Verteilungskampf im Lüner Straßenverkehr

© Peter Fiedler

Verteilungskampf im Lüner Straßenverkehr

rnVerunglückte Radfahrer

Zu wenig Raum für zu viele Fahrer. Die Radfahrunfälle in Lünen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent. Wie wird diese Entwicklung vor Ort bewertet? Wir haben nachgefragt.

Lünen

, 01.03.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Zahl der Verkehrsunfälle mit dem Fahrrad in Lünen ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr stark angestiegen. Insgesamt sind 123 Radfahrer verunglückt - ein Plus von 50 Prozent.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Lünen hat diese Zahlen bereits erwartet. „Die Unfallzahlen muss man eben relativieren, wenn mehr gefahren wird“, erklärte Sprecher Hans-Jürgen Heidenreich, der für die Verkehrs-Politik und -Planung zuständig ist. Der Raum werde kleiner, da es neben den vielen Radfahrern auch mehr und größere Autos gebe, sowie Kurzstrecken die heute oft mit dem Auto bewältigt würden.

ADFC-Sprecher Jürgen Heidenreich: „Die Leute werden egoistischer und drängeln sich durch.“

ADFC-Sprecher Jürgen Heidenreich: „Die Leute werden egoistischer und drängeln sich durch.“ © Martina Niehaus

Auch die Beliebtheit der Elektrofahrräder (Pedelecs) spiele eine entscheidende Rolle. Dadurch steige die Motivation, besonders für die älteren Menschen, wieder längere Strecken mit dem Fahrrad zu fahren. Allerdings sind laut Heidenreich die Älteren oft ungeübt und anfällig für Unfälle. Heidenrich nimmt eine Art Verteilungskampf im knappen Verkehrsraum wahr: „Die Leute werden egoistischer und drängeln sich durch“, sagt Heidenreich.

Stadtsprecher: „Das ist eine Mahnung für uns“

Die Stadt habe mit dem starken Anstieg der Unfallzahlen nicht gerechnet, erklärte Sprecher Benedikt Spangardt auf Anfrage: „Vielmehr ist es eine Mahnung für uns, weiter zum Schutz der Radfahrer aktiv zu bleiben.“ Möglicherweise spiele beim Anstieg der lange Sommer 2018 eine Rolle, weil wegen des schönen Wetters mehr Radverkehr geherrscht habe.

Den „Fahrradboom“ bewertet Hans-Jürgen Heidenreich als Sprecher des ADFC grundsätzlich als positive Entwicklung, allerdings müssten auch Politik und Verwaltung reagieren und dem Trend zur Radfahrkultur mit geeigneten Maßnahmen folgen: „Lünen ist eine sehr beliebte Radfahrstadt, da die Distanzen ideal sind und es wenig Steigung gibt“, betont Heidenreich.

Stadt verweist auf das Programm „Rad+“

Stadtsprecher Spangardt verweist darauf, dass der Rat das Handlungsprogramm „Rad+“ beschlossen habe. Projekte darin betreffen laut Spangardt besonders die Infrastruktur: Schilder werden ausgetauscht, Markierungen aufgebracht, Ampeln überprüft und Haltegriffe angebracht.

Allein die Stärkung der Infrastruktur helfe allerdings nicht. Spangardt sieht die größere Verantwortung bei den Verkehrsteilnehmern selbst: „Es ist wichtig, dass Menschen im Straßenverkehr auf sich Rücksicht nehmen. Diese kann durch keine Markierung, kein Verkehrsschild und keine Ampel ersetzt werden.“

ADFC: Abbiegeassistenten hätten wahrscheinlich Leben gerettet

An der Kreuzung Moltkestraße/Konrad-Adenauer-Straße starben in den vergangenen Jahren mehrere Radfahrer, die unter abbiegende Lastwagen gerieten. Die Stadt hat sich bemüht, den Radverkehr dort sicherer zu führen. Aus Sicht des ADFC müssen aber auch LKW-Produzenten und der Gesetzgeber dringend etwas unternehmen. So hätte die rechtzeitige Einführung sogenannter „Abbiegeassistenten“, die den toten Winkel erfassen, in Lünen wahrscheinlich Leben gerettet, meint Heidenreich.

Das sogenannte „freie Rechtsabbiegen“ ohne Ampelregelung, wie es zum Beispiel von der Kurt-Schumacher-Straße in die Cappenberger Straße möglich ist, halten ADFC und Stadt für eine Unfallursache.

Das sogenannte „freie Rechtsabbiegen“ ohne Ampelregelung, wie es zum Beispiel von der Kurt-Schumacher-Straße in die Cappenberger Straße möglich ist, halten ADFC und Stadt für eine Unfallursache. © Peter Fiedler

Ursache für viele Radunfälle, da sind sich ADFC und Stadt einig, sind auch die sogenannten „freien Rechtsabbieger“, ohne Ampelregelung. Beim letzten Ausschuss für Sicherheit und Ordnung am 12. Februar habe ein Gutachter sogar bewiesen, dass der Wegfall des „freien Rechtsabbiegens“ nicht unbedingt mehr Stau bedeuten würde. Auch die Stadt sei mit dem Vorschlag einverstanden, wenn so mehr Sicherheit geboten wird.

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Einen weiteren Grund für den Anstieg der Unfälle sieht Jürgen Heidenreich vom ADFC in der Handynutzung. Die Fahrer seien dadurch unkonzentriert nähmen nur passiv am Straßenverkehr teil.

Und wie steht der ADFC zur Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer? Eher kritisch. Man sei davon überzeugt, so Heidenreich, dass bei einer Helmpflicht wieder mehr Menschen vom Fahrrad auf das Auto umsteigen würden. Die Freiheit müsse bestehen bleiben. Stadtsprecher Spangardt betont, dass ein Helm keinen Unfall verhindert, sondern nur die Unfallfolgen mildern könne. Andere Maßnahmen müssten eher in den Fokus rücken.

Schüler üben weniger „im geschützten Raum“

Den hohen Anteil der verunglückten Kinder mit dem Fahrrad begründen Heidenreich und Spangardt mit dem Rückgang vom „Üben im geschützten Raum“ mit der Polizei. Die Polizei führt in den Grundschulen zwar noch den sogenannten „Fahrradführerschein“ durch, aber nicht mehr die vertiefenden Übungen in den dritten Klassen. Die Stadt werde sich dafür einsetzen, dass diese Übungen wieder eingeführt werden, kündigt Spangardt an.

Fahrradtraining für Senioren
  • Die Volkshochschule Lünen bietet in Kooperation mit dem ADFC, der Polizei und der VKU ein Fahrradtraining für Senioren an.
  • Zwei Polizeibeamte werden über die wichtigsten Vorkehrungen informieren, auf die Radfahrer achten sollten, um möglichst viele Verkehrsrisiken auszuschließen. Zudem wird die Sicherheit Fahrrades fachkundig geprüft.
  • Uwe Greif von der VKU demonstriert unter Einsatz eines Busses, wie gefährlich der „tote Winkel“ ist.
  • Die Firma Mönninghoff stellt drei Pedelecs für Probefahrten zur Verfügung und beantwortet technische Fragen. Die Teilnehmer müssen das eigene Fahrrad, einen Fahrradhelm (verpflichtend) und etwas zu trinken mitbringen.
  • Das Training findet am Verkehrshof der Jugendverkehrsschule Lünen, Bahnstraße in Lünen-Süd am Samstag, 16. März, von 11 bis 15 Uhr statt und kostet 15 Euro. Eine Anmeldung ist bis Freitag, 8. März, erforderlich bei der VHS, Tel. (02306) 104-2700 oder online.