Der Ofen glüht wieder in der Henrichshütte

Serie Welterbe : Folge 19

Der Schrank ist voll von Aluminiumfiguren: In Form von Bergmännern, Stinkefingern, Eulen, Wildschweinen und Grubenlampen stehen sie in einem Hinterzimmer der Schaugießerei der Henrichshütte Hattingen. Ehemalige Hüttenarbeiter haben sie für die Besucher gegossen, dort, wo früher tonnenweise Stahl produziert wurde.

HATTINGEN

von Von Anna Altfelix

, 07.01.2013, 19:55 Uhr / Lesedauer: 2 min

Gerd Hehs leitet die Schaugießerei des LWL-Industriemuseums Henrichshütte Hattingen, wo seit 1997 frühere Hüttenarbeiter den Besuchern die Arbeitsschritte eines Gusses vermitteln: Vom Anmischen des Füllsandes und das Einformen der Modelle über das Schmelzen und Abgießen bis zum Putzen und Nachbearbeiten der fertigen Gussstücke. Auf der Hütte wird wieder gegossen, wenn auch nicht mehr in Tonnen, sondern nur in Kilogramm.Finger am Feuer

Bis zu 600 Tonnen Rohgewicht hatten die Maschinenteile, die die Stahlformer auf der Hütte früher herstellten, erzählt Gerd Hehs. "Wir haben Produkte für die Industrie gefertigt, beispielsweise Pressen oder Schiffsteile", sagt Gerd Hehs. Der 55-Jährige kann, wie er sagt, die Finger nicht vom Feuer lassen.Heiß und dreckig Schon der Großvater und der Vater waren Stahlformer, auch Hehs konnte sich nie etwas anderes vorstellen: "Former war immer mein Traumberuf, auch wenn es ein harter Job war." Heiß und Dreckig, sagt Hehs, der einige Arbeitsunfälle hatte. Nicht so schlimm wie sein Kollege, der einmal in flüssiges Metall hineingefallen ist.Kaputte Knochen Aber die schwere körperliche Arbeit hat bei allen ihre Spuren hinterlassen. "Die Knochen sind kaputt, keiner von uns ist gesund, aber ich würde es wieder so machen."

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Henrichshütte Hattingen

Heute sprühen wieder die Funken: In der Henrichshütte Hattingen, einem ehemaligen Hüttenwerk zur Eisen- und Stahlerzeugung, das ab 1987 stillgelegt wurde, ist heute im LWL-Industriemuseum eine Schaugießerei beheimatet. Gerd Hehs und einige ehemalige Kumpels haben die Gießerei errichtet, um Besuchern die Faszination des Formens und Gießens zu vermitteln.
18.12.2012
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Karl Nießen zeigt den Füllsand, der in die Kästen gegeben wird.© Foto: Altfelix
Diese Figur wird heute gegossen.© Foto: Altfelix
Friedrich Backhaus misst die Temperatur im Ofen.© Altfelix
Das Eisen wird auf etwa 1600 Grad erhitzt.© Foto: Altfelix
Die Männer heben das Gefäß mit dem flüssigen Eisen aus dem Ofen.© Foto: Altfelix
Schutzanzüge sind wegen der hohen Temperaturen Pflicht.© Foto: Altfelix
Karl Nießen gießt die Formen aus.© Foto: Altfelix
Heute fertigt die Gießerei für Privatleute und Unternehmen Figuren an.© Foto: Altfelix
Gerd Hehs hat ist schon bei der Henrichshütte in Lehre gegangen, heute leitet er die Schaugießerei.© Foto: Altfelix
Heute ist das Gelände der Henrichshütte eine Industriebrache.© Foto: Altfelix
Ein Panzerabwehrgeschütz steht heute noch auf dem Gelände der Henrichshütte.© Foto: Altfelix
Die Gußformen sind im Regal aufgereiht.© Foto: Altfelix
Hinweisschilder in einer der ehemaligen Werkshallen.© Foto: Altfelix
Die alten Schilder haben die Arbeiter aufgehoben.© Foto: Altfelix
Die ehemaligen Hüttenarbeiter Peter Jiderkowiak und Herbert Halfter bauen das Walzwerk im Maßstab 1:100 nach.© Foto: Altfelix
Gegründet würde die Henrichshütte 1854 zur Produktion von Eisen und Stahl aus dem Rohmaterial Eisenerz. 1855 wurde der erste Hochofen angeblasen. Mit einer Tagesleistung von 25 Tonnen Roheisen galt er als der leistungsstärkste des damaligen Ruhrgebiets.Unter Denkmalschutz Nichts war das gegen die 800 Tonnen, die der 1939 gebaute Hochofen 3 erbracht hat. Er ist heute als ältester erhaltener Hochofen im Ruhrgebiet unter Denkmalschutz gestellt. Die Öfen in den 60er-Jahren kamen gar auf eine Tagesleistung von 2400 Tonnen. Die Henrichshütte verband als gemischtes Werk unter einem Dach Eisen- und Stahlerzeugung sowie Produktion. Ergänzt wird die Anlage durch die 1906 errichtete Gebläsehalle und die bauliche Hülle eines 1873 errichteten Bessemer-Stahlwerks, das als Ensemble in Europa wohl einzigartig ist.Stilllegung ab 1986 1986 machte das Walzwerk als erstes zu, 1987 wurde der letzte Hochofen in Hattingen ausgeblasen. Gegen erheblichen Widerstand der Arbeiter, erinnert sich Hehs. Genützt hat es nichts, die letzen Anlagen wurden 2004 geschlossen, exakt 150 Jahre nach Gründung der Hütte.Alles rausgeschleppt Für Hehs war es nicht hinnehmbar, dass die Anlage zerstört wird. "Ich habe alles rausgeschleppt, was zu retten war." Auch die ehemaligen Hüttenarbeiter Peter Jiderkowiak und Herbert Halfter wollen etwas von der Vergangenheit bewahren: Sie bauen seit acht Jahren das Walzwerk im Maßstab 1:100 nach.Faszination Schaugießerei 100 000 Besucher haben die Schaugießerei seit 2008 besucht. "Die Zuschauer sind fasziniert von den glühenden Öfen und dem fließenden Metall", sagt Hehs. Die Stahlformer und Gießer fertigen außer den Dekofiguren heute Ersatzteile für Oldtimer oder Lokschilder für Museen an. Und Rüstungsunternehmen testen noch heute in der Henrichshütte, ob ihre Panzerbleche halten.