Gegen den Geschäftsführer eines Pflegedienstes (Symbolbild), der auch in Lünen eine Wohngruppe betreut, ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund. Die Vorwürfe: Betrug, ausbleibende Zahlung und nicht immer geschultes Personal.

Gegen den Geschäftsführer eines Pflegedienstes (Symbolbild), der auch in Lünen eine Wohngruppe betreut, ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund. Die Vorwürfe: Betrug, ausbleibende Zahlung und nicht immer geschultes Personal. © picture alliance/dpa

Pflegeskandal in Lünen: Geschäftsführer in Haft – Patienten werden verlegt

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Der Geschäftsführer des Pflegedienstes Intensivpflege Lünen sitzt in Untersuchungshaft. Aktuell werden die Patienten noch betreut. In einer anderen Stadt wurde die Behandlung schon gekündigt.

Lünen

, 19.07.2022, 17:35 Uhr

Die Vorwürfe sind drastisch: Es geht um 54 Fälle von gewerbsmäßigem Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung. Diese Vergehen werden dem Geschäftsführer des Pflegedienstes Intensivpflege Lünen vorgeworfen. Am 3. Juli wurde der Mann verhaftet. Gegenüber dem Westfälischen Anzeiger (WA) bestätigte die Staatsanwaltschaft Dortmund die aktuellen Ermittlungen und die Vorwürfe.

Den Hauptsitz hat das Unternehmen in Bönen. Auf Anfrage der Redaktion bestätigte eine Mitarbeiterin, dass der Geschäftsführer in U-Haft sitzt und dass die beiden Unternehmen in Bönen und Lünen zusammengehören. Eine Stellungnahme der Geschäftsleitung sei aktuell nicht möglich, könnte aber in den kommenden Tagen folgen, sagte die Mitarbeiterin.

Kreis Unna organisiert Verlegung der Patientinnen und Patienten

In Lünen betreut der Pflegedienst sechs Patientinnen und Patienten, die schwer krank sind und intensiv gepflegt werden müssen. Sie werden in einer „Beatmungs-WG“ versorgt. Wie der Kreis Unna am Dienstagnachmittag mitteilte, werde der Transport der Patientinnen und Patienten vorbereitet. Gegen 16 Uhr war vor Ort in der Kurt-Schumacher-Straße noch nichts von einem Transport zu sehen. Auch Mitarbeiter gingen ganz normal ihrer Arbeit nach, wollten sich aber nicht zur aktuellen Situation äußern.

Der Pflegedienst Intensivpflege Lünen sitzt in der Kurt-Schumacher-Straße.

Der Pflegedienst Intensivpflege Lünen sitzt in der Kurt-Schumacher-Straße. © Sylvia vom Hofe

Kreis-Pressesprecher Volker Meier sprach von einer „Verlegung in andere Einrichtungen“. Ein „komplexer Prozess“, bei dem Spezialfahrzeuge nötig seien und Notärzte vor Ort sein müssen. Der Kreis, der für stationäre Einrichtungen wie die Wohngruppe in Lünen verantwortlich ist, hatte zuletzt Auffälligkeiten festgestellt: Mitarbeiter wurden nicht mehr bezahlt. Daher folgt nun die Verlegung der Patientinnen und Patienten.

Gesamtschaden von fast einer Million Euro

Der konkrete Vorwurf gegenüber dem Geschäftsführer: Im Zeitraum von Januar 2016 bis Dezember 2020 soll er Leistungen gegenüber der Krankenkasse AOK abgerechnet haben, die von dem Pflegedienst nicht erbracht wurden. Dazu soll er Leistungsnachweise gefälscht und als Beweis eingereicht haben. „Laut Haftbefehl handelt es sich um einen Gesamtschaden in Höhe von 975 000 Euro“, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Bereits im Sommer des vergangenen Jahres durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Firmenräume in Bönen und sicherte umfangreiche Firmenunterlagen. Seit 1999 kümmert sich der Pflegedienst um besonders schwer erkrankte Menschen. „In den vergangenen Jahren liefen alle Kontrollen des Dienstes problemlos ab“, teilte Kreis-Pressesprecher Volker Meier mit.

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Betrug, ausbleibende Zahlungen und nicht immer geschultes Personal: Mit diesen Vorwürfen sieht sich das Unternehmen nun konfrontiert. Eine Mitarbeiterin schilderte gegenüber dem WA, dass sie trotz fehlender Qualifikation auch bei Intensivpatienten immer wieder eingesetzt wurde. Zudem berichtete sie von Doppelschichten (24 Stunden) oder auch von Diensten mit 36 Stunden Arbeitszeit, weil Personal gefehlt habe.

Gerichtsverfahren startet im Oktober

Eine weitere dramatische Zuspitzung: In Bönen hatte das Unternehmen zahlreichen Patientinnen und Patienten von heute auf morgen gekündigt. Betroffen seien Intensivpatienten, die bisher nicht von qualifizierten Intensivpflegern betreut worden seien, wie es der Gesetzgeber vorschreibt, sondern von Pflegehelfern, die nur eine einjährige Ausbildung hätten. Ihnen drohe nun ebenfalls die Kündigung.

Am Dienstagnachmittag (19. Juli) sollten die Patientinnen und Patienten aus der Beatmungs-WG umverlegt werden.

Am Dienstagnachmittag (19. Juli) sollten die Patientinnen und Patienten aus der Beatmungs-WG umverlegt werden. © Sylvia vom Hofe

Wie es konkret mit der Wohngruppe in Lünen weitergeht, ist noch unklar. Aktuell liegt Priorität bei der Verlegung der Patientinnen und Patienten. Wenn dies geschehen ist, muss geklärt werden, ob die Intensivpflege eine Zukunft hat.

Fest steht: Gegen das Unternehmen findet am 5. Oktober ein zivilrechtlicher Prozess am Landgericht Dortmund satt. Darin geht es um den Vorwurf der Körperverletzung, schwere Pflegefehler und Abrechnungsbetrug. Zudem fordert ein betroffener Patient 70.000 Euro Schmerzensgeld.

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