Anträge, Beratung, Entlastung: Expertenantworten zur Pflege
Fragen unserer Leser
Wer berät mich, wenn mein Vater plötzlich zum Pflegefall wird? Was bedeutet die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade für mich? Und wer vertritt mich bei der Pflege meines Angehörigen, wenn ich in den Urlaub fahre? Wir haben die Antworten von drei Pflege-Experten auf Fragen, die unsere Leser gestellt haben.

Die neuen Leistungen ab 2017.
Ich bemerke, dass ich selbst pflegebedürftig werde oder ein Angehöriger Pflegebedarf hat. Wie gehe ich jetzt vor? Was sind die ersten Schritte, und wo kann ich mich beraten lassen?
Zunächst einmal sollten Betroffene sich bei ihrer Pflegekasse melden. Dazu kontaktieren Sie Ihre Krankenkasse: Zu jeder Krankenkasse gehört eine Pflegekasse, bei der Sie als gesetzlich Krankenversicherter automatisch Mitglied sind. Privat Krankenversicherte müssen sich an eine private Pflegeversicherung wenden.
Bei der Pflegekasse wird der Antrag auf Einstufung in eine Pflegestufe (ab Januar 2017 in einen Pflegegrad) gestellt. Um festzustellen, wie groß der Pflegebedarf ist und welche Pflegestufe die richtige ist, organisiert Ihre Pflegekasse einen Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei Ihnen zu Hause. Er gibt anschließend seine Einschätzung des Pflegebedarfs an die Pflegekasse weiter. Was viele nicht wissen: Wer schon eine Pflegestufe hat, einen Antrag gestellt hat oder sich darüber informieren möchte, hat seit 2009 einen Rechtsanspruch auf eine kostenlose und individuelle Pflege-Beratung.
Die Möglichkeiten der Beratung sind vielfältig. Sie kann beispielsweise von Ihrer Pflegekasse übernommen werden. Eine andere Möglichkeit sind die Pflegestützpunkte, die Beratungsstellen der Kreise und kreisfreien Städte. Sie sind kommunal unterschiedlich ausgestaltet und teilweise an Einrichtungen wie Seniorenbüros oder Wohn- und Altenhilfeberatungsstellen angegliedert. Eine Übersicht über die Pflegestützpunkte in NRW gibt es auf der Webseite der Landesstelle für pflegende Angehörige (www.lpfa-nrw.de). Auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) informiert kostenfrei zum Thema Pflege.
Die privaten Krankenversicherungen haben mit der Compass Pflegeberatung ein eigenständiges Beratungsunternehmen gegründet. Für Privatversicherte ist die Beratung hier kostenlos. Auch die Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie oder AWO sowie die ambulanten Pflegedienste beraten in der Regel zum Thema Pflege. Mithilfe der Datenbank des Zentrums für Qualität in der Pflege finden Sie eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe (www.bdp.zqp.de).
Wir haben für meine Mutter einen Antrag auf Einstufung in eine Pflegestufe bei der Pflegekasse gestellt. Nächste Woche kommt der Medizinische Dienst zu Besuch. Kann ich als Tochter bei der Begutachtung anwesend sein – und können wir uns irgendwie vorbereiten?
Unbedingt, eine gute Vorbereitung lohnt sich. Besprechen Sie mit Ihrer Mutter den Besuch des MDK und bereiten Sie sie darauf vor. Viele Pflegebedürftige schämen sich für ihre Hilflosigkeit und versuchen, diese zu überspielen – oder sie werten ihren Pflegebedarf beim Besuch des Begutachters hinab und versuchen, möglichst selbstständig zu wirken. Deshalb begleiten Sie das Gespräch und trauen Sie sich im Zweifelsfall auch, Angaben Ihrer Mutter zu korrigieren. Ratsam ist es auch, ein detailliertes Pflegetagebuch über den Pflegeaufwand zu führen und dem MDK vorzulegen. Legen Sie außerdem Berichte vom Hausarzt, von Reha- oder Krankenhausaufenthalten oder zur Medikation Ihrer Mutter vor. Wenn Sie schon einen Pflegedienst haben, kann dieser ebenfalls einen Pflegebericht erstellen oder bei der Begutachtung anwesend sein. Durch die Bereitstellung aller Informationen beschleunigen Sie den Pflege-Antrag und erleichtern die Zuteilung in die richtige Pflegestufe.
Ich bin seit einigen Jahren in der Pflegestufe 1. Zu mir kommt jeden Tag der ambulante Pflegedienst. Was bedeutet die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade ab 1. Januar 2017 für mich? Muss ich einen neuen Antrag stellen? Bekomme ich gegebenenfalls weniger Geld?
Nein, Sie brauchen keinen neuen Antrag zu stellen und es ist auch keine erneute Begutachtung nötig. Ihre Pflegekasse bzw. -versicherung wird Ihnen automatisch Anfang 2017 einen neuen Bescheid mit Ihrem Pflegegrad zusenden. Ganz wichtig für alle Pflegebedürftigen, die bereits eine Pflegestufe haben: Es wird durch das neue System niemand schlechter gestellt! In Ihrem Fall wechseln Sie von der Pflegestufe 1 in den Pflegegrad 2 und erhalten für die Leistungen des Pflegedienstes monatlich 689 Euro statt bisher 468 Euro. Unsere Grafik zeigt, welche Leistungen Betroffene mit anderen Pflegestufen künftig bekommen.
Ich pflege seit einiger Zeit meinen Vater, der auch Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält. Wer übernimmt seine Pflege, wenn ich in den Sommerurlaub fahren will – oder einfach einen Nachmittag pro Woche Zeit nur für mich haben will? Gibt es Unterstützungsangebote?
Ja. Wenn Sie Ihren Vater seit mehr als sechs Monaten pflegen, haben Sie Anspruch auf die sogenannte Verhinderungspflege für bis zu sechs Wochen im Jahr. Die Pflegeversicherung zahlt für diese sechs Wochen einen Betrag in der Höhe des Pflegegelds. Zusätzlich erstattet die Pflegekasse Aufwendungen wie Fahrgeld oder einen Verdienstausfall mit maximal 1612 Euro. Diesen Betrag können Sie nutzen, um während dieser Zeit Ihren Vater beispielsweise durch einen Pflegedienst betreuen zu lassen.
Achtung: Sie müssen die Leistungen nicht wochenweise in Anspruch nehmen. Sie können auch stundenweise abgerechnet werden – beispielsweise, während sie zum Sport oder zum Kaffeetrinken gehen. Unsere Experten raten, diese Möglichkeit auf jeden Fall zu nutzen: So haben Sie als pflegender Angehöriger regelmäßig Zeit für sich, zum Durchatmen und Entspannen.
Im Urlaubsfall kann zum Beispiel die Kurzzeitpflege greifen: Um Ihre Abwesenheit zu überbrücken, können Sie Ihren Vater vorübergehend in einem Pflegeheim unterbringen. Die Pflegeversicherung übernimmt hierbei die Kosten für die pflegerische Versorgung, die medizinische Behandlungspflege und die soziale Betreuung. Unterkunft und Verpflegung zahlt der Pflegebedürftige selbst, kann sie sich aber gegebenenfalls im Rahmen der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen erstatten lassen. Die Kurzzeitpflege kann für bis zu acht Wochen (56 Tage) pro Kalenderjahr in Anspruch genommen werden.
Mein Mann ist in der Pflegestufe 2. Wir möchten jetzt unser Bad barrierefrei umbauen lassen. Gibt es da Zuschüsse von der Pflegekasse?
Ja. Die gesetzlichen Pflegekassen und die privaten Pflegeversicherungen zahlen einen Zuschuss von bis zu 4000 Euro je Baumaßnahme, die der Anpassung des Wohnumfelds an die Situation des Pflegebedürftigen dient. Dazu gehören neben dem Badumbau auch Umbaumaßnahmen wie Rollstuhlrampen, die Verbreiterung von Türen oder das Einbauen eines Treppenlifts. Ganz wichtig: Beantragen Sie den Zuschuss unbedingt bevor Sie anfangen umzubauen!
Bin ich als pflegender Angehöriger unfallversichert?
Ja. Alle nicht erwerbsmäßig tätigen häuslichen Pflegepersonen wie Familienangehörige, Freunde, oder auch Nachbarn sind bei den gemeindlichen Unfallversicherungsträgern beitragsfrei versichert. Mit Aufnahme der Pflegetätigkeit setzt der gesetzliche Unfallversicherungsschutz automatisch ein, auch wenn Sie beispielsweise einem pflegebedürftigen Nachbarn nur ab und zu helfen und dabei ein Unfall passiert. Sie müssen keine Anmeldung vornehmen, die Beiträge werden aus Steuermitteln finanziert.
Ich pflege seit zwei Jahren meine Mutter, die seit Anfang des Jahres auch eine Pflegestufe hat. Meinen Job musste ich auf halbtags reduzieren. Dadurch zahle ich weniger in die Rentenkasse ein. Gibt es einen Ausgleich?
Ja, wenn Sie Ihren Angehörigen mindestens 14 Stunden pro Woche in häuslicher Umgebung pflegen und das länger als 60 Tage im Kalenderjahr. Außerdem dürfen Sie nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten. Sollten Sie die 14 geforderten Stunden wöchentlich nicht durch die Pflege Ihrer Mutter erreichen, kann auch die Zeit mehrerer pflegebedürftiger Personen zusammengerechnet werden. Ob Sie die Voraussetzungen erfüllen, prüft Ihre Pflegekasse. Die Rentenbeiträge zahlt Ihre Pflegeversicherung direkt an die Deutsche Rentenversicherung.
Mein Antrag auf Einstufung in eine Pflegestufe wurde abgelehnt – oder ich bin nicht einverstanden mit der Pflegestufe, die mir bewilligt wurde. Was kann ich tun?
Sie können innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Ablehnung oder Erhalt des Bescheids Widerspruch einlegen. Dieser muss schriftlich, direkt bei der für den Pflegebedürftigen zuständigen Pflegekasse erfolgen. Es genügt ein formloses Schreiben. In der Regel beauftragt die Pflegekasse den MDK dann mit einer neuen Begutachtung. Dieser Begutachtung müssen Sie zustimmen. Um zu zeigen, dass Sie einen höheren Pflegebedarf haben, als Ihnen zugestanden wurde, legen Sie dem MDK bei der zweiten Begutachtung dann weitere Behandlungsunterlagen, detaillierte Pflegedokumentationen oder -tagebücher als Nachweise vor.
Die Fragen und Antworten stammen aus einer Telefonaktion, die wir gemeinsam mit den Experten Matthias Cousin (AOK Nordwest), Angelika Groß (Compass Pflegeberatung) und Thomas Ganschow (UPD Unabhängige Patientenberatung Deutschland) im Juni 2016 durchgeführt haben.