
Gemüse, Obst, aber auch Nüsse, Vollkorn und Hülsenfrüchte gehören zu einer ausgewogenen veganen Ernährung. © picture alliance/dpa/dpa-tmn
Frau Zimmermann, wie gesund ist eigentlich eine vegane Ernährung für den Menschen?
Leonie Zimmermann: Vegane Ernährung hat erst einmal keinen Gesundheitswert, weil vegan bedeutet, alle tierischen Produkte wegzulassen, also kein Fleisch, kein Fisch, keine Milch, keine Eier zu sich zu nehmen. Wenn man das jetzt alles weglässt und dann vielleicht nur noch auf dem Teller ein bisschen grüner Salat übrig bleibt und eine halbe Paprika oder im anderen Fall eine Pommes mit Ketchup, dann ist das alles andere als gesund.

Ernährungsberaterin Leonie Zimmermann © Zimmermann
Wenn ich von vegan spreche, dann geht es immer um vollwertig pflanzlich. Das ist dann die vegane Ernährung mit dem Anspruch, die Hauptlebensmittelgruppen - wie Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorn, Obst und Gemüse - abzudecken und dem Körper alle Nährstoffe zuzuführen, die notwendig sind. Wenn man das als Anspruch hat, dann kann die vegane Ernährung sehr gesund und vollwertig für den Körper sein.
Demgegenüber bringt die fleischliche Ernährung zahlreiche gesundheitliche Risiken, zum Beispiel für Herzinfarkt …
Wir gehen in der Gesellschaft mehr in Richtung Übergewicht, von den Erwachsenen in Deutschland sind 53% der Frauen und 67 Prozent der Männer übergewichtig, und das ist kein ästhetisches Problem, sondern potenziell ein gesundheitliches. Übergewicht bringt ganz viele Erkrankungen mit sich, die wir als Volksleiden bezeichnen, weil sie sich schon so eingebürgert haben.
In den letzten Jahren ist diese typisch westlich geprägte Ernährung mit sehr viel verarbeitetem Fleisch gekommen, mit sehr hohem Konsum von Milch und Milchprodukten, und auch Fleischprodukten – die würde ich gar nicht mehr als Lebensmittel bezeichnen –, wie Wurst, die total verfettet und total versalzen ist, womit wir uns einfach krank essen. Dann kommt Diabetes, dann kommen Schlaganfälle, Bluthochdruck, all diese Sachen sind ernährungsassoziiert. Und pflanzliche Ernährung, vollwertige pflanzliche Ernährung, kann dafür ein Lösungsansatz sein.
Stimmt es, dass Veganer zu wenig Vitamin B 12 durch ihre pflanzliche Ernährung zu sich nehmen und das durch Tabletten ausgleichen müssen?
Wir haben B-12-Speicher in der Leber, die können auch vielleicht bis zu zwei oder fünf Jahren halten, und geben dann immer wieder B 12 in den Blutkreislauf. Die Aufnahmefähigkeit - und aber auch die Speicherkapazität - ist individuell unterschiedlich. Ich rate Veganern daher dazu, auf jeden Fall mal B 12 untersuchen zu lassen und gegebenenfalls die Dosierung anpassen zu lassen. Wenn ich zum Beispiel bestimmte Erkrankungen habe und dafür Medikamente nehme, kann es sein, dass die die Aufnahme hemmen und ich viel mehr B 12 zu mir nehmen muss. Der Mangel an B 12 kommt aber auch nicht von heute auf morgen. Wer sich einen Monat lang vegan ernährt, und dann einen B 12- Mangel feststellt, der hatte den auch vorher.
Noch einmal zum Thema Nährstoffmangel bei Veganern. Sollte man als Veganer häufiger seine Blutwerte kontrollieren lassen als jemand, der sich nicht vegan ernährt?
Das hängt davon ab, wie sicherheitsliebend man ist. Generell ist es immer mal sinnvoll, einen Blick auf die Blutwerte zu werfen, unabhängig von der Ernährung. Wir haben viele Nährstoffe, Eisen zum Beispiel, das ist ein kritischer Nährstoff in der veganen Ernährung, das ist aber vor allem auch ein kritischer Nährstoff bei Frauen, gerade, wenn sie vor der Menopause sind. Man sollte also – unabhängig von der Ernährung – generell mal einen Blick auf seine Blutwerte werfen.
Genauso ist es auch bei Vitamin D, genauso ist es auch bei ein paar anderen Nährstoffen. Ich möchte nicht die vegane Ernährung pathologisieren und sagen, wir sollten auf jeden Fall einmal im Jahr den Check machen. Es ist für jede Person sinnvoll, sich mit der Ernährung auseinandersetzen, egal, ob mischköstlich, vegetarisch oder vegan. Aber wenn man bei B 12 beispielsweise einmal eine Dosierung gefunden hat, die funktioniert, dann muss man das nicht jedes halbe Jahr kontrollieren lassen.
Kann man seine Ernährung alleine auf vegan umstellen, oder muss man sich einen Experten zu Rate ziehen, wenn man Veganer werden möchte?
Man sollte sich da Unterstützung suchen. Ich würde zu einer Ernährungsberaterin gehen, die ausgebildet ist bezüglich veganer oder vegetarischer Ernährung. Wenn uns Eier und Milch wegfallen, dann fallen uns wichtige Protein- und Calciumquellen weg. Das muss man einfach auf dem Schirm haben. Das Wissen darüber kriegt man mittlerweile zum Glück aus vielen guten Büchern, die in diese Richtung gehen. Ich sehe in meinen Beratungen, dass da in der Regel junge Leute hinkommen, die sich schon damit auseinandergesetzt haben. Es geht dann eher um die Umsetzung. Für so etwas kann eine Begleitung total sinnvoll sein.
Kann ich jemanden überzeugen, sich vegan zu ernähren, der ein absoluter Fleischesser ist?
Ich versuche eigentlich nicht zu überzeugen. Was ich öfter erlebe, ist, dass manchmal Personen zu mir kommen, die stark übergewichtig sind, gerade beim Arzt waren, und der Arzt gesagt hat, sie brauchen eine Ernährungsberatung. Sobald ich sage, dass eine Ernährungsumstellung auch Arbeit ist und dabei der Wille zur Veränderung ganz wichtig ist, spüre ich oft dass die Personen wenig Eigenbereitschaft zeigen, etwas zu ändern. Da kann man, glaube ich, mit keinem Argument der Welt kommen.
Wenn wir jetzt von gesundheitlichen Aspekten weg gehen, auf Klimaaspekte oder auf ethische Aspekte, dann gibt es da Menschen, die sich davon beeinflussen lassen. Fast jeder, der sich vegan ernährt, kommt über eine ethische Entscheidung dahin, so circa 90 Prozent. Aber das ist ein Prozess, der in der Regel langjährig ist und in den seltensten Fällen vom einen auf den anderen Tag passiert.
Was ist mit pflanzlichen Ersatzprodukten? Manche von denen, zum Beispiel Sojabohnen, sind gentechnisch verändert. Wie gesund sind solche Ersatzprodukte für den Menschen?
Wenn man sich totalen Stress macht, weil man vegan essen will, kann das auch einen hohen Leidensdruck mit sich bringen. Dann können Ersatzprodukte etwas Positives beitragen, weil sie einfach Stress raus nehmen und Genuss bringen und somit auch die Gesundheit fördern können. Wenn wir jetzt aber aus Sicht der Nährstoffe auf die Gesundheit gucken, dann würde ich empfehlen, Ersatzprodukte so niedrig wie möglich zu halten.

Viele Veganer nutzen Ersatzprodukte wie zum Beispiel Sojamilch. © picture alliance/dpa
Wenn wir uns anschauen, was im veganen Käse drin ist und was im Kuhmilch-Käse drin ist, dann ist das Problem, dass die vegane Alternative kein Nährstoff-Äquivalent ist. Durch den veganen Käse nehmen wir mehr gesättigte Fettsäuren und weniger Calcium auf. Manche vegane Käse-Alternativen enthalten wirklich null Gramm Protein, wobei Käse in herkömmlicher Sicht ja wirklich eine klassische Proteinquelle ist. Daher sehe ich vegane Ersatzprodukte kritisch im alltäglichen Gebrauch. Wenn mal ein Grillfest oder ein Brunch stattfindet, dann sind die Alternativen wunderbar für den Genuss, aber von den Nährstoffen her sind die Produkte zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Äquivalent zu tierischen Produkten.
Und die Zutatenliste der pflanzlichen Ersatzprodukte ist wahrscheinlich auch etwas länger, oder?
Ja, aber die lange Zutatenliste ist per se erst einmal nicht gut oder schlecht. Wenn ich ein Produkt haben möchte, zum Beispiel einen veganen Burger, dann muss ich ja alle Komponenten nachbauen, die in dem Rindfleisch-Burger waren. Was wir aber bei stark verarbeiteten Produkten oft haben, ob vegan oder nicht, ist viel Salz, viel Fett, das wir nicht brauchen, und viel Zucker. Von solchen Produkten sollte man lieber die Finger lassen.
Würden Sie sagen, dass eine vegane Ernährung für jeden geeignet ist, also auch für Kinder, Schwangere oder ältere Menschen?
Ja. Eine vegane Ernährung ist in jedem Lebensabschnitt möglich, egal, ob Kleinkind, Jugendlicher, Profisportler, Stillende, Schwangere oder Senior. Wenn man sich mit den Nährstoffen vorher auseinandersetzt – ich rate niemandem dazu, in eine vegane Schwangerschaft hineinzustolpern und das dann irgendwie durchzuziehen – dann ist es durchaus möglich. Bei diesen gesonderten Lebensabschnitten, also wenn wir zum Beispiel Profisportler sind, schwanger oder Senior, dann haben wir einen veränderten Nährstoffbedarf. Der sollte auch auf jeden Fall beachtet werden.
Genauso würde ich aber auch jeder Frau, die sich mischköstlich ernährt, raten, in der Schwangerschaft in eine Ernährungsberatung zu gehen, einfach, um einmal alles abchecken zu lassen. Eine vegane Ernährung ist möglich in jeder Lebenslage, man sollte aber genauer hingucken.