Amoklauf in der Oper Premiere von „Innocence“ im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier

Amoklauf in der Oper
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Wann gibt es nach der Premiere einer zeitgenössischen Oper schon mal stürmischen, nicht enden wollenden Applaus? Im Musiktheater im Revier war das am Samstag der Fall bei der deutschen Erstaufführung von „Innocence“ (Untertitel in Gelsenkirchen: „(Un)schuld verjährt nicht“), dem letzten Bühnenwerk der 2023 verstorbenen finnischen Komponistin Kaija Saariaho.

Das Thema ist für eine Oper ungewöhnlich aktuell und brisant, denn es geht um die Aufarbeitung eines Amoklaufs an einer Schule. Der Bruder des Attentäters heiratet, die Kellnerin erweist sich als die Mutter einer der getöteten Schülerinnen, die Braut aber ist ahnungslos. Zeitgleich treffen sich Überlebende des Massakers.

Die Wut der Kellnerin (Hanna Dora Sturludottir, r.) trifft die Mutter des Attentäters (Katherine Allen).
Die Wut der Kellnerin (Hanna Dora Sturludottir, r.) trifft die Mutter des Attentäters (Katherine Allen). © forster

Sofi Oksanen, die zusammen mit Aleksi Barrière das Textbuch geschrieben hat, deutet zunächst nur an, dass da Verdrängung und Traumatisierung im Spiel sind. Erst nach und nach enthüllt sie das zurückliegende Drama und seine Hintergründe. Das ist spannend gemacht.

Komponistin Saariaho gelingt es gleichermaßen, die Hörer ins Geschehen hineinzuziehen und die vollen eindreiviertel Stunden des Abends über zu bannen. Dabei schreibt sie keine auf Nervenkitzel setzende Thriller-Musik, sondern umgibt die Figuren des Stücks mit liebevollen, klangsinnlichen Tönen.

Tolle musikalische Umsetzung

Der Internationalität innerhalb der Familie und der Schule folgend, wird in neun verschiedenen Sprachen gesungen und gesprochen, was glänzend funktioniert.

Die Inszenierung von Elisabeth Stöppler im abstrakten, setzkastenartigen Bühnenbild von Ines Nadler zeigt die Personen oft sinnbildhaft zusammen und doch isoliert. Die musikalische Umsetzung ist umwerfend gut – nicht zuletzt wegen finnischer Mitwirkender. So berührt Hanna Dora Sturludottir in der zentralen Rolle der Kellnerin mit nicht nachlassender Expressivität. Erika Hammarberg ist eine Idealbesetzung für den folkloristisch geprägten Part von deren Tochter. Valtteri Rauhalammi entfaltet mit der Neuen Philharmonie Westfalen den schillernden Reichtum der Partitur. So packend kann moderne Oper sein!

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Weitere Aufführungen

Termine: 5. / 27. 10., 10. 11., 1. / 29. 12. 2024, 11. 1., 16. 2., 20. 3. 2025; Karten: Tel. (0209) 409 72 00.

www.musiktheater-im-revier.de

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