
© Christine Horn
Mutter getötet, Vater verfolgt, Tante verschwunden - Prince Juniors unglaubliche Odyssee
Fußball
Es war auf der Auswärtsfahrt nach Unterrath, als Prince Junior Kofane Aristophane seinem Trainer die Lebensgeschichte erzählte. Coach Athavan Varathan: „Im Auto war es plötzlich ganz still.“
Wie viel Leid kann eine Kinderseele aushalten? Auch unserer Redaktion hat der junge Fußballer Prince Junior Kofane Aristophane vom VfB Waltrop seine Leidensgeschichte erzählt. Er spricht hervorragend Deutsch, wenn er aber erzählt, dann auf Französisch. Alles begann damit, dass sein Vater als politisch Verfolgter 2012 aus Kamerun floh, seine Mutter wurde getötet. Als wäre das nicht alleine schon schrecklich genug. Es folgte eine unglaubliche Odyssee...
2013 flog Prince Juniors Tante mit ihm und Zwillingsbruder Raphael - sie waren damals neun Jahre alt - in die Türkei. Die Tante verschwand plötzlich, die Jungs waren auf sich alleine gestellt. „Dann fragten uns türkische Polizisten, warum wir alleine unterwegs seien. Wir sagten, dass wir niemanden haben und kamen in ein Kinderlager“, erinnert sich Prince Junior. „Unser Papa arbeitete damals illegal in Frankreich. Es dauerte einen Monat, bis er wusste, wo wir waren.“
Vier Jahre waren Prince Junior und sein Zwillingsbruder in einem türkischen Lager untergebracht
Vier Jahre lang blieben sie in diesem Lager. „Sie waren nett zu uns, wir sagten Mama zu den Betreuerinnen. Und wir hatten Kontakt zu unserem Papa.“ Im Fernsehen hätten sie dann gesehen, wie Menschen von der Türkei aus in Schlauchbooten nach Europa fliehen. „Raphael hatte Angst, das zu tun. Ich glaubte, das ist unsere einzige Chance“, erzählt der 18-Jährige.
Wie aber würden sie die Schleuser bezahlen können? „Wir wurden von einem Afrikaner angesprochen. Er bot uns an, dass wir bei ihm arbeiten und uns so das Geld verdienen könnten.“ Im Winter 2017 war es soweit. „Wir haben nichts mitgenommen aus dem Lager. Das wäre ein zu großes Risiko gewesen“, erzählt Prince Junior.

Prince Junior (4.v.r.) mittendrin: Im Testspiel gegen den SC Weitmar stand er in der Startformation. © Christine Horn
Sieben Stunden dauerte die Fahrt, die in einem Wald endete. „Dort waren schon viele Flüchtlinge, immer wieder tauchte die Polizei auf. Es war sehr kalt“, erinnert sich der junge Mann an die Winternächte.
Dann auf einmal ging alles ganz schnell. „Morgens um 7 Uhr ging es los. Alle wollten einen Platz in dem Schlauchboot haben.“ Rücksicht auf die Jugendlichen hätten die anderen Menschen nicht genommen. „Da gibt es keinen Status, ich war damals 13, sah aber aus wie 17. Wir hatten uns durch das kalte Wasser ins Boot gekämpft.“
„Wir sind knapp am Tod vorbeigeschrammt“
Eine Stunde lang sei das Boot mit den 30 Menschen in der Ägäis unterwegs gewesen. „Dann kam uns plötzlich die griechische Polizei mit einem riesengroßen Schiff entgegen. Wir wurden aufgefordert, unser Boot zu stoppen. Das taten wir nicht, sie provozierten uns. Sie fuhren so nah an uns heran, dass viel Wasser in unser Boot schwappte.“ Das Schlauchboot geriet in gefährliche Schieflage. „Da sind wir knapp am Tod vorbeigeschrammt.“
Dann war der Motor ausgefallen, die Polizei ließ eine Strickleiter herunter. „Frauen und Babys durften als erste an Bord, dann die Kinder und Männer. Raphael und ich waren die letzten, die das Schlauchboot verließen.“
Sie wurden zur griechischen Insel Xios gebracht. Dort verbrachten sie einen Monat in einem Camp. Sie schlugen sich nach Athen durch, wurden aufgegriffen, gaben vor, dass sie schon 18 Jahre alt sind. „Wir kamen ins Gefängnis, bis Papa es von Frankreich aus geschafft hatte, zu bestätigen, dass wir noch nicht 18 sind.“ Dort sei es besonders schlimm gewesen. „Wir hatten keine Gefühle mehr. In dem Gefängnis rauchten die Leute, wir bekamen mit, wie sie versuchten, sich umzubringen. Andere haben nichts mehr gegessen, weil sie lieber sterben wollten.“
Nächste Station: Ein Kinderhaus in Athen
Die nächste Station des Zwillingspaares war ein Kinderhaus in Athen. „Dort war es tausendmal besser als im Camp“, erzählt Prince Junior. Das Ziel, seinen Papa endlich wieder in die Arme schließen zu können, verfolgten er und sein Bruder aber weiterhin. Prince Junior schaffte es, per Flugzeug nach Spanien zu kommen, per Zug ging es über Frankreich Richtung Deutschland - besser gesagt nach Dortmund-, wo sein Vater mit seiner neuen Lebensgefährtin wohnt.
Sein Papa arbeitet als Fahrer bei einer Spedition, ist verheiratet, Prince Junior und Raphael haben mittlerweile noch vier Geschwister, sie mögen ihre neue Mutter sehr. „Wir sagen Mama zu ihr. Als ich dann in Dortmund ankam - Raphael folgte eine Woche später - und als ich meinen Papa wieder sah, haben wir nur noch geweint. Wir hatten uns sieben Jahre nicht gesehen“, erzählt der 18-Jährige und berichtet weiter, dass die beiden Brüder und der Vater zunächst in ein Lager nach Gladbeck gebracht worden waren, später nach Hamm. Mittlerweile wohnen sie in Dortmund, Prince Junior besucht die 9. Klasse des Paul-Ehrlich-Berufskollegs. Sie alle haben aktuell den Status der Duldung. „Ich will arbeiten, warte aber auf die Erlaubnis.“
„Ata hat mir gezeigt, wie wichtig ich ihnen bin“
Der junge Mann spielt erst seit drei Jahren Fußball, begann in der Kreisliga C bei der SG Lütgendortmund, wechselte dann zur SG Wattenscheid und später in die U19 von Eintracht Dortmund. Im Heimspiel gegen den VfB Waltrop erzielte Prince Junior den einzigen Treffer für die Dortmunder. „In diesem Spiel war er uns aufgefallen“, erzählt Athavan Varathan, gemeinsam mit Marco Taschke Trainer der U19-Junioren beim VfB Waltrop.

U19-Trainer Athavan Varathan (r.) hat Prince Juniors Familie in Dortmund schon besucht. © Christine Horn
Sie schafften es, den Jungjahrgangsspieler nach Waltrop zu holen, Varathan besuchte die Familie in Dortmund. „Es war ein tolles Gespräch: Ata hat mir gezeigt, wie wichtig ich ihnen bin“, so Prince Junior. „Als er dann das erste Mal in die Kabine kam, sagte er, er wolle für den VfB kämpfen und aufsteigen. Seine kollegiale Art kam bei den Jungs super an“, so Varathan.
Am Ende unseres Gespräches blickt Prince Junior hoch. „Es gibt kein Wort, das ausdrückt, wie es mir geht. Ich habe acht Jahre gebraucht, um hier zu sein. Darüber bin ich sehr froh.“ Dann schnipst er mit den Fingern, als er sagt: „Innerhalb einer Sekunde kann aber alles vorbei sein.“
1969 in Koblenz geboren, begann sie 1991 das Volontariat beim Bauer-Verlag. Noch während der Oberstufenzeit wurde ihr von den Lehrern im Rheinland ein grausiges Bild des Ruhrgebiets vermittelt. Doch sehr schnell lernte sie die Region und die Menschen schätzen - und lieben. Längst hier verwurzelt, lebt sie seit 1993 in Waltrop, mit Mann und zwei Töchtern. Ob im Sport oder im Lokalen sind es die erzählten Geschichten, die sie so sehr an ihrem Beruf schätzt.