
© Beate Rottgardt
Zweifache Mutter studiert mit 41: „Jeder kann so mutig sein“
Studium
Lena Schneider hat ihren Bachelor geschafft - mit 41 Jahren. Die zweifache Mutter aus Lünen hat erst vor drei Jahren mit dem Studium begonnen. Bereut hat sie es nicht, trotz Widrigkeiten.
Man merkt Lena Schneider an, dass sie glücklich und stolz ist, die erste Etappe ihres neuen Lebensweges geschafft zu haben. Trotz aller Widrigkeiten. Und sogar in der Regelstudienzeit. „Normalerweise dauert es wohl bei Müttern, die studieren, immer ein paar Semester länger.“
2018 hat sie im Wintersemester mit dem Studium begonnen, mit 38 Jahren und als Mutter von zwei Kindern. Klara ist heute neun Jahre alt, Julius zwölf. Als Lena Schneider Erstsemester wurde, war ihre Tochter noch im Kindergarten. „Als ich anfing, hab ich mir vorgenommen, alles so schnell wie möglich durchzuziehen.“ Da musste sie auch schon in einer Woche vier oder fünf Klausuren schreiben. Eigentlich wollte sie auch ihre Bachelorarbeit ein Semester früher schreiben, doch dann kam Corona dazwischen.
Austausch fehlt
„Drei Semester habe ich bisher in Präsenz an der Uni studiert, jetzt bin ich schon im vierten Semester, das nur online funktioniert“, sagt Lena Schneider. Ihr fehlt schon der Austausch mit anderen Studierenden vor Ort. Auch wenn sie natürlich Kontakt online hält. Neben der Begegnung mit den jüngeren Studierenden, die direkt nach dem Abitur an die Uni kamen, hat sie auch Kommilitoninnen kennen gelernt, die auch schon Familie haben und vorher einen ganzen anderen Beruf wie Sekretärin oder Logopädin. „Wir sind in der gleichen Lage und dieser Austausch ist wichtig.“
Auch die Feierstunde zur Bachelor-Prüfung wird nur online stattfinden. „Dann sitzen wir mit der Familie vor dem Computer, statt vor Ort zu feiern.“ Ihre Familie unterstützt Lena Schneider. Auch wenn es mit schulpflichtigen Kindern nicht so einfach ist, zu studieren. „Oft kann ich erst mit meinen Sachen anfangen, wenn die Kinder im Bett sind. Diese Woche hab ich schon mal bis 1.30 Uhr nachts am Computer gesessen.“

Am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hat Lena Schneider ihr Abitur gemacht. Bis sie jedoch mit dem Studium begann, dauerte es einige Jahre. © Stadt Lünen
Bereut hat sie ihren Entschluss, den geraden Weg im Berufsleben zu verlassen, nicht. Denn sie kommt ihrem Ziel, Lehrerin für Sonderpädagogik zu werden, immer näher. Ein Wunsch, den sie schon lange hat. Doch nach dem Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium entschied sie sich für eine Berufsausbildung. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, da hatte noch niemand studiert.“ Nach dem Abitur zog sie aus, stand früh auf eigenen Beinen. „Ich hab ein soziales Jahr gemacht an einer Schule für Kinder mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung. Da haben mir die Lehrer schon gesagt, studiere doch Sonderpädagogik.“
Doch es sollte noch lange dauern, bis sie den Mut dazu aufbrachte. „Ich hätte Bafög beantragen können, wollte mich aber nicht verschulden und entschied mich dann, eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin zu machen.“ Bevor sie ihre Kinder bekam, arbeitete sie in diesem Beruf in einem Wohnheim für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Schichtdienst. Um dann Zeit für Julius und Klara zu haben, wechselte sie in den Nachtdienst, doch das brachte sie an ihre körperlichen Grenzen. „Ich hab irgendwann nur noch drei oder vier Stunden geschlafen.“
Sie kündigte ihren unbefristeten Vertrag und wechselte an eine Waldorf-Förderschule, um einen Schüler mit geistigen Beeinträchtigungen zu unterstützen. „Das hat viel Spaß gemacht, war aber schlecht bezahlt. Und ich habe wieder gemerkt, dass ich Lehrerin werden will.“
2017 pilgerte sie mit einer Freundin in den Herbstferien auf dem Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela und hatte dabei viel Zeit zum Nachdenken und entschied sich für eine berufliche Veränderung. „Alternativ hätte ich eine fachspezifische Zusatzausbildung an der Waldorfschule machen können. Aber mein Mann hat mich bestärkt und meinte, mach es doch gleich richtig und studiere.“
Genügend Wartesemester
2018 bewarb sie sich für einen Studienplatz. „Es kam eigentlich nur Dortmund in Frage, denn sonst wäre es mit den Kindern nicht gegangen.“ Sie hatte Glück und bekam ihren Studienplatz. Der hohe NC war kein Problem: „Ich hatte ja ausreichend Wartesemester.“ Der erste Tag an der Uni war aufregend: „Ich kannte ja niemanden, der mit mir zusammen anfing. Hab auch vorher viele Mails an die Uni geschrieben.“
Am Beginn des Studiums hatte sie permanent Kopfschmerzen von dem vielen ungewohnten Input. „Ich musste mich erst daran gewöhnen, wissenschaftliche Texte zu lesen und bei meinen ersten Referaten war ich ganz schön aufgeregt.“ Technische Unterstützung bekommt sie von jungen Studierenden, denen sie dann mit ihrem Organisations-Talent zur Seite steht.
Bei der Orientierungswoche an der TU lernte sie noch niemanden kennen, doch bei Veranstaltungen der Fachschaft kam sie mit einer anderen Studierenden ins Gespräch. „Sie ist zehn Jahre jünger, hat aber auch zwei Kinder, wir haben auch die gleichen Fächer und viele Veranstaltungen zusammen.“ Die beiden sind aber nicht die einzigen, die nicht sofort nach dem Abi mit dem Studium starteten. Unter den Kommilitoninnen sind auch eine Mutter von fünf Kindern, eine Physiotherapeutin, die noch arbeiten muss, um das Studium zu finanzieren und eine Logopädin, die Grundschullehrerin werden will.
„Man muss es einfach wagen und eigentlich kann jeder so mutig sein“, sagt Lena Schneider. Als ihre beiden Kinder klein waren, hat sie ihrem Mann Christian den Rücken freigehalten, damit er Karriere machen kann. Jetzt unterstützt er seine Frau. Und auch ihr Vater und die Schwiegermutter sprangen ein, als Lena Schneider an der Uni Veranstaltungen bis abends hatte.
„Es ist jetzt ganz witzig, die Kinder und ich vergleichen immer, wie ihre Arbeiten und meine Klausuren ausfallen.“ Urlaube in Herbst- und Osterferien sind für Lena Schneider nicht möglich, weil da die Semester beginnen. „In den Sommerferien musste ich dann für die Prüfungen lernen.“ Immerhin - in diesem Jahr fuhr die Familie dann doch drei Wochen zusammen in den Urlaub. „Ich habe vorgearbeitet, hatte deshalb weder Karteikarten noch Laptop mit dabei.“ Sehr zur Freude von Klara und Julius.
Tochter im Hörsaal
In den ersten Semestern nahm Lena Schneider Klara ab und zu mit in den Hörsaal. „Mit Malblocks, damit sie etwas zu tun hatte. Aber ich war immer angespannt, weil die Dozenten ja Ruhe haben wollten und vorne alles hörten, was gesprochen wurde.“ Wegen Corona waren dann in den Lockdowns bei Familie Schneider Home-Schooling und Home-Office zu viert angesagt. „Natürlich hatten wir nicht die erforderlichen vier Endgeräte, aber irgendwie ging es.“
Zu Beginn ihres Studiums wollte Lena Schneider als Lehrerin an einer Förderschule für geistige Entwicklung arbeiten. „Jetzt hat sich mein Blick auf Inklusion verändert, ich glaube, man sollte die Ressourcen anders nutzen, nicht nur an Förderschulen im Team und mit kleineren Klassen arbeiten.“
Noch hat sie aber etwas Zeit. Das Masterstudium dauert vier Semester. Im dritten davon will sie ihr Praxissemester absolvieren. Dass sie schon Berufserfahrung hat und selber Mutter ist, ist für sie ein Vorteil: „Ich denke, ich werde mehr Verständnis für die Eltern meiner künftigen Schüler haben.“ Auch beim Referendariat, das nach dem Master-Abschluss folgt, wird sie davon profitieren, dass sie längst gewohnt ist, jeden Tag arbeiten zu gehen.
Zu Beginn ihres Studiums merkte sie, dass ihr Sohn wohl ihre Erfahrungen an der Uni eher abschreckend fand und er möglicherweise später keine Lust haben würde, zu studieren. „Inzwischen bin ich aber eher ein Vorbild, weil er merkt, dass man nicht immer den geraden Weg gehen muss.“ Dabei hatte auch sie Selbstzweifel, gerade vor der Bachelorarbeit, die sie bei einem Dozenten schrieb, den sie nur per Bildschirm sah. Doch die positiven Seiten überwiegen und so geht sie ihren persönlichen Weg weiter - mit Unterstützung ihrer Familie.
Beate Rottgardt, 1963 in Frankfurt am Main geboren, ist seit 1972 Lünerin. Nach dem Volontariat wurde sie 1987 Redakteurin in Lünen. Schule, Senioren, Kultur sind die Themen, die ihr am Herzen liegen. Genauso wie Begegnungen mit Menschen.
