Umzugskisten stehen noch nicht im Flur des Pfarrbüros an der Marienstraße. Nach wie vor drängen sich die Bücher in der Regalwand des Besprechungszimmers. Dennoch ist Michael Mombauer in Aufbruchsstimmung. An diesem Samstag (4.2.) verabschiedet ihn die katholische Kirchengemeinde mit einem Gottesdienst um 17 Uhr in der Kirche St. Marien und einem anschließenden Empfang. Nächste Woche zieht er nach Greven. Ein Wechsel nach vier Jahren – auf Mombauers eigenen Wunsch hin.
Greven zwischen Münster und Osnabrück ist mit rund 37.000 Einwohnern weniger als halb so groß wie Lünen. Die fusionierte Kirchengemeinde dort allerdings zählt das Doppelte: rund 20.000 Katholiken, in St. Marien – einer der beiden verbliebenen Kirchengemeinden in Lünen – sind es knapp 10.000. Die Probleme seien aber an beiden Orten die selben, sagt Mombauer. Der gebürtige Borghorster hat an der langen Tafel im Besprechungsraum Platz genommen zu einem der letzten offiziellen Gespräche in der Rolle des leitenden Pfarrers.
Schon seit Jahren verlieren die christlichen Kirchen in NRW Mitglieder. 2021 hatten 155.322 Menschen der katholischen und der evangelischen Kirche den Rücken zugedreht: ein Rekordwert. Den hat das Jahr 2022 aber noch einmal deutlich übertroffen mit 223.509 Kirchenaustritten. Eine Reaktion insbesondere in der katholischen Kirche auf Missbrauchsskandal und Vertuschung, starres Machtgefüge und Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen. Aber auch auf die zunehmende Entfremdung von Glaubensinhalten. Immer weniger Kirchenmitglieder und immer weniger Hauptamtliche: Das ist eine Entwicklung, die andauern wird, sagt Mombauer. „Darauf müssen wir reagieren“ – mit Veränderungen der Pfarrstrukturen.
„Die Form der Kirche ist tot“
Ein flächendeckendes Angebot vorzuhalten, sei personell und finanziell nicht möglich. „Diese Form von Kirche ist tot.“ Diese Erkenntnis ist Mombauer wichtig. Denn daraus lasse sich Kraft ziehen für die notwendigen Veränderungen. Seine Vision: „Wir brauchen nicht nur pastorale Räume, wie wir sie derzeit planen. Sondern wir brauchen vor allem pastorale Zentren: Leuchttürme wo Menschen, die Kirche suchen, auch ein wirklich ansprechendes Angebot finden“ – vermutlich nicht immer vor der eigenen Haustür wie bisher, sondern möglicherweise erst in der Nachbarstadt. Das lasse sich nicht umsetzen ohne die Bereitschaft, loszulassen. Eine Bereitschaft, die er in der Vergangenheit in Lünen oft vergeblich gesucht habe.
Die Folge: Anders als Greven fehle in der Gemeinde St. Marien Lünen immer noch ein Immobilienkonzept: etwas, was das Bistum jetzt dringend angefordert habe – noch für dieses Jahr. Hinter dem Wort verbirgt sich eine Auflistung und Bewertung der gemeindeeigenen Immobilien.
Trennung von Kirchorten
„Das wird auch zur Folge haben, dass Kirchen aufgegeben und abgerissen werden“, sagt der scheidende Pfarrer: etwas, das in der Nachbarschaft, in Selm und Werne etwa, bereits erfolgt sei, „aber auch in Greven“. Dort sei an die Stelle einer Kirche, die abgerissen wurde, ein neues Gemeindezentrum getreten. „Damals, als Greven handelte, waren die finanziellen Rahmenbedingungen aber auch noch besser als heute.“
Auch wenn er die Verlustängste verstehe: Die Gemeinde in Altlünen werde sich nicht länger drücken können. Alle vier Kirchorte werde es künftig nicht mehr geben, ist er überzeugt. Mombauer selbst geht von mittelfristig zwei Kirchorten aus. Aber das müssen jetzt andere entscheiden.
Claus Themann springt ein
Ihm selbst ist es nicht gelungen, diesen schwierigen Prozess mit den Aktiven der Gemeinde umzusetzen. Wer ihn künftig als leitender Pfarrer gestalten wird, ist noch offen. Es gibt zwar die Zusage des Bistums Münster, dass die Stelle wieder besetzt wird, allerdings sucht derzeit nicht nur Lünen St. Marien einen geeigneten Kandidaten. Drei weitere Pfarreien melden Bedarf an Priestern im Leitungsdienst, zwei weitere an Pastoren. „Und der Markt ist leer.“
Claus Themann, Dechant im Dekanat Werne und Pfarrer in Selm, wird ab Montag (6.2.) Pfarrverwalter sein. „Im Hintergrund“, wie er betont. Die seelsorgerischen Aufgaben würde das bestehende Seelsorgeteam übernehmen: allen voran Pfarrer Klaus Lunemann, der im November aus Greven nach Lünen gewechselt war, um etwas kürzer treten zu können, sowie die Pastoralreferenten Christina Eikens und Patrick Sumner sowie Diakon Dr. Hermann Opgen-Rhein.

Das Mitwirken von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werde immer wichtiger, sagt Mombauer. Sie zu gewinnen, allerdings immer schwerer. „Daher war ich sehr positiv überrascht und bin sehr dankbar, was ich in der Pandemie erlebt habe.“ Es sei gelungen, mehr als 50 Frauen und Männer zu finden, die zwei volle Jahre lang zu den Gottesdiensten in den vier Kirchen den Ordnungsdienst übernommen haben: „Etwas, für das man nicht immer beklatscht wurde, sondern ganz im Gegenteil.“
Diese Erfahrung werde er als schöne Erinnerung ins Münsterland mitnehmen. Ebenso die an die gute Zusammenarbeit mit der Herz-Jesu-Gemeinde Lünen auf der anderen Lippe-Seite und damit im Bistum Paderborn. Auch die Ökumene habe beispielhaft funktioniert, nicht nur im Zusammenspiel mit der evangelischen Kirche, sondern auch mit der Freikirche an der Schillerstraße und mit der Neuapostolischen Kirche. In einer Phase, in der sich die Volkskirchen zu Minderheitenkirchen entwickeln, „müssen wir zusammenstehen“.
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