Stolpersteine für Familie Stiefel in Lünen geplant Von den Nazis gedemütigt, im Ghetto gestorben

Neue Stolpersteine geplant: Arbeitskreis sucht Fotos von Familie Stiefel
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Seit vielen Jahren engagieren sich Lünerinnen und Lüner im Arbeitskreis Stolpersteine. Um die Erinnerungen an Menschen wachzuhalten, die von den Nazis verfolgt und oft auch ermordet wurden. Derzeit erinnern über 50 Stolpersteine an verschiedene Lüner Familien, die im Dritten Reich ausgelöscht oder zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen worden sind. „Die Recherchen für die Verlegung weiterer Stolpersteine in Lünen gehen weiter“, erklärt Udo Kath vom Arbeitskreis.

Aktuell befasst sich die ehemalige Lehrerin Gisela Sons, die früher an der Vinckeschule in Gahmen unterrichtete, und sich im Arbeitskreis engagiert, in unterschiedlichsten Archiven mit der Familie Stiefel. Um noch mehr zu erfahren, werden nun Fotos der Familie gesucht (gern an udo@kath-luenen.de). Bekannt ist bisher, dass das Ehepaar Josef Isidor Stiefel, geboren am 2. Mai 1882 in Hammelburg, und Henriette Stiefel, als Henriette Schutz am 23. März 1881 in Bad Sassendorf geboren, in den 20er- und 30er-Jahren in Lünen lebte. Bereits 1909 hatte Josef Stiefel eine „Offene Handelsgesellschaft“ zusammen mit Bernhard Samson eintragen lassen. Auch an Samson und seine Familie erinnern in Lünen mehrere Stolpersteine.

Der Initiator des Projektes „Stolpersteine", Gunter Demnig, trug sich bei einem Termin in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in das Gästebuch der Stadt Lünen ein. Der Arbeitskreis Stolpersteine wird 2022 mit dem Heinrich-Bußmann-Preis ausgezeichnet.
Der Initiator des Projektes „Stolpersteine", Gunter Demnig, trug sich bei einem Termin in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in das Gästebuch der Stadt Lünen ein. © Volker Beuckelmann

Am 1. Mai 1919 heirateten Josef Isidor und Henriette Stiefel in Bad Sassendorf.

Josef Stiefel betrieb ab 1921 als alleiniger Besitzer einen Gewerbebetrieb für Öle, Fette, Bergwerksbedarf und chemische Produkte an der Gasstraße 6 in Lünen. Die Familie wohnte in dem Haus Borker Straße 6, das Josef Stiefel gehörte. Hier lebte später auch Anna Schutz, geboren am 9. Oktober 1885, die Schwester von Henriette Stiefel. Die Familie war in Lünen aktiv in der Synagogengemeinde integriert.

„In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde das Geschäft von den Nazis verwüstet. Noch in der gleichen Nacht interessierte sich ein örtlicher Funktionär der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) vor Ort sehr für die Geschäftsunterlagen“, erklärt Udo Kath.

Währenddessen wurde Stiefel gemeinsam mit anderen Lüner Juden vorsorglich in Schutzhaft genommen. Waldemar Elsoffer, Albert Bruch und Siegmund Kniebel sind in dieser Nacht von den Nazis ermordet worden. Bernhard Samson wurde niedergeknüppelt, Herman Markus Aronstein überlebte das Ertränken in der Lippe, Salomon Rose wurde von Bergleuten der Victoriasiedlung vor dem Sturz von der Brücke in die Lippe gerettet und Metzger Paul mit seiner Frau Lina Levy gelang in der Nacht die Flucht vor den Gewalttätern aus einer Hintertür. An die Opfer des Pogroms erinnert an der Lippe seit einigen Jahren ein bekanntes Denkmal, für dessen Realisierung sich seinerzeit zahlreiche Lüner engagierten.

Das Mahnmal an der Lippe erinnert an die Opfer der Pogromnacht 1938 in Lünen.
Das Mahnmal an der Lippe erinnert an die Opfer der Pogromnacht 1938 in Lünen. © Peter Fiedler (Archiv)

Der Terror der Nazis ging aber noch weiter. Denn schon vier Wochen später erwarb ein NSDAP-Ortsgruppenleiter als „Kaufmann“ den Betrieb von Josef Stiefel für einen „Appel und ein Ei“. Laut dem Besitzer der dortigen Töpferei Becker soll das Anwesen seiner Meinung nach rund 350.000 Reichsmark wert gewesen sein. Verkauft wurde es letztendlich für nur 17.000 Reichsmark. Noch im gleichen Monat wurde der Betrieb von Josef Stiefel abgemeldet. Elf Monate später, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurde das Vermögen der Familie Stiefel inklusive des „Verkaufserlöses“ des Betriebes durch die Nazis eingezogen und auf ein Sicherungskonto einbezahlt. Das ergaben die Recherchen von Gisela Sons.

Eine drei Monate vorher beantragte Ausreise war ohne Geld jetzt nicht mehr möglich. Auch wurde Josef Stiefel vom 4. November bis 23. Dezember 1939 noch einmal in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, diesmal in der Dortmunder Steinwache. Das Wohnhaus Borker Straße 6 wurde zum Ghettohaus, - im Nazijargon zum „Judenhaus“ - in dem viele der noch verbleibenden Juden in Lünen lebten. Darunter die Familien Hermann und Else Aronstein, Elfriede Feldheim, Herman Hertz, Josef und Juliane Rosenbaum sowie der ehemalige Hausbesitzer Josef Stiefel mit Henriette Stiefel und deren Schwester Anna Schutz.

Transport ins Ghetto

Im April 1942 wurden Josef und Henriette Stiefel wahrscheinlich in ein seit 1941 bestehendes Ghetto nach Zamosc im durchs Dritte Reich besetzte Polen gebracht, in dem rund 7000 Juden lebten. Der damalige Kreis-Sonderhilfsausschuss Lünen erteilte nach 1945 dem Schwager von Josef Stiefel folgende die Information: „Nach Rückfrage bei verschiedenen Stellen ist anzunehmen, dass Ihre Verwandten im April 1942 nach Zamova bei Lublin/Polen verschleppt wurden und dort zu Tode gekommen sind.“ Außerdem sind Transporte dorthin, auch mit Lüner Insassen, in der Datenbank über Deportationen in der israelischen Gedenkstätte und dem Dokumentationszentrum „Yad Vashem“ aufgeführt.

Vom 16. bis 18. Oktober 1942 wurde das Ghetto aufgelöst. Nur 50 Bewohner, darunter jedoch niemand aus Dortmund und Umgebung, überlebten den dortigen Völkermord. Somit auch das Ehepaar Stiefel nicht. Die meisten Bewohner wurden in Vernichtungslager nach Sobibor, in das Konzentrationslager Majdanek und im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ in das Vernichtungslager Belzec gebracht und dort ermordet.

Henriette Stiefels Schwester Anna Schutz war zucker- und herzkrank und linksseitig gelähmt. Sie lebte noch einige Monate in dem Abrisshaus in der Altstadtstraße 1, das auch als Ghettohaus genutzt wurde. Sie wurde mit einem Transport am 30. Juli 1942 von Dortmund aus ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Hier starb sie am 26. Oktober 1942. Die „rote Armee“ der Sowjetunion erreichte am 8. Mai 1945 die tschechische Stadt und befreite das KZ.

Anm. d. Red.: In einer vorherigen Version des Artikels haben wir den Begriff „polnisches Ghetto“ verwendet. Diese Formulierung entspricht nicht den Tatsachen, da es sich um Ghettos im durchs Dritte Reich besetzten Polen handelt. Polen war selbstverständlich Opfer der deutschen Besatzer. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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