Metzgermeister Wilhelm Scharbaum steht in seinem leer geräumten Ladenlokal am Roggenmarkt in Lünen.

© Sylvia vom Hofe

Scharbaum in Lünen: Wie sieht es aus drei Monate nach dem Mecke-Skandal?

rnFleischerei

Fast drei Monate ist es her, dass die Traditionsfleischerei Scharbaum geschlossen hat. Der Mecke-Skandal hatte sie mit in die Tiefe gezogen. Wie geht es weiter? Wilhelm Scharbaum gibt Antworten.

Lünen

, 09.11.2021, 09:05 Uhr / Lesedauer: 3 min

Das Treffen mit Wilhelm Scharbaum findet auf dem Lüner Roggenmarkt statt. In den Geschäftsräumen der Traditionsfleischerei. 1921 war es, als sein Großvater sich selbständig machte. Ausgerechnet im Jahr des 100-jährigen Bestehens kam das Aus. Plötzlich und unvermutet. Und unverschuldet, wie der 60-jährige Enkel des Unternehmensgründers Clemens Wienke sagt. Er steht vor der Tür zu dem Haus, das zugleich Laden, Metzgerei und Zerlegebetrieb ist. Seit dem 13. August 2021 ist es verwaist.

Das hat sich immer noch nicht bei allen herumgesprochen. Kaum hat Scharbaum die Ladentür geöffnet, um die Reporterin einzulassen, kommt eine Passantin hinterher. Mett will sie kaufen. Der alte Chef schüttelt nur den Kopf. Ob denn schon Mittagspause sei, hakt die Frau nach. Und wann sie wiederkommen könne. Wilhelm Scharbaum lächelt traurig. Wenn er darauf nur eine Antwort geben könnte.

Großvater, Vater, Sohn: Drei Generationen mit Leidenschaft

Die gläsernen Vitrinen sind leer. Hinter den Scheiben lagen sonst Wurstwaren aller Art und Frischfleisch. Kein Schinken hängt mehr am Haken, und nirgends baumelt eine Kette Bierbeißer. Wo sonst die Schüssel mit frischem Mett stand, blitzt nur der nackte Edelstahl. Picobello sauber ist alles. Als wenn die Inneneinrichtung gerade erst aufgebaut worden wäre. Wenn überhaupt ein Geruch wahrzunehmen ist, dann der von Kaffee. Scharbaum hat gerade ganz hinten in seinem Büro eine Kanne frisch aufgebrüht.

Jetzt lesen

„1976 habe ich hier meine Ausbildung begonnen“, sagt er, als er Kaffee einschenkt. Zwischen 1980 und 1985 war er unterwegs und hat Erfahrungen in anderen Städten und Bundesländern gesammelt. Dann legte er die Meisterprüfung ab und kam zurück in den elterlichen Betrieb. Der Großvater mütterlicherseits hatte ihn 1921 in Lünen gegründet. Der Vater, der ursprünglich in Witten eine Metzgerei hatte, war 1952 der Liebe wegen nach Lünen gekommen und in das Traditionsgeschäft des Schwiegervaters eingestiegen. Mitte der 1980er-Jahre übernimmt Wilhelm Scharbaum. „Das stand für mich nie in Frage. Ich habe das immer als meinen Weg gesehen und bin ihn gerne gegangen“, sagt der 60-Jährige. Bei seinen eigenen Kindern ist das anders.

Die Traditionsmetzgerei am Roggenmarkt steht seit Mitte August 2021 leer. Wilhelm Scharbaum hofft auf einen Nachmieter.

Die Traditionsmetzgerei am Roggenmarkt steht seit Mitte August 2021 leer. Wilhelm Scharbaum hofft auf einen Nachmieter. © Sylvia vom Hofe

Als feststand, dass es keinen Nachfolger aus der Familie geben würde, begann Scharbaum sich umzusehen nach einer Alternative. „Wichtig war mir immer, dass die Fleischerei erhalten bleibt.“ Und dass seine fast 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit behalten. Früher als gedacht fand sich eine Lösung: „Wie ein Sechser in Lotto“ sei das gewesen, sagt Scharbaum und gießt Kaffee nach. Aus heutiger Sicht erscheint das eher wie das krasse Gegenteil.

Suche nach Nachfolger führte Scharbaum zu Mecke

2017 verkaufte Scharbaum den Betrieb an Marco Mecke: ein erfahrener Metzgermeisterkollege aus Werne mit 70-jähriger Familientradition und „mit ausgezeichnetem Ruf“, wie Scharbaum damals überzeugt war. Dass Mecke bis Mitte August 2021 der alleinige Geschäftsführer der Lüner Traditionsmetzgerei war, merkte längst nicht jeder. Das Personal war das gleiche geblieben wie zu Zeiten Scharbaums. Das Geschäft hatte seinen Namen behalten. Und auch die Wurst schmeckte so wie vorher. Denn Wilhelm Scharbaum hatte seine Rezepte Mecke zur Verfügung gestellt. Für wenige Stunden die Woche war er selbst auch noch im Laden: um Stammkunden zu beraten. Und weil es nun einmal seine Passion war - wenn auch nicht mehr seine Verantwortung.

Jetzt lesen

Das alles hat sich im Sommer 2021 radikal geändert, als die Organisation Soko Tierschutz heimlich gedrehte Aufnahmen aus Meckes Viehsammelstelle an der Lünener Straße in Werne veröffentlichte.

Das Gebäude, in dem Metzgerei und Zerlegebetrieb untergebracht sind, erstreckt sich vom Roggenmarkt In Lünen bis zur Langen Straße, wo eine Boutique untergebracht ist.

Das Gebäude, in dem Metzgerei und Zerlegebetrieb untergebracht sind, erstreckt sich vom Roggenmarkt In Lünen bis zur Langen Straße, wo eine Boutique untergebracht ist. © Sylvia vom Hofe

Sie zeigten, wie Mitarbeiter Tiere mit enormer Brutalität schlagen - manchmal sogar vor den Augen von Kindern. Mecke verwies in ersten Stellungnahmen darauf, dass er selbst entsetzt sei. Die Mitarbeiter hätten ohne sein Wissen gehandelt. Wenig später tauchten Bilder auf, die das Gegenteil zeigen: Marco Mecke in der Viehsammelstelle, immer wieder.

Scharbaum: Totkitzeln geht nicht, aber das ist zum Kotzen

Wenige Wochen später hat der Kreis Unna Meckes Schlachthof dicht gemacht - nicht nur wegen der Tierquälerei, sondern weil plötzlich auch der Verdacht im Raum stand, dass für Tierfutter gedachtes Fleisch in die Lebensmittelproduktion gelangt sein könnte. Die Behörde hatte Mecke auch verboten, Lebensmittel zu verkaufen: das Aus der Metzgereien an der Lippestraße in Werne und am Roggenmarkt in Lünen. Das ist jetzt ein Vierteljahr her.

Scharbaum sitzt in seinem etwa 100 Quadratmeter großen, leeren Laden. Eine Etage tiefer ist der etwa 300 Quadratmeter große Produktionsbereich: ebenfalls verwaist. Die Ereignisse des Sommers haben ihn unvorbereitet getroffen. „Ich habe davon nichts gewusst.“ Ein Schlachter, sagt er, „kann die Tiere zwar nicht totkitzeln“, aber so ein Umgang mit dem Vieh „geht gar nicht“. Da schwingt viel Wut mit. Auch Trauer. Ja klar, platzt es aus ihm heraus, als er den Blick durch das ausgestorbene Geschäft wandern lässt, „da habe ich auch manche Träne verdrückt“. Aber darüber will der Metzgermeister nicht reden. Lieber über die Zukunft.

Erster Interessent ist abgesprungen, aber es bleibt Hoffnung

Längst ist der Aufhebungsvertrag zum Pachtvertrag an Mecke unterschrieben. Jederzeit könnte ein Nachfolger anfangen. Der erste Interessent, auf den Scharbaum viel Hoffnung gesetzt hatte, ist allerdings abgesprungen. Aus einer schnellen Lösung, die auch den erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Anschlussbeschäftigung ermöglicht hätte, ist nichts geworden. Leider. „Die meisten haben inzwischen wieder einen Job“, sagt er. Gute Fachkräfte seien eben gefragt. Ob das auch für eine Fleischerei mitten in der Stadt gilt? „Es gibt immer Licht am Ende des Tunnels“, sagt Scharbaum. Und Interessenten.

Schlagworte:
Lesen Sie jetzt