Wolfgang Ullrich gründete die Sucht-Selbsthilfegruppe „Return“. Seit der Corona-Pandemie hat sich die Arbeit verändert.

© Dieter Menne (Archiv)

Sucht-Selbsthilfegruppe schafft es, Rückfälle wegen Corona zu verhindern

rnIn Corona-Pandemie

Fehlende soziale Kontakte in der Pandemie können bei Süchtigen zu Rückfällen führen. Dass es auch anders sein kann, schildert Wolfgang Ullrich, Gründer der Selbsthilfegruppe „Return“.

Lünen, Werne

, 23.08.2021, 20:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Seit 26 Jahren ist Wolfgang Ullrich trockener Alkoholiker. Der 68-Jährige betrachtet die Krankheit Alkoholsucht nicht als Makel, „sondern als Chance, weil ich dadurch gelernt habe, mich selbst zu reflektieren.“ Dazu will er auch anderen Süchtigen verhelfen - mit seiner Selbsthilfegruppe, die nicht nur für Alkoholabhängige offen ist. In der Corona-Zeit mussten Ullrich und seine Mitstreiter neue Wege gehen.

Am 19. Dezember 2009 gründete Ullrich, der damals noch in Dortmund lebte, mit Freunden in der Nachbarstadt die Selbsthilfegruppe „Return“. „Der Name steht für ,zurück ins Leben`, sollte aber nicht so pathetisch klingen, da ist mir der Name Return eingefallen“, sagt Ullrich.

„Return“ ist offen für alle ehemaligen Süchtigen

Vor fast fünf Jahren ist er nach Lünen gezogen und hat dann auch in der Lippestadt eine „Return“-Gruppe gegründet - so wie auch in Werne. Dabei ist es ihm wichtig, dass die Gruppe offen für Süchtige und ehemalige Süchtige ist - nicht nur diejenigen, die vom Alkohol abhängig waren. Das unterscheidet „Return“ von anderen Sucht-Selbsthilfegruppen, die entweder nur Alkohol-, nur Betäubungsmittel- oder nur Spiel-Süchtige aufnehmen.

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„Ich möchte mit den Menschen über ihre Gründe und ihr Verhalten diskutieren, warum sie Suchtmittel konsumiert haben. Denn egal, um welche Sucht es geht, süchtiges Verhalten will die Realität immer durch eine Scheinwelt austauschen.“

Und so besuchen nicht nur Alkohol-Abhängige die Lüner „Return“-Gruppe. Auch eine Frau, die früher von Heroin abhängig war und weitere Mitglieder, die mehrfach abhängig waren, gehören dazu.

Zwangspause der echten Treffen wegen Corona

Als Ullrich in Lünen „Return“ gründete, fand er schnell im St.-Marien-Hospital ein Domizil für die wöchentlichen Treffen. „Bis dann Corona kam und Externe nicht mehr ins Krankenhaus durften“, so Ullrich. Mehr als ein Jahr mussten die Gruppenmitglieder aufs Telefon ausweichen. Und auf die Whats App-Gruppe von „Return“.

Außerdem initiierte Ullrich eine virtuelle Gruppe, die sich wöchentlich am Donnerstag von 19 bis 21 Uhr über Zoom am Bildschirm trifft. „Dort sind mittlerweile auch Leute aus München, Witten und Fröndenberg dabei, denen der Weg nach Lünen viel zu weit wäre.“ Deshalb wird er auch diese virtuelle Gruppe weiterführen. „Diese Art zu kommunizieren hat viele Vorteile, die ich für die Zukunft konservieren möchte.“ So gebe es nicht nur ein größeres Einzugsgebiet, sondern auch die Möglichkeit, während der Treffen schnell virtuelle Hilfsmittel und Informationen einzubauen.

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Seit vier Wochen hat nun auch die Präsenz-Gruppe wieder ein Domizil. Jeden Mittwoch treffen sich die Mitglieder von 19 bis 21 Uhr im DRK-Mehrgenerationenhaus, Spormecker Platz 1. Außerdem gibt es noch in Werne eine „Return“-Gruppe, die sich montags von 19 bis 21 Uhr am Kirchplatz in Werne-Stockum im katholischen Gemeindezentrum trifft. Wer zu den Treffen kommen oder an den digitalen Treffen teilnehmen will, sollte vorher Wolfgang Ullrich kurz kontaktieren, Tel. (0172) 94 09 538.

Arbeit hat für Stabilität gesorgt

Seitdem die Corona-Pandemie begonnen hat und es keine persönlichen Treffen mehr geben konnte, gab es in den Gruppen auch Menschen, die kurz vor einem Rückfall in die Sucht standen. Ullrich: „Aufgrund von fehlenden sozialen Kontakten. Das hat den Wunsch, die Realität durch das Suchtmittel zu verlassen, verstärkt.“ Zum Glück ist es aber durch Telefonate und die Whats App-Gruppe gelungen, dass alle rückfallfrei geblieben sind. „Das zeigt auch, dass unsere Arbeit vorher viel Stabilität hervorgebracht hat.“

Wenn es eng wurde, tauschte man sich per Whats App aus. Und wenn jemand Probleme hatte, „hab ich mich ans Telefon gehängt“, so Ullrich, der für sein Engagement bereits vor drei Jahren mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden ist.

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Für ihn ist es auch wichtig, dass Treffen von Selbsthilfegruppen „keine Trauerveranstaltungen“ sind, sondern dass auch mal gelacht wird. „Man muss sogar gemeinsam lachen, auch über eigene Defizite.“ In Lünen ist das jüngste Mitglied von „Return“ 33 Jahre alt, das älteste 74. „Dazwischen sind alle Altersgruppen vertreten.“ Aufgrund des Krankheitsverlaufs bei Alkohol-Abhängigen sei es so, dass die meisten Alkoholiker erst im Alter zwischen 40 und 45 Jahren mit dem Trinken aufhören und deshalb auch die Mitglieder in Sucht-Selbsthilfegruppen durchschnittlich um die 50 Jahre alt sind.

Wolfgang Ullrich hat für seine Selbsthilfe-Arbeit den Landes-Verdienstorden erhalten.

Wolfgang Ullrich hat für seine Selbsthilfe-Arbeit den Landes-Verdienstorden erhalten. © Victoria Maiwald (Archiv)

Ganz offen spricht Wolfgang Ullrich auch über seine eigene Sucht-Geschichte. „Mein Körper war am Ende. Ich brauchte pro Tag eine Flasche Weinbrand, um zu funktionieren.“ Entscheidend für seinen Entschluss, mit dem Trinken aufzuhören, war ein Erlebnis bei einem Zahnarztbesuch.

Letzter Funken Selbstachtung

„Ich saß dort und mein Zahnarzt fragte seine Mitarbeiterin, die auch noch eine gute Freundin von mir war, ob ich wieder getrunken hätte, denn ich würde aus dem Mund stinken“, erinnert sich Ullrich. Als er das hörte, „merkte ich, dass ich noch einen letzten Funken Selbstachtung besaß. Ich wollte einfach nicht, dass die Menschen so über mich reden.“

Das ist jetzt 26 Jahre her. Ullrich schaffte es, trockener Alkoholiker zu werden. Jahre später erzählte er seinem Zahnarzt, dass er ihn durch seine Frage an die Mitarbeiterin auf den richtigen Weg gebracht hatte. „Es war ihm wahnsinnig peinlich, dass ich das gehört hatte.“ Aber es war der richtige Satz zur richtigen Zeit, und für Ullrich ein wichtiger Neubeginn.