150 Jahre Stahl- und Eisengeschichte zum Entdecken
Henrichshütte Hattingen
150 Jahre lang entstanden auf der Henrichshütte Hattingen Eisen und Stahl. Sie prägte das Gesicht der Region. Heute ist das Gelände ein Museum und beherbergt den ältesten noch erhaltenen Hochofen des Reviers. Wir zeigen hier, warum ein Besuch vor Ort außerdem noch spannend ist.

Die Henrichshütte in Hattingen hat einen ganz eigenen, morbiden Charme.
Schwere Arbeit dringt der Henrichshütte Hattingen aus jedem Winkel. Sie steckt in jeder Schraube und jedem Stahlträger, liegt auf verwitterten Schienen und hängt zwischen alten Rohren. Schwere Arbeit hat das Gesicht der Henrichshütte gezeichnet. Doch dort, wo einst Eisen gegossen, gewalzt und geschmiedet wurde, hat auch der Rost inzwischen seine Spuren hinterlassen. Als Museum des Landschaftsverbands-Westfalen Lippe (LWL) ist das einst so traditionsreiche Werk heute ein eindrucksvolles Beispiel für Aufstieg, Blüte und Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie im Revier.
Über 10.000 Menschen arbeiteten zur Hochzeit auf der Henrichshütte Hattingen. Sie produzierten Koks, Eisen und Stahl, gossen, walzten und schmiedeten das Metall und fertigten alles vom Autoblech bis zum Raketenbauteil. 150 Jahre sprühten die Funken an den Hochöfen der Hütte, bis 1987 der letzte Hochofen endgültig ausgeblasen wurde – unter langem Widerstand und Protest der ganzen Region. Der Hochofen III ist heute der älteste noch erhaltene Hochofen im Revier und gleichzeitig das größte Ausstellungsstück im LWL-Industriemuseum.
Ausgearbeiteter Rundgang
Wer das große Gelände der ehemaligen Henrichshütte besucht, kann unter verschiedenen Rundgängen durch das Areal wählen. Der „Weg des Eisens“ folgt dem Materialfluss von Erz, Koks und Kalk bis zum flüssigen Roheisen. Der „Weg der Ratte“ ist ein speziell für Kinder ausgearbeiteter Rundgang, der sie unter Anleitung des Museumsmaskottchens spielerisch in die Geheimnisse von Stahl und Eisen einweiht. Und der „grüne Weg“ zeigt, wie sich Flora und Fauna die Industriebrache seit der Stilllegung nach und nach zurückerobern.
Startpunkt ist für alle Touren der Eingang in der ehemaligen Gebläsehalle. Von hier aus führt der Weg des Eisens Besucher über das Gelände – über staubige Schotterwege, unter rostroten Rohren hindurch und über zahllose Gleisstränge. Immer im Blick der Hochofen, der wie der letzte Überlebende Zeugnis einer glanzvolleren Zeit ablegt. Zunächst geht es aber über den alten Bahnsteig zum Labor. Bevor Erz, Koks und Kalk auf der Henrichshütte zu Eisen verarbeitet wurden, prüften Chemiker hier unter großen Zeitdruck Qualität und Zusammensetzung der Rohstoffe. Heute veranschaulicht ein großes Schaubild die Prozesse, die in den glühenden Tiefen des Hochofens abliefen – vom Einfüllen der Rohstoffe bis zum Abstich des Eisens.
Mittelalterliche Probierkunst
Wer sich noch intensiver mit dem Einfluss der Chemie auf die Eisen- und Stahlproduktion auseinandersetzen möchte, kann bis zum 3. April die Sonderausstellung „Historischer Streifzug durch das chemische Labor“ in der Gebläsehalle besuchen. Acht Themeninseln zeigen den Wandel der Chemie von der mittelalterlichen Probierkunst bis zum Labor der Gegenwart. Ausgestellt sind alte Phiolen, Glaskolben und Apparate bis hin zu modernen Testverfahren. Ein extra Teil beschäftigt sich mit der Qualitätsprüfung auf der Henrichshütte. Einige der Begriffe und Beschreibungen sind allerdings zum Teil schwer verständlich und brauchen etwas Zeit zum Einlesen in das Thema.
Vom Labor der Henrichshütte führt der Rundgang zur Übergabestation, wo die Geschichte der Hütte erzählt wird – vom Anblasen des ersten Hochofens 1855 bis zur Stilllegung des letzten Heißbetriebs, der Schmiede, im Jahr 2004 und der Umwandlung des Areals in den Gewerbe- und Landschaftspark Henrichshütte. Nach der Übergabestation führt der „Weg des Eisens“ seine Besucher nun auf den Hochofen zu. Es geht vorbei an alten Eisenbahnen und Waggons, von der Weite des Geländes in die Enge der Erztaschen.
Schmelzer oder Schlackenmann
Beim Gang durch die Dunkelheit der Erz- und Kohlebunker, zwischen den tiefen Räumen und niedrigen Gängen, lässt sich wohl am besten erahnen, wie hart die Arbeit auf der Henrichshütte einst war. Während des Rundgangs begegnet man auf Fotos, in Texten, Filmen und Tonbandaufnahmen den Menschen, die hier als Erzbrückenarbeiter, Möllerfahrer, Schmelzer oder Schlackenmann gearbeitet haben. Sie erzählen ihre Geschichten von Arbeit und Leben mit Eisen und Stahl.
Henrichshütte Hattingen
Neben den Zeugnissen der ehemaligen Arbeiter wirken sonst vor allem das Gelände und die Überreste der Henrichshütte an sich. Große Multimediaeffekte oder gezwungene Museumspädagogik fehlen, sie werden auf den Rundgängen aber auch nicht wirklich vermisst. Der raue Charme der Industriebrache und die sichtbare Entwicklung vom Aufstieg bis zum Niedergang einer ganzen Arbeits- und Lebenswelt hinterlässt auch so einen bleibenden Eindruck.
Wer seinen Weg durch die Erztaschen hindurch gefunden hat, steigt hinauf zur Erzbrücke, geht vorbei an Maschinenhaus und Winderhitzern bis an den Fuß des Hochofens.
Eisen- und Stahlindustrie
Immer wieder kreuzt der „Grüne Weg“ die Route, ein kleiner Abstecher lohnt, sich umzusehen, wo wilder Majoran und Götterbaum, Schmetterlinge und Turmfalken heute ein Zuhause gefunden haben. Vom Fuß des Hochofens III geht es schließlich mit dem Fahrstuhl hinauf. Das Gelände und die Region sind beim Rundumblick von oben gut zu sehen – und auch die Furchen, die Narben und die Zeichen des Wandels, die die Eisen- und Stahlindustrie in der Landschaft hinterlassen hat.
Vom weit sichtbaren Mittelpunkt der Henrichshütte geht es Treppe für Treppe hinunter in die Gießhalle, das Herz der Hochofenanlage. Bei Tag und Nacht wurde in der Halle das 1400 Grad heiße Eisen abgestochen. Inzwischen fließt auf der Henrichshütte – fast 30 Jahre nach der Stilllegung des letzten Hochofens – wieder flüssiges Eisen. In den Schaubetrieben wird wieder Eisen gegossen und Stahl geschmiedet. Besucher können hier von März bis Oktober sogar selbst Hand anlegen. Kinder können auch am Spielehochofen „Rackerhütte“ die Arbeit am Hochofen nachempfinden. Neben den drei schon existierenden Rundwegen ist der „Weg des Stahls“ zurzeit im Aufbau. Er zeigt, wie das heiße Eisen aus der Gießhalle in haushohen Konvertern in schmiedbaren Stahl verwandelt wurde und erzählt die Geschichte vom Gießen, Walzen und Schmieden – und vom Untergang des größten Stahlwerks der Region.