Arzt warnt vor Long Covid: „Einige Patienten sind immer noch stark eingeschränkt“

Coronavirus

Ärzte und Experten rechnen damit, dass es wegen der dritten Welle mehr Long-Covid-Betroffene geben wird. Schon jetzt könnten viele Menschen nicht ohne Weiteres in Leben und Beruf zurückkehren.

Berlin

28.03.2021, 08:24 Uhr / Lesedauer: 4 min
Unter dem Begriff Long Covid fallen anhaltende Spätfolgen einer Covid-19-Infektion. Dazu zählen etwa Müdigkeit, Konzentrations­schwäche oder Schmerzen in Muskeln und Gelenken.

Unter dem Begriff Long Covid fallen anhaltende Spätfolgen einer Covid-19-Infektion. Dazu zählen etwa Müdigkeit, Konzentrations­schwäche oder Schmerzen in Muskeln und Gelenken. © picture alliance/dpa/dpa-tmn

Jetzt, zu Beginn der dritten Infektionswelle, sei es noch einmal wichtig, sich mit Long Covid zu beschäftigen, schrieb der Epidemiologe und SPD-Gesundheits­politiker Karl Lauterbach vor wenigen Tagen auf seinem Twitter-Account. Long Covid betreffe sehr viele Menschen, geschätzt bis zu 10 Prozent, die weder Lungenentzündung noch schwere Luftnot hatten. Also auch diejenigen, die nicht auf der Intensivstation im Krankenhaus behandelt werden. „Das wird in den nächsten Wochen sehr viele Eltern treffen“, prognostizierte Lauterbach. Auch Kinderärzte rechnen wegen der Lockerungen der Maßnahmen mit mehr Spätfolgen, nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen.

Bislang gibt es für Betroffene allerdings keine spezifische und evidenzbasierte Behandlung. Auch Anlaufstellen fehlen in Deutschland, die Menschen mit Long Covid dabei unterstützten könnten, überhaupt erst einmal eine Diagnose zu bekommen. Prof. Andreas Rembert Koczulla will das ändern. „Ich glaube, die Akzeptanz des Post-Covid-Syndroms ist inzwischen größer geworden in der Bevölkerung“, sagt der Leiter des Zentrums für Lungenheilkunde an der Schön-Klinik im Berchtesgadener Land. „Bei den Kostenträgern ist bereits eine ungeheure Menge an Covid-19-Patienten aufgelaufen, die nicht ohne Weiteres zurückkehren kann in den Beruf.“

Der Arzt befasst sich schon lange mit dem Phänomen, betreut auch Reha­patienten mit Long Covid. Mit Fachkollegen führt er nun die wenigen zur Verfügung stehenden Daten zu den mannigfaltig auftretenden Symptomen zusammen, um eine erste Leitlinie mit Empfehlungen zu entwickeln. „Mal eben ein Buch aufschlagen und nachlesen, welche spezielle Behandlung bei diesen oder jenen Symptomen erfolgen sollte – das gibt es de facto noch nicht“, erklärt er das Vorhaben.

Long Covid fällt bei Betroffenen unterschiedlich aus

Koczulla ist Internist, Pneumologe und Intensivmediziner, „was bei dieser Erkrankung durchaus hilfreich“ sei, wie er sagt. Die Menge der Patienten mit einer Fülle an Symptomen mache Wissenschaftler und Mediziner mit dem Fortschreiten der Pandemie sehr aufmerksam. „Ich würde das nicht verharmlosen. Ich glaube schon, dass das ein sehr relevantes Problem ist.“ Denn Long Covid bringe ein sehr breit gefächertes Feld an Problemen mit sich. Diese entstünden bei einigen Patienten bereits unmittelbar nach Abklingen der akuten Covid-19-Erkrankung. Bei manchen treten sie aber auch erst mit Zeitabstand auf.

Die Reha­patienten, die Koczulla auf dem langen Genesungsweg begleitet, zeigen, wen Covid-19 am schwersten trifft. „Wir wissen, dass das Alter ein ausschlag­gebender Faktor bei der Schwere der Erkrankung ist“, erklärt der Mediziner. „Wir sehen hier aber durchaus auch 25-jährige Patienten.“ Es zeigten sich zudem eine Reihe von Risikofaktoren: Diabetes, ein schlecht eingestellter Blutdruck, Tumorerkrankungen und schwere Lungen­erkrankungen. „Wir sehen zudem, dass das männliche Geschlecht häufiger betroffen ist – wegen eines in der Regel schlechter eingestellten Immunsystems.“

Long-Covid-Symptome könnten für immer bleiben

Die Unfähigkeit, sich körperlich zu belasten, bessere sich zwar oft mit der Zeit. Aber: „Es ist durchaus so, dass einige Patienten aus der ersten Welle immer noch stark eingeschränkt sind.“ Auch nach einem Jahr litten sie oft noch unter Ermüdungs­erscheinungen, Luftnot, Husten, können weiterhin nicht regulär arbeiten. Das deckt sich mit Beobachtungen aus Wuhan. Dort wurden einige der ersten Covid-19-Patienten ebenfalls auf Langzeitfolgen der Coronavirus-Infektion hin untersucht. In einer im Januar veröffentlichten Studie stellten chinesische Wissenschaftler fest, dass 76 Prozent der Untersuchten ein halbes Jahr nach der Akutinfektion noch unter mindestens einem Symptom litten.

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In der Reha­klinik landen zudem nur diejenigen, die von einem Arzt dorthin überwiesen wurden. Also vor allem Covid-19-Patienten, die vorher mit einem schweren Verlauf auf der Intensivstation waren. „Wir wissen nicht wirklich gut, was mit den Patienten passiert, die sich zu Hause auskurieren“, sagt Koczulla. Erste Auswertungen zeigten aber: „Es gibt auch Menschen, die mit leichten Erkältungs­symptomen durch die Covid-19-Erkrankung kommen, aber im weiteren Verlauf plötzlich Symptome entwickeln.“

In den Niederlanden und in Belgien habe man solche Covid-Patienten über drei Monate beobachtet. „Es hat sich gezeigt, dass Post-Covid-Symptome wie Müdigkeits­erscheinungen und Luftnot bei den meisten Patienten mit mildem Verlauf mit der Zeit wieder etwas abnehmen“, sagt Koczulla. „Aber eben nicht übermäßig.“ Und es gebe durchaus auch Patienten, die im Verlauf eher noch mehr Symptome entwickeln. Eine Erklärung dafür gebe es bislang noch nicht. „Es ist auch noch zu früh, um ausschließen zu können, dass Symptome dauerhaft bleiben.“

Covid-19 oder Long Covid? Der Symptom­zeitraum ist entscheidend

Ab welchem Zeitpunkt aber ist überhaupt von Long Covid die Rede? Mediziner unterscheiden zur Beurteilung drei Phasen:

  • Die akute Infektion mit dem Erreger Sars-CoV-2 und der daraus resultierenden Erkrankung Covid-19 wird für einen Zeitraum von vier Wochen nach dem Vorliegen des positiven Virusnachweis definiert.
  • Von einer weiterführenden Covid-Erkrankung sprechen Experten bis einschließlich der zwölften Woche nach dem Virusnachweis.
  • Bestehen nach Ablauf dieser ersten drei Monate nach Auftreten der Akutinfektion immer noch Symptome, sprechen Mediziner vom Post-Covid-Syndrom. Darunter fallen besonders oft Symptome wie Abgeschlagenheit, verminderte Leistungsfähigkeit, Luftnot, Husten, neurologische Symptome.

Bislang sei vielen Menschen weitgehend unklar, an wen sie sich bei solchen Symptomen wenden könnten, berichtet Koczulla. Es müsse dringend geprüft werden, wem man diese Verantwortung übertrage. Die Herausforderung: Für eine Diagnostik und Therapie von Long Covid müssten eigentlich mehrere ärztliche Fachdisziplinen an einen Tisch gebracht werden. Darum soll es auch in der nun zu entwickelnden Leitlinie der Mediziner gehen. „Da liegt die Koordination dann möglicherweise beim Allgemeinarzt, beim Facharzt oder einer Post-Covid-Ambulanz“, erklärt Koczulla.

Bürokratie verlangsamt Aufbau von Long-Covid-Hilfe

Eine zentrale Anlaufstelle könne gut beurteilen, ob ein Patient einen Facharzt, eine spezifische stationäre Behandlung oder eine Reha brauche. „Es gibt derzeit einen großen Bedarf“, sagt Koczulla. „Aber inwieweit flächendeckend solche zentralen Anlaufstellen aufgebaut werden, ist aktuell nicht absehbar.“ Über den Antrag einer Post-Covid-Ambulanz werde nach Aussage der kassenärztlichen Vereinigung erst im Juni entschieden, aktuell würden noch Unterlagen nachgereicht.

„Die Versorgungs­strukturen in Deutschland können den Patienten zum Teil nicht so schnell und auf unbüro­kratischem Wege gerecht werden“, kritisiert der Long-Covid-Experte. „Es ist auch ein Problem, dass für eine umfassende Diagnose und die gegebenenfalls daraus abzuleitende Therapie und Versorgung mehr als die üblicherweise angesetzten wenigen Minuten in einer normalen Hausarztpraxis nötig werden.“ Für den Erstkontakt brauche es mehr Zeit, oft bis zu eine Stunde mit Untersuchungen. Da spielten auch ökonomische Faktoren eine große Rolle.

Je nach Symptomen führt der Weg im Moment also in der Regel zu vielen Ärzten. „Die Befunde sollten mit dem Hausarzt besprochen werden. Es sollte eine Lungen­nachsorge erfolgen, eine kardiologische Untersuchung ebenso“, rät Koczulla. „Abhängig von psychologischen Problemen muss der Neurologe aufgesucht werden.“ Auch gut zu wissen: Eine Impfung gegen Covid-19 sollte auch bei Menschen mit für Long Covid typischen Symptomen nach aktuellen RKI-Empfehlungen erst sechs Monate nach der Akutinfektion mit Sars-CoV-2 erfolgen.

RND

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