
© Sylvia vom Hofe
Trianel-Kraftwerk in Lünen: Erst mal wichtige Reparatur statt Ausstieg
Energiewende
Die Weihnachtspause ist um: Seit dem 4. Januar ist Trianel wieder am Netz. Während sich andere Kraftwerke mit dem Abschalten beschäftigen, fasst Lünen eine wichtige Erneuerung ins Auge.
Zwischen Weihnachten und Neujahr macht das Trianel-Kraftwerk an der Lippe in der Regel Pause. Auch dieses Mal. Die Pause war allerdings etwas länger ausgefallen als ursprünglich geplant. „Wir hatten am 10. Dezember einen kleinen Schadensfall“, sagt Stefan Paul, der Geschäftsführer von Trianel. Deshalb habe die Anlage vom Netz gehen müssen. Ein Hochfahren vor Weihnachten sei danach zwar technisch möglich gewesen, habe sich aber nicht mehr gelohnt. Wegen der hohen Hochfahrkosten und den relativ geringen Erträgen an der Strombörse. Ein Phänomen, das sich immer häufiger zeigt.
Unterwegs im Trianel-Kraftwerk Lünen
Die Großhandelsstrompreise lagen im zurückliegenden Jahr mit einem Durchschnittspreis von 30,47 Euro pro Megawattstunde im Schnitt mehr als
7 Euro unter den Preisen des Vorjahres - ein Durchschnittswert. Wer wie Stefan Paul die Strombörse täglich beobachtet, sieht, dass dieser Preis stark schwankt - mal dreistellig mal unter Null. Negative Preise?
Immer öfter negative Preise
Die Bundesnetzagentur hat vor wenigen Tagen die Zahlen für 2020 analysiert. Danach lag der Spitzenpreis, der im Jahr 2020 an der Strombörse erzielt wurde, bei 200,94 Euro pro Megawattstunde und der niedrigste Preis bei minus 83,94 Euro: also kein Gewinn für den Verkauf des produzierten Stroms, sondern Geld, das bezahlt werden muss, damit der Strom überhaupt abgenommen wird - eine Folge des Überangebots an Strom zu Spitzenzeiten. Die Häufigkeit der Stunden mit solchen Negativpreisen ist erneut deutlich gestiegen: auf 298. Im Jahr 2018 lag der Wert noch bei 134, 2019 bei 201. Die Kunden Zuhause bekommen davon so gut wie nichts mit.

Benötigt ein neues Bauteil - spätestens im Sommer 2022: der Generator des Trianel-Kraftwerks In Lünen. © Sylvia vom Hofe
Dass jemand Geld gutgeschrieben bekommt, wenn er das Licht anstellt, ist nicht der Fall. Der Strompreis für Otto Normalverbraucher ist kontinuierlich gestiegen. Und nach Erhebungen von Vergleichsportalen wird er 2021 auch kaum sinken. Eine Kilowattstunde hat nach Angaben der Bundesnetzagentur 2020 32,05 Cent gekostet - vier Prozent mehr als 2019. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Strompreis an der Strombörse lag bei gerade einmal drei Cent pro Kilowattstunde. Der Grund für den erheblichen Unterschied: Dem Preis, den die Privatkunden zu zahlen haben, liegt eine Mischkalkulation zu Grunde. Allein Steuern, Umlagen und Abgaben machen gut die Hälfte des Endpreises aus.
Was das Wetter mit der Stromproduktion zu tun hat
Corona hat die ohnehin schon heftigen Schwankungen an der Strombörse noch verstärkt. 2020 war nicht nur der durchschnittliche Großhandelsstrompreis niedriger ausgefallen als im Vorjahr, auch die Nachfrage war kleiner. Allein im Mai 2020 sackte sie um mehr als 10 Prozent ab, auf das ganze Jahr verteilt immerhin um 3,2 Prozent. Die Industrie, nach wie vor der größte Stromverbraucher in Deutschland, hatte vor allem in der ersten Welle der Pandemie ihre Produktion gedrosselt. Wie viel das Trianel-Kraftwerk produziert, entscheidet Stefan Paul Tag für Tag - und das nicht nur mit Blick auf die Nachfrage und die stündlich wechselnden Preise. Manchmal genügt ihm dafür auch ein Blick aus dem Fenster.
Triangel Lünen #theta360 #theta360de - Spherical Image - RICOH THETA
„Das Wetter spielt eine extrem große Rolle“, sagt er. im Februar 2020 sei ein Sturmtief nach dem anderen über das Land gerauscht: Das Kraftwerk an der Lippe blieb abgeschaltet, während sich die Windräder rekordverdächtig drehten: Am Sonntag, 16. Februar - dieses Mal war es das Tief Victoria, das sich austobte - deckten erneuerbare Energien sogar 95,5 Prozent des Nettostromverbrauchs des Tages: ein Spitzenwert mit Blick auf die zurückliegenden drei Jahre. Zusätzlichen Strom aus Kohlekraftwerken braucht an solchen Tage niemand, weiß Stefan Paul. Es gibt aber auch andere Tage.
Den 10. Dezember zum Beispiel: ein bedeckter, nicht zu kalter Wintertag, an dem es nahezu windstill war. An keinem Tag, sagt die Bundesnetzagentur, sei bundesweit weniger Strom aus Erneuerbaren erzeugt worden. „Der Oktober war ein schlechter Windmonat“, sagt Paul, der November auch. Bis Mitte Dezember herrschte Flaute am Himmel und bei den Windrädern - und Hochbetrieb bei den konventionellen Kraftwerken.
Erneuerbare lagen im Mai 2020 erstmals bei der Produktion vorne
„Wir bedienen die sogenannte Residuallast“, sagt Paul. Darunter versteht man den Anteil am gesamtdeutschen Stromverbrauch, der unabhängig von Wind und Sonne ist und den täglichen Restbedarf an Strom decken muss. Dieser Anteil schrumpft, genauso wie die Anzahl der Kraftwerke, die ihn stemmen. 2020 machte die konventionelle Erzeugung 2020 nur noch einen Anteil von 52,65 Prozent an der Gesamterzeugung aus. Immerhin war es im Mai aber gelungen, dass die Erneuerbaren erstmals mehr als die Hälfte stellten. Das Ziel für 2030 steht fest: 65 Prozent Anteil für die Erneuerbaren.
Der Einstieg in den Kohleausstieg bis 2038 ist gemacht. Elf Blöcke gehen in diesem Jahr vom Netz. Unter ihnen ist auch das moderne Kraftwerk Moorburg in Hamburg, das erst 2015 ans Netz gegangen ist - gut zwei Jahre nach dem Trianel-Kraftwerk in Lünen. Bereits seit dem Jahreswechsel abgeschaltet sind in NRW das Kraftwerk Westfalen in Hamm-Uentrop, Walsum 9 in Duisburg, das Kraftwerk Ibbenbüren und Heyden im Kreis Minden-Lübbecke. Wie lange Trianel noch laufen wird?
Die Betreiber von Steinkohlekraftwerken in Deutschland erhalten für den Ausstieg - im Unterschied zur Braunkohle - keine festen Entschädigungen. Stattdessen können sie sich um Stilllegungsprämien bewerben. Dazu gibt es insgesamt acht Ausschreibungsrunden bis 2027, mit sinkenden Höchstpreisen. Zuletzt war die Rede davon, dass 2034 spätestens Schluss sei.
Wann ist mit dem Trianel-Kraftwerk Schluss?
Das Datum steht noch nicht fest, etwas anderes schon. „Das Kraftwerk ist auf eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt.“ In Lünen dürfte es nur die Hälfte werden. So lange werde das Kraftwerk an der Frydagstraße eine wichtige Rolle spielen - nicht nur als CO2-Emittent, wie Kritiker anmahnen, sondern auch als Gestalter der Energiewende. Nur mit dem konventionell produzierten Strom lassen sich zurzeit schwierige Phasen überbrücken. Und das werde in den nächsten zwei, drei Jahren noch wichtiger, wenn weitere Kraftwerke vom Netz gehen und bis 2022 auch das letzte Atomkraftwerk dicht macht. Denn der Zubau an neuen Windkraftanlagen hinkt hinterher. Laut dem Internationalen Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) ist er seit dem bislang besten Branchenjahr 2017 Jahr für Jahr zurückgegangen.
Ans Einmotten seines Kraftwerks, das er seit März 2014 leitet, denkt Stefan Paul noch nicht. Dafür aber an eine Reparatur. 2020 hatte ein Schaden im Generator, dem Herzstück der Anlage, eine dreimonatige Zwangspause erfordert. „Ein Blechpaketschaden. Das ist das Schlimmste, was da passieren kann, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht.“ Siemens habe es mit großem Einsatz geschafft, die Fehlstelle zu reparieren, „aber wir werden dort einen Austausch vornehmen müssen“. Das neue Mittelteil des Generators ist bereits in Auftrag gegeben. Normalerweise dauert so etwas mindestens zwei Jahre. Jetzt soll der 400-Tonnen-Koloss im November dieses Jahres geliefert werden. Zur Sicherheit.
„Wir wollen ihn planmäßig erst 2022 einbauen“, sagt Paul. Wenn aber eher etwas passieren würde, seien dann er und sein Team vorbereitet.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
