedikts. © picture alliance / dpa

Wie allmächtig sich die deutsche Führungsriege im Vatikan fühlte, zeigte sich bei der „Operation Gänswein“. Im Herbst 2012 beschloss Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt und inszenierte ein einzigartiges Gemauschel, um dem Wunsch seines Sekretärs nachzukommen, einen wichtigen Posten nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zu behalten. Georg Gänswein wollte den mächtigen Posten des Präfekten des päpstlichen Hauses, was ihm auch nach dem Ende der Ära Ratzinger, die im Februar 2013 kam, Macht im Vatikan sichern würde. Das Problem bestand darin, dass der Posten vergeben war, an den US-Amerikaner James Michael Harvey. Der war zudem mit seinen 62 Jahren noch weit entfernt von der Pensionierungsgrenze, dem 75. Lebensjahr. Also musste er weg.

Eskapaden der Macht

Joseph Ratzinger setzte eine Sonder-Kardinalsernennung durch und machte James Michael Harvey zum Kardinal. Damit konnte er ihn loswerden, er schob er ihn in die Basilika des Heiligen Paulus in Rom ab. Doch dazu musste er eine Regel des Vatikans brechen, denn der Posten ist als ein Alterssitz für Kardinäle reserviert, die über 75 Jahre alt sind. Das hinderte den Papst aber nicht daran, seinen Plan umzusetzen, obwohl klar war, dass der Vatikan so viel willkürliche Machtausübung kaum gutheißen konnte. Georg Gänswein bekam den Posten von Harvey und wurde zudem zum Erzbischof geweiht.

Mit Franz Peter Tebartz-van Elst bekleidet nur ein einziger deutscher Bischof ein aktives Amt in einer päpstlichen Abteilung.

Mit Franz Peter Tebartz-van Elst bekleidet nur ein einziger deutscher Bischof ein aktives Amt in einer päpstlichen Abteilung. © picture alliance / Rolf Vennenbernd/dpa

Solche Eskapaden der Macht sind vorbei. Um das Ausmaß des Untergangs der Deutschen zu begreifen, reicht es, aufzulisten, welcher Deutsche zurzeit noch Macht im Vatikan hat. Zurzeit bekleidet nur ein einziger Bischof ein aktives Amt in einer päpstlichen Abteilung, das ist ausgerechnet Bischof Franz Peter Tebartz-van Elst. Der mit Schimpf und Schande aus seiner Heimatdiözese Limburg verjagte van Elst dient nun wirklich nicht als glorreicher Vertreter deutscher kirchlicher Tradition, zumal er im Vatikan nicht einmal eine klar umrissene Aufgabe hat. Neben ihm gibt es nur noch Pater Markus Graulich in der Abteilung der Gesetzestexte, Udo Breitbach bei der Bischofskongregation und den Sekretär der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Pater Norbert Hoffmann. Das war es. In das Debakel, das zurzeit den im Vatikan spöttisch „der Emeritus“ genannte Joseph Ratzinger erlebt, kannW kein Deutscher mehr eingreifen, weil keiner mehr da ist.

Die Krise um Joseph Ratzinger managen jetzt ganz andere Leute. Allen voran der mächtigste Medienmann der Kirche, Andrea Tornielli, ein persönlicher Freund von Papst Franziskus, der wieder einmal zu wenig Zeit für seine Familie in Mailand hat, weil im Vatikan eine Krisensitzung im Fall Ratzinger die andere jagt.

Der klägliche Rest der deutschen Macht im Vatikan

Unterdessen versuchen die Männer, die zum kläglichen Rest der deutschen Macht im Vatikan gehören, zu retten, was zu retten ist. Verzweifelt versuchen alte Ratzinger-Gefolgsleute jetzt ausgerechnet einer der ältesten Feinde des „Emeritus“ auf ihre Seite zu ziehen, Kardinal Walter Kasper. Der ist nach einer schweren Operation zwar wieder zu Hause, hat aber die Angewohnheit, sein Handy in seiner Wohnung abzustellen und sein Fax einzuschalten, wenn er nicht genervt werden will. Somit ist es zurzeit nur schwer zu erreichen. Der Kardinal gehört immer noch zu den Schwergewichten im Vatikan, Papst Franziskus schätzt ihn sehr. Doch die Kränkungen, die Joseph Ratzinger Walter Kasper zufügte, sind nie wirklich verheilt. Der mächtige Chef der Glaubenskongregation Ratzinger putzte den ehemaligen Stuttgarter Bischof Kasper sofort nach dessen Ankunft im Jahr 1999 in Rom herunter, als nicht katholisch, als jemand, der die Lehrmeinung der Katholischen Kirche nicht vertritt. Walter Kasper hat das vermutlich verziehen, aber sicher nicht vergessen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass er sich schützend vor Ratzinger stellt. Die Bruderschaft des deutschen Friedhofs im Vatikan, dem Campo Santo, gehört zu dem besonders harten Kern der Ratzinger Anhänger. Sie hoffen darauf, dass der ausgezeichnet beleumdete Christoph Schönborn in der Krise Joseph Ratzinger zur Seite steht.

Benedikt XVI. spricht von seinem bevorstehenden Tod

Die Zeit drängt, Benedikt XVI. spricht selber von seinem bevorstehenden Tod. Seit Monaten schon können Besucher nur noch mit Mühe verstehen, was der „Emeritus“ sagt. Eine Delegation eines großen deutschen Lebensmittelherstellers beklagte, dass Georg Gänswein die Worte des Papstes mittlerweile „übersetzen“ müsse. „Joseph Ratzinger kann sich etwas dreißig Minuten konzentrieren, dabei fallen ihm immer wieder mal die Augen zu, aber er versteht alles. Er liest und schreibt noch, informiert sich über neue theologische Bücher und bestellt sie auch. Es gibt keinen Zweifel, dass er versteht, was um ihn herum geschieht“, sagte ein Besucher, der vor kurzem bei Joseph Ratzinger war, dem RND.

Den Deutschen im Vatikan bleibt jetzt nur noch eins: Zu versuchen, irgendetwas vom Lebenswerk des deutschen Papstes zu bewahren.

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