Eine neue Arbeitsgemeinschaft will Vorurteile abbauen. In der AG Tagespflege sind alle Leitungen oder Stellvertreter der derzeit sieben Lüner Tagespflegen vertreten und ergänzen so das umfangreiche Netzwerk Altenarbeit. Sprecherin ist Britta Gehse, die seit einem Jahr eine neue Einrichtung in Lünen leitet, aber schon seit 33 Jahren in der Pflege tätig ist. Zusammen mit Annette Goebel, Koordinatorin für Altenarbeit in Lünen, und Kerstin Schymiczek, Pflegeberaterin des Kreises Unna, will sie mit Missverständnissen gegenüber der Tagespflege für Senioren aufräumen.
Derzeit, so Annette Goebel, gibt es in Lünen 124 Plätze, 24 weitere sind im Bau. Zum einen entsteht eine Tagespflege in Horstmar, zum anderen eine in der ehemaligen Feuerwache an der Borker Straße. Goebel: „Der aktuelle Pflegebedarfsplan sieht noch einen weiteren Bedarf von 23 Plätzen vor. Die Ausschreibung läuft bis zum Sommer.“ Auch in Selm und Werne gibt es Tagespflegeeinrichtungen. Doch diese Entlastungsmöglichkeit für Angehörige, die Pflegebedürftige daheim versorgen, ist immer noch bei vielen Familien unbekannt.

„Möglicherweise ist das Wort Pflege in der Tagespflege gerade für Angehörige abschreckend, auch für manche Gäste. Wenn sie nicht entsprechend beraten werden, glauben viele Leute, dass sie noch nicht so weit sind, noch zu jung sind“, sagt Britta Gehse. Im Vordergrund steht jedoch die sinnvolle Betreuung Pflegebedürftiger und die Entlastung der Angehörigen. In Gesellschaft sein, gemeinsame Mahlzeiten, ein strukturierter Tagesablauf und auch Förderung der einzelnen Gäste - all das ist möglich in der Tagespflege.
Nach der ausführlichen Beratung durch die Leitung der jeweiligen Tagespflege merke man, dass der Stress bei den Angehörigen abfalle, hat Gehse erfahren. Vorher verbinden viele Pflegende den Begriff Tagespflege mit Langzeitpflege. Da hilft auch oft ein Schnuppertag, den alle Einrichtungen anbieten. „Fast alle Gäste, die so einen Schnuppertag erleben, sind begeistert. Es gibt aber auch einige, die uns sagen, es war schön, aber ich habe gar keine Zeit, um die Tagespflege zu besuchen“, so Britta Gehse. Oder Hochbetagte meinen: „Ich komme, wenn ich dann mal in dem Alter bin.“
Zeit für die Angehörigen
Von vielen Angehörigen, deren Familienmitglieder die Tagespflege als Gäste besuchen, hören die Mitarbeitenden, welche Entlastung die Einrichtung für sie bedeutet. Britta Gehse: „Manche sind ja noch berufstätig, andere brauchen einfach mal Zeit für sich. Zum Beispiel Ehepartner, die ihren Mann oder ihre Frau, die an Demenz erkrankt sind, betreuen, sich 24 Stunden um sie kümmern. Wenn die Erkrankten in der Tagespflege sind, blühen die Angehörigen auf.“ So kommt ein Mann drei Tage in der Woche in die von Britta Gehse geleitete Einrichtung, und seine Frau nutzt die Zeit, um im Seniorenladen an der Bebelstraße neue Kontakte zu knüpfen. „Für sie ist das wertvolle Zeit.“ In einer anderen Tagespflege wurde kürzlich ein Kino-Nachmittag mit Popcorn angeboten. „Das ist richtig gut bei den Gästen angekommen“, so Annette Goebel.
Die Kostenfrage schreckt Familien möglicherweise auch ab. Dabei gibt es für Menschen mit Pflegegrad 2 bis 5 ein gewisses Budget für den Besuch der Tagespflege. Wenn sich Interessenten bei der Beratung darüber informieren, sinkt die Hemmschwelle. Britta Gehse: „Viele wissen nicht, dass die Tagespflegekosten generell nicht vom Pflegegeld berührt werden.“ Das weiß auch Pflegeberaterin Kerstin Schymiczek aus ihrer täglichen Arbeit. „Wenn die Leute in meine Sprechstunde kommen, erkläre ich ihnen, dass die Tagespflege eine Art Seniorentreff ist.“

Wenn die Pflegeberaterin merkt, dass die Ratsuchenden einsam sind oder die Angehörigen noch berufstätig, dann weist sie besonders auf die Möglichkeit der Tagespflege hin. „Es ist ein zusätzliches Angebot zum Pflegegeld oder zu Sachleistungen der Pflegedienste. Bei Pflegegrad 2 können die Senioren schon zwei oder drei Tage die Woche eine Tagespflege besuchen“, so Kerstin Schymiczek. Über den Entlastungsbetrag reduziert sich auch noch der Eigenanteil, der unter anderem für Verpflegung berechnet wird. Nach ihren Erfahrungen kochen viele alleinstehende Senioren nicht mehr für sich allein, bestellen Essen auf Rädern. „Das können sie dann für die Tage abbestellen, an denen sie in der Tagespflege sind.“
Das Wort „glücklich“ werde in der Tagespflege oft verwendet, hat Annette Goebel beobachtet. Anders als in der Pflege an sich. So kennt sie einen Lüner Senior, der früher immer gerne gebacken hat und diese Fähigkeit auch in der Tagespflege ausleben durfte. „Da war so viel Leben, alle freuten sich über das Gebäck und der Senior darüber, dass er ihnen eine Freude bereiten konnte.“ Bei Bedarf ist auch die pflegerische Versorgung durch die ausgebildeten Pflegekräfte gewährleistet.
Aufeinander freuen
Wie positiv sich Tagespflege auf Gäste und deren pflegende Angehörige auswirkt, beobachtet Britta Gehse immer wieder: „Wir haben Gäste, die vom Ehepartner abgeholt werden. Beide haben neue Energie getankt, freuen sich aufeinander.“ Vor Corona war, so Kerstin Schymiczek, die Tagespflege sehr beliebt, es gab sogar ellenlange Wartelisten: „Im Moment sind leider viele Plätze frei.“ Corona habe der Tagespflege geschadet, sagt auch Annette Goebel: „Man hat sich daran gewöhnt, zu Hause zu bleiben.“ Wer sich doch für die Tagespflege entscheidet, kann Fahrdienste nutzen, Kosten werden von der Pflegekasse übernommen.
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