
© Meike Holz
Afghanin (26) stirbt auf der Flucht – ihr Bruder in Waltrop kämpft um seine Neffen
Tragische Familiengeschichte
Eine junge Mutter aus Afghanistan kommt auf der Flucht im Schneesturm ums Leben. Teile ihrer Familie leben in Waltrop und Dortmund - und kämpfen verzweifelt um Kontakt zu den Kindern der Verstorbenen.
„Geflüchtete Mutter aus Afghanistan stirbt in Schneesturm“ titelte das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ vor einigen Wochen. Die junge Frau war mit ihren beiden Kindern auf der Flucht, wollte Richtung Türkei - und geriet dabei offenbar nahe dem iranischen Dorf Belasur in einen Schneesturm. Weit weg, könnte man denken. Aber nein: Das tragische Geschehen, über das auch türkische Medien berichteten, hat einen direkten Bezug nach Waltrop. Hier wohnt der Bruder der Toten, der 24-jährige Wais Ahmad Faizi. Seine Mutter lebt in Dortmund, genau wie zwei jüngere Geschwister.
Der Bruder lebt in Waltrop, die Mutter in Dortmund
Der junge Mann hat sich bereit erklärt, mit unserer Redaktion über das furchtbare Geschehen zu sprechen - auch wenn es ihm schwer fällt, das in Worte zu fassen, was seiner Schwester geschehen ist. Wais Ahmad Faizi zeigt Fotos auf seinem Handy, die seine Schwester Zeynab zeigen. 26 Jahre alt ist sie nur geworden, eine hübsche junge Frau, die offensichtlich alles für ihre 4 und 8 Jahre alten Söhne tat: Ihr Bruder weist auf Bilder von Kindergeburtstagen mit bunter Deko, Fotos von fröhlichen Kindern, die mal Grimassen reißen, sich mal eng an ihre Mutter kuscheln. Eine Mutter, die bis zuletzt kämpfte für ihre beiden Söhne: Im „Spiegel“-Bericht ist davon die Rede, dass die junge Frau ihre Strümpfe auszog und ihren Kindern als Handschuh-Ersatz anzog, als sie auf der Flucht in den Schneesturm gerieten.

Wais Ahmad Faizi (24) und seine Mutter Dilara Islami (49), die in Dortmund lebt, berichten über das Schicksal ihrer Familie. © Meike Holz
Der Gedanke an die beiden Jungen schnürt Wais Ahmad Faizi die Kehle zu, er muss mehrfach schlucken, wenn er an die geliebten Neffen denkt. Der junge Mann selbst ist 2016 mit seiner anderen Schwester – sie wohnt heute auch in Waltrop, macht eine Ausbildung in einer Bäckerei – über die Türkei nach Griechenland geflohen und irgendwann in Deutschland gelandet. Nach einem Jahr seien seine Mutter und eine weitere Schwester hierhergekommen, noch ein Jahr später folgte der Vater.
Ursprünglich stammt die Familie aus Afghanistan. Einige Jahre seiner Kindheit hat Wais Ahmad Faizi jedoch auch im Iran verbracht. Dort, in Isfahan, hatte seine Schwester, die dann so tragisch ums Leben kam, zuletzt auch gelebt. Sie habe nach einer eigenen Wohnung gesucht; das Verhältnis zu ihrem Ehemann war offenbar nicht das beste. Seine Schwester habe einen afghanischen Pass besessen, doch der sei nicht mehr gültig. Das habe die Suche nach einer Wohnung schwierig bis unmöglich gemacht.
Fluchtroute gilt als sehr gefährlich
So kam es, dass die junge Frau beschloss zu flüchten - obwohl die Flucht auf der Route speziell im Winter als sehr gefährlich gilt. Unterwegs hätten sie immer wieder Kontakt gehabt, schildert Wais Ahmad Faizi, zuletzt am 20. Dezember per Whatsapp.

Zeynab, die Schwester von Wais Ahmad Faizi, starb im Alter von nur 26 Jahren. © privat
Das letzte Foto von Zeynab auf dem Handy ihres Bruders trägt den Zeitstempel 10. Dezember 2021. Seine Schwester habe sich von Teheran aus auf den Weg Richtung Türkei gemacht, sie seien zuletzt in der Gegend von Choy, einer Stadt etwa 70 Kilometer von der türkischen Grenze, gewesen.

Abolfazl ist der Ältere der beiden Geschwister und acht Jahre alt. © Privat
Richtig fassen kann der junge Mann das Geschehen noch immer nicht, und doch denkt er jetzt vor allem an seine beiden Neffen. „Wir würden sie gern hierher holen“, sagt Wais Ahmad Faizi, und seine Mutter, Dilara Islami (49), nickt. Aber der Vater der beiden Jungen möchte das nicht. Wenn sie über Skype Kontakt haben, frage der Große immer nach ihrer Oma, die in Dortmund lebt und wolle wissen: „Warum kommt ihr nicht hierher?“ Allein der Gedanke daran scheint Wais Ahmad Faizi beinahe das Herz zu zerreißen. Nur: Die Chancen stehen denkbar schlecht.
Schier unmöglich, die Kinder hierher zu holen
Günter Kehrbaum, der bei der Flüchtlingshilfe aktiv ist und versucht, Wais Ahmad Faizi zur Seite zu stehen, weiß, dass es zurzeit schier unmöglich ist für afghanische Staatsbürger, einen Pass ihres Heimatlandes zu bekommen. Bekanntlich herrschen in Afghanistan extrem unruhige Zeiten, seitdem im vergangenen August die Taliban die Macht übernommen haben. Bis dahin habe das afghanische Konsulat in Bonn sich um solche Passangelegenheiten gekümmert, aber momentan sei das kaum mehr möglich.

Der 24-Jährige, hier im Gespräch mit der Redaktion, links Günter Kehrbaum von der Flüchtlingshilfe, ist 2016 nach Deutschland geflohen. © Meike Holz
Grundsätzlich sei es möglich, dass die BRD Wais Ahmad Faizi ein Dokument ausstelle, mit dem er reisen könne - um sich in den Iran zu begeben und dort um das Sorgerecht für die Neffen zu kümmern. Aber: Wais Ahmad Faizis deutsche Aufenthaltserlaubnis basiert auf einem gerichtlich verfügten Abschiebeverbot und damit auf einem relativ schwachen Schutzstatus. „Damit hängen die Trauben für ein Reisedokument der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen hoch“, sagt Kehrbaum.

Mostafa ist der jüngere der beiden Neffen von Wais Ahmad Faizi. © privat
Sprich: Die Lage sieht nicht gerade hoffnungsvoll aus. Abgesehen davon ist offenbar der Mann von Wais Ahmads Faizis verstorbener Schwester nicht bereit, seine Söhne nach Deutschland zu lassen. „Es ist extrem kompliziert“, sagt Günter Kehrbaum.
Der Fall der Familie Faizi ist ein besonders dramatisches Beispiel, doch - das weiß auch Günter Kehrbaum: Viele der hier lebenden geflüchteten Menschen müssen mit der ständigen Sorge um Angehörige klarkommen. „Angehörige, die sich in verzweifelten Lebenslagen befinden, sei es in ihren Heimatländern, sei es auf der Flucht, sei es in irgendwelchen Lagern“, so Günter Kehrbaum.
Wais Ahmads Faizis Mutter hat sich während des Gesprächs mit unserer Redaktion fest in ihre Winterjacke gewickelt, ihre Gesichtszüge sind gezeichnet von Schmerz. Die gesamte Familie sei unfassbar traurig, immer wieder würden sie gemeinsam weinen, sagt ihr Sohn.
Wais Ahmad Faizi versucht sich jetzt darauf zu konzentrieren, hier Fuß zu fassen. Sein Traum ist, Busfahrer zu werden. Doch das ist eine kostspielige Sache; der Führerschein ist teuer. Und wessen Herz gerade zu schwer vor lauter Trauer ist, der hat eben womöglich einfach nicht die Kraft, von Amt zu Amt zu tingeln, um mögliche Unterstützung zu erbitten.
Geboren in Recklinghausen, aufgewachsen in Oer-Erkenschwick, studierte in Münster (Publizistik und Kommunikationswissenschaft), sammelte Berufserfahrungen in Fulda und an den Unis in Paderborn und Wuppertal, bis die Sehnsucht nach dem Ruhrgebiet zu groß wurde. Und nun: Redakteurin für Waltrop, Datteln und Oer-Erkenschwick – mit viel Freude an Menschen, Nachrichten sowie kleinen und großartigen Geschichten.