
© Peter Adam
Ukrainische Geflüchtete erzählen von Flucht und kochen für ihre Helfer
Ukraine-Geflüchtete
In Brambauer wurde innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Haus für ukrainische Geflüchtete fit gemacht. Zwei Ukrainerinnen erzählen von der Flucht bis nach Lünen und kochen für ihre Helfer.
Was für Emotionen durchlebt ein Mensch, wenn der Vater, Bruder oder Sohn sagt „Flieh, verlass das Land, ich will, dass Du lebst“. Was empfindet die Tochter, der Sohn, die Schwester oder Mutter, wenn sie den geliebten Menschen verlassen und wissen, dass er in den Krieg zieht? Der Vater der 12-jährigen Kristina und des 15-jährigen Jaroslav und Ehemann von Marina (35) ist jetzt in der „Bürgerwehr“. Er ist in einem Versteck, an der Ortsgrenze, zu einem Vorort von Kiew. Er beobachtet die Umgebung auf feindliche Soldaten.
Auch Zorina (3), Ihr Bruder Svatoslav (10) und ihre Mutter Julia (32) haben sich von ihrem Vater und Lebensgefährten verabschiedet. Julias Lebensgefährte und ihr Bruder leisten bewaffneten Widerstand gegen die russischen Invasoren.
Erdlöcher als Schutzverstecke
Die Kriegsflüchtlinge gehören zur Familie, der seit 2000 in Lünen lebenden, Svetlana Karlovic. Obwohl Svetlana ihre Familienmitglieder Marina und Julia, mit ihren Kindern, in Sicherheit weiß, lebt sie in großer Sorge. Neben den Männern der Familie, sind Svetlanas Mutter und Großmutter weiterhin in dem Dorf nähe Kiew.

Die neun Geflüchteten aus der Ukraine, die in das Haus in Brambauer eingezogen sind: (v.l.) Jaroslav (15), Kristina (12), Marina (35), Ansenij (15), Viktorija (44), Valentyna (71), Svatoslav (10), Julia (32) und Zoriana (3). © Peter Adam
„Die Häuser in den ländlichen Dörfern haben keine Keller. Dort sind Erdlöcher, die wie Kartoffel-Keller funktionieren“ beschreibt Svetlana. Mit dem anfangenden Beschuss seien die „Erdlöcher“ zu Schutzverstecken umfunktioniert worden. So wird beschrieben, wie die Dreijährige Zorana mit Wärmflaschen, zum Schutz vor Kälte, vor dem feindlichen Beschuss in einem Erdloch versteckt wurde.
Granate schlug in nur wenigen Meter Entfernung ein
Der Auslöser zur Flucht war die Vernichtung eines Dorfes in rund 15 Kilometer Entfernung. Marina zeigt Fotos von Raketen, die über sie hinweg flogen und im Nachbardorf eingeschlagen seien. „Wohnhäuser, das Krankenhaus, Apotheken und die Schule, es ist alles weg“ sagt sie.

Auf diesem Bild ist ein Raketenangriff auf das Nachbardorf von Marina und ihrer Familie in der Ukraine zu sehen. © Peter Adam
„In wenigen Minuten“ beschreiben die Mütter Marina und Julia, hätten sie das nötigste gepackt und sich von ihren Männern verabschiedet. Die Flucht begannen Sie mit dem Auto. Sie befanden sich in einer Fluchtwelle, in einem kilometerlangen Stau. Sie kamen nur langsam auf teils von Panzerketten beschädigten Straßen vorwärts. In dem Konvoi wurden Marina, Julia und ihre Kinder angegriffen. Wenige Meter neben ihnen schlug eine Granate ein.
Das Auto neben ihnen wurde stark beschädigt und fing Feuer. Zwei Frauen in dem Auto konnten sich retten, der Mann hinter dem Lenkrad war eingeklemmt, konnte aber mit Brandverletzungen aus dem Auto gerettet werden. Das Ziel von Marina und Julia war ein nicht umkämpftes Gebiet der Ukraine.
Angst vor geschlossener Grenze zu Polen
Beschädigte Straßen und zerstörte Brücken ließen sie ihr Ziel zu Fuß erreichen. Die Städte und Dörfer im westlichen Teil der Ukraine, sind für viele Tausende aus den Kriegsgebieten das Ziel. Die Regionen seien völlig überlastet, berichten die fliehenden Frauen.
Die in Lünen lebende Svetlana nannte Marina, Julia und den Kindern den Flucht-Ort „Lünen“. Tanja Droege, Arbeitskollegin von Svetlana, bot das, eigentlich zum Verkauf stehende Wohnhaus der Familie Droege an. Da das Haus für mehr als sechs Menschen Platz bietet, fanden über die Tierschutzorganisation „Tasso“ noch drei weitere Flüchtlinge eine Unterkunft. Die 71-jährige Valentyna, ihre 44-jährige Tochter Viktoriya und Enkel Ansenij (15) stammen direkt aus Kiew.

Das WhatsApp-Bild von Marina zeigt die Zerstörung in einem Nachbardorf. © Peter Adam
Die neun berichten von schlimmen Erlebnissen, bis sie Polen erreichten. So seien die letzten Meter auf ukrainischem Boden, an der Grenze zu Polen, angsterfüllt gewesen. „Wie in einem großen Fußball-Stadion, mit nur einem Ausgang und alle wollen raus“ wird berichtet. Es sei eine panikartige Situation gewesen. Es wäre nicht vorwärts gegangen, die Angst sei aufgekommen, die Grenze könne zu sein. Es sei gedrängelt, geschrien und geweint worden. Erleichterung sei aufgekommen, als man nach Stunden auf polnischem Boden gestanden hätte.
„Mama, ein Flugzeug, wir müssen uns verstecken“
Körperlich sind die neun in Lünen angekommen. Die Gedanken sind aber noch in der Ukraine. „Schlimm es für die Kinder“ sagt Julia, die Kinder hätten Zerstörung und tote Menschen gesehen. Sie erzählt, wie ihre drei-jährige Tochter Zoriana im Garten ihrer Lüner Unterkunft gespielt hätte. Wie Zoriana am Himmel ein Verkehrsflugzeug gesehen hätte, sei sie schreiend ins Haus gelaufen „Mama, ein Flugzeug, wir müssen uns verstecken“. Marina erzählt, dass niemand in den ersten Nächten hätte schlafen können. Sirenen und Explosions-Geräusche seien noch immer präsent. „Schlimme Stress-Situationen“ durchleben die Frauen, so beschreibt Marina, wenn tageweise die Telefon- und Internetverbindung in die Ukraine unterbrochen ist. „Dann haben wir keinen Kontakt zu unseren Männern, unseren zurückgebliebenen Familienmitgliedern. Dann wissen wir nicht was los ist“ sagt Marina.
Zwei Wochen nach der Ankunft in Lünen, haben die Ukrainerinnen Familie Droege und ihre Nachbarn als kleines Dankeschön für die Aufnahme und die Hilfe zum Essen eingeladen. Es gab ukrainische Speisen.