Für die Kirche sind es bewegte Zeiten. Während der Corona-Pandemie ist vieles schläfriger geworden, der Missbrauchsskandal tut ein Übriges. Besuch in einer Kirchengemeinde in Castrop-Rauxel.

von Dirk Berger

Castrop-Rauxel

, 25.02.2022, 13:50 Uhr / Lesedauer: 4 min

Die katholische Kirche wirkt im Großen und im Kleinen, sie ist derzeit im übertragenen Sinne eine Baustelle, und auch die beschauliche Kirche der Gemeinde „Zu den Heiligen Schutzengeln“ im Castroper Stadtteil Frohlinde ist eine – aber eine ganz reale. Die Bauarbeiter dengeln am Eisengeflecht, ein Schacht ist ausgehoben, in Kürze soll dort eine neue Sakristei die alte ersetzen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass in der Gemeinde Bewegung ist. Ja, die Zeiten sind bewegt.

Für 1.500 Katholiken ist die Gemeinde zuständig, sie ist spirituelle Anlaufstelle in Zeiten der Corona-Pandemie, die nicht nur direkt Erkrankten, sondern auch dem sozialen Miteinander so viel Schaden zugefügt hat. Der Missbrauchsskandal tut ein Übriges, man kann nicht drüber hinwegsehen. Michael Wefringhaus, Vorsitzender des Gemeindeausschusses, und seine Stellvertreterin Ulrike Hartwig sitzen im Gemeindesaal und wirken fest im Glauben angesichts solch großer Krisen. Machen, was geht, scheint die Devise.

Neben der Kirche entsteht eine gut 40 Quadratmeter große Sakristei. Rund 500.000 Euro sind dafür veranschlagt.

Neben der Kirche entsteht eine gut 40 Quadratmeter große Sakristei. Rund 500.000 Euro sind dafür veranschlagt. © Stephan Schütze

Baulich geht es schon mal voran. „Die alte Sakristei bot zu wenig Platz für Priester, Messdiener, Küster, Organisten“, erklärt Wefringhaus. An den Strebpfeilern der 1903 erbauten Kirche zu den Heiligen Schutzengeln hätten sich ohnehin Baumängel ergeben, nun nutze man die Sanierungsarbeiten, um gleich noch eine gut 40 Quadratmeter große Sakristei anzubauen, die nun ausreichend Platz biete. Die alte werde zu einem Beichtzimmer umgestaltet. Von den Kosten in Höhe von etwa 500.000 Euro übernehme das Bistum Paderborn 70 Prozent, 30 Prozent tue die Gemeinde dazu. Im Jugendheim nebenan renoviert die Kolpingfamilie den Versammlungsraum auf eigene Kosten. Elektrik, Decken, Wände: „Wir machen alles selbst.“ Wie es so ist: In einer großen Familie finden sich immer Spezialisten. Das Mitanpacken sei gerade jetzt wichtig.

Mit kreativen Ideen gegen die Corona-Schläfrigkeit

Alles ist matter, schläfriger geworden, vieles war verboten während der letzten zwei Corona-Jahre. „Wir wollten nicht schlafen“, sagt Ulrike Hartwig. Es sind kleinere und größere Veranstaltungen, mit denen sie werben, mit denen sie die Gemeindemitglieder ansprechen wollen. Erstmal musste der sonntägliche Gottesdienst coronaverträglich organisiert werden, mit Kontrollen etc. „Dadurch, dass wir 1,50 Meter Abstand zwischen den Teilnehmern einhalten mussten, hatten wir nur noch Platz für 40 Besucher“, so Wefringhaus. „Wir haben daher an den Samstagabenden vorher noch einen Wortgottesdienst veranstaltet“, fügt Hartwig an, „zu dem etwa 30 Teilnehmer gekommen sind.“

So hielt man die Gruppe zusammen, bot weiterhin Rückhalt. Im Sommer 2020 dann kam die Idee auf, Freiluftgottesdienste zu veranstalten, weil einige Kirchgänger wegen Corona auf den Besuch des Gottesdienstes in der Kirche verzichteten. Wefringhaus, der auch Küster ist: „Wir haben draußen einen Altar aufgebaut und Stühle hingestellt, und bis auf drei Regentage hat es wunderbar funktioniert.“ Etwa 100 Besucher hätten die Gottesdienste zwischen Mai und September draußen regelmäßig besucht. Vom Erfolg beseelt, fand die so titulierte Sommerkirche auch im vergangenen Jahr statt. „Uns war wichtig, dass der Kontakt zwischen Kirche und Gläubigen nicht abreißt“, sagt Wefringhaus. Ihnen sei klar gewesen, dass „nun Initiative gefragt sei“. Und neue Ideen.

„Aber die Kirche im Kleinen ist für mich immer positiv belegt gewesen.“
Gemeindemitglied Peter S.

Einer der sich von den Aktivitäten angesprochen fühlte, der das Miteinander suchte, war Peter S. Wegen der unklaren Coronalage war auch er verunsichert, aber dann kam die Sommerkirche. „Da bin ich dann hin, weil es einfach ungefährlicher war“, sagt er. Der Glauben sei wie eine Leitplanke für ihn, er war froh, dass er wieder an den Gottesdiensten teilnehmen konnte. Vom Teilnehmer zu einem aktiven Gemeindemitglied sei er dann im vergangenen Jahr geworden. „Ich hatte schon gemerkt, dass es ein ziemlicher Umstand war, das Ganze auf- und abzubauen.“ Ihm habe es außerdem gefallen, wie die Leute miteinander umgegangen seien. Wie es so ist: Helfende Hände werden immer gesucht – und so ist Peter S. zu einem aktiven Mitglied der Gemeinde geworden. Klar, keiner kommt an den Missbrauchsskandalen vorbei. „Aber die Kirche im Kleinen ist für mich immer positiv belegt gewesen.“

Es ist genau diese „Kirche im Kleinen“, die auch Wefringhaus und Hartwig unbeirrt weitermachen lassen. Der 56-Jährige überlegt kurz: „Ich trenne das“, meint er, „ich habe keinen Einfluss darauf, was in Bayern oder sonst wo stattfindet – aber ich habe Einfluss darauf, was in unserer Gemeinde passiert.“ Und Ulrike Hartwig fühlt sich nach wie vor gut aufgehoben in ihrer Gemeinde. „Wir haben die Arbeit hier neu aufleben lassen.“ Gute Zeiten, um näher zusammenzurücken.

Friedbert Wefringhaus (56) und Ulrike Hartwig (64) vom Gemeindeausschuss führen durch die Räumlichkeiten ihrer Kirchengemeinde. Hier treffen sich viele der Katholiken regelmäßig, die durch die Gemeindearbeit zu echten Freunden geworden sind.

Friedbert Wefringhaus (56) und Ulrike Hartwig (64) vom Gemeindeausschuss führen durch die Räumlichkeiten ihrer Kirchengemeinde. Hier treffen sich viele der Katholiken regelmäßig, die durch die Gemeindearbeit zu echten Freunden geworden sind. © Stephan Schütze

Aktionen wie der „Lebende Adventskalender“, wo 24 Familien, Vereine und Gruppierungen ihre Fenster weihnachtlich geschmückt haben, vor denen 40, 50 Gemeindemitglieder Halt gemacht haben, um sie zu betrachten, um zu singen und warme Getränke zu sich zu nehmen, mussten coronabedingt ersetzt werden. Hartwig: „Wir haben als Ersatz an alle unserer 450 Pfarrbriefempfänger einen Tee-Adventskalender geschickt. Den Tee hat man sich jeden Tag um 18 Uhr gebrüht in der Gewissheit, dass die anderen zur selben Zeit ebenfalls einen trinken.“ Eine Verbindung im Geiste. Ostervorbereitung, Aktionen wie Solibrot zur Fastenzeit, bei der z.B. Brot gegen eine Spende abgegeben wird, die der Bethlehemer Kinderkrippe Crèche zugute kommt, oder die Gruppe Mavia, die sich um die Seniorenarbeit kümmert, das Packen von „Mahlzeit-Tüten“ für die, die normalerweise am Neujahrsempfang teilgenommen hätten – alles nur Beispiele für viele Aktionen, die sich wie ein haltendes Netz durch die Gemeindearbeit ziehen. Klar, der Zug der Zeit rauscht auch durch Frohlinde. „Der Gottesdienstbesuch ist bei Jüngeren unmodern geworden, keine Frage. Aber das heißt nicht, dass das Gemeindeleben bei ihnen unmodern ist“, rekapituliert Wefringhaus.

In der Kirchengemeinde Freunde gefunden

„Durch die Gemeindearbeit sind viele von uns zu Freunden geworden“, sagt Maike Wefringhaus vom Leitungsteam der Kolping-Jugend in Frohlinde, die immerhin 40 Mitglieder zählt. Das Zusammensein, das Sich-Unterstützen sei sehr ausgeprägt. „Wir kommen auch mit den Älteren zusammen und achten darauf, dass es für sie passt“, meint die 25-Jährige. Corona hin oder her.

Steine, bemalt von den Kommunionkindern 2022, zeigen: In der Kirchengemeinde ist Leben, auch wenn vieles schläfriger geworden ist.

Steine, bemalt von den Kommunionkindern 2022, zeigen: In der Kirchengemeinde ist Leben, auch wenn vieles schläfriger geworden ist. © Stephan Schütze

Wer zu keiner Veranstaltung kommen möchte, wer, aus welchem Grund auch immer, seinen Glauben allein leben will, dem bleibt die Kirche „Zu den Heiligen Schutzengeln“ sonntags bis zum Abend zum Gebet geöffnet. „Das wird ganz gut angenommen“, so Wefringhaus, „das erkennen wir immer an der Anzahl der Opferlichter am Altar.“

„Das ist Gottvertrauen“, sagt Ulrike Hartwig. Zeigt sich aber nicht nur in der Kirche.

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