Sondersitzug von drei Fachauschüssen des Lüner Rates: Dr. Christian Muschwitz stellte dort am Mittwoch (30.3.) das Integrierte Mobilitätskonzept für Lünen vor.

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Mobilität anders denken: Lünen beginnt Verkehrswende mit Streitthemen

rnMobilitätskonzept

Von der Verkehrswende ist Lünen noch weit entfernt. Wie schwierig der Weg dorthin, zeigt das neue Mobilitätskonzept mit vielen Ideen. Nur zwei blieben hängen: mehr Tempo 30, weniger Parkraum.

Lünen

, 02.04.2022, 17:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wie können Menschen künftig gut, sicher und auch klimaschützend von A nach B gelangen? Mit den vier Varianten, die es auch heute gibt: als Fußgänger, als Radfahrer, als Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und als individueller Auto- oder Motorradfahrer.

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Doch wie sich diese vier Bereiche der Mobilität künftig aufteilen werden, ist die große Frage. Das noch zu entwickelnde integrierte Mobilitätskonzept der Stadt Lünen will unter den Aspekten Klimaschutz, Ressourcenschonung, Sicherheit im Verkehr und Aufenthaltsqualität für Rahmenbedingungen sorgen, die den motorisierten Individualverkehr gering halten werden. Denn dieser hat am CO2-Wert der Mobilität mit 62 Prozent den größten Anteil. Schwerlastverkehr und Busse machen nur 27 Prozent aus.

Analyse des aktuellen Zustands

Wie dies gehen könnte, darüber wollten die Fachausschüsse Sicherheit und Ordnung, Klimaschutz und Mobilität sowie Stadtentwicklung und -planung am Mittwoch (30. März) in gemeinsamer Sitzung reden. Dort stellte Stadtplaner Dr. Christian Muschwitz, Geschäftsführer von Raumkom - Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, die Ergebnisse seiner Analyse des aktuellen Zustands in Lünen vor. Er zeigte Baustellen auf, lobte aber auch bereits gute Dinge.

Die Ausschussmitglieder schienen aber nur bei Schlüsselworten wie „mehr Tempo 30“ oder „weniger Parkraum“ besonders hellhörig zu werden. Dabei sollten die Politiker und sachkundigen Bürger am Ende nicht über konkrete Maßnahmen abstimmen, sondern allgemein die im Konzept benannten Handlungsfelder bestätigen. Auf dieser Grundlage soll die Stadtverwaltung konkrete Maßnahmensteckbriefe entwickeln.

Die Aufteilung der Mobilitätsformen in Lünen: Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs soll in Zukunft deutlich kleiner werden.

Die Aufteilung der Mobilitätsformen in Lünen: Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs soll in Zukunft deutlich kleiner werden. © Stephanie Tatenhorst

Über jede dieser einzelnen Maßnahmen müsse dann erneut debattiert und entschieden werden, wurde immer wieder betont. Am Mittwoch sollte es lediglich um das große Ganze gehen. Die Vision eines Lünens der Zukunft.

Die meisten Verkehrsteilnehmer sitzen in Autos

Die aktuellen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 58 Prozent des Verkehrs in Lünen machen Auto- und Motorradfahrer sowie deren Beifahrer aus. Der Anteil der Radfahrer liegt bei 17 Prozent, 13 Prozent sind Fußgänger und 12 Prozent nutzen den ÖPNV. Zwar pendeln mehr Menschen zur Arbeit aus Lünen raus (24.829) als dass Arbeitnehmer nach Lünen zur Arbeit kommen (17.266), aber 16.462 Menschen fahren auch innerhalb Lünens zur Arbeit. „Von denen kann man viele aus dem Auto holen“, ist Muschwitz überzeugt, denn nicht jeder müsse vom einen Ende der Stadt zum anderen.

Dazu müssten jedoch Angebote erweitert und Verkehrswege verbessert werden. Radwege im Freizeitbereich seien zum Großteil hervorragend, aber bei den Alltagsradwegen gäbe es noch viele Lücken. „70 Prozent aller Straßen sind in den nächsten zehn Jahren an ihrer Haltbarkeitsgrenze angekommen. Das ist die Chance, sich den Raum genauer anzugucken und neu aufzuteilen“, riet Muschwitz den Politikern

Arbeitgeber ins Boot holen

Bessere Beleuchtung, breitere Wege, aber auch bessere Busrouten und deren Taktung seien wichtig. „Das ist aber auch die Frage nach Henne und Ei: Verändere ich erst den Straßenraum, oder sorge ich erst dafür, dass die Leute weniger Auto fahren müssen?“ Sonderbuslinien zu großen Arbeitgebern wären eine Möglichkeit, ebenso müsse es eine kürzere Taktung im Außen- statt im Innenbereich geben, denn die kurzen Strecken in der Stadt könne man meist auch gut zu Fuß gehen.

Für Aufregung sorgte Muschwitzs Lob für die vielen Tempo-30-Bereiche in der Stadt. „Damit gleicht sich die Geschwindigkeit von Rad- und Autofahrern an. Radfahrer fühlen sich sicherer“, argumentierte er - mit der Schlussfolgerung, das auf engem Raum mehr Sicherheit mehr Menschen in den Sattel bringe.

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Das brachte die Tempo-30-Gegner auf - und schnell entstand in der eigentlichen Fragerunde eine Debatte darum. Auch alternative Antriebsmethoden der Privatwagen sahen etliche Ausschussmitglieder als nicht genug gewürdigt an, ebenso den Anteil derer, die als Handwerker, Pflegedienste oder Sonstige gar nicht auf ein Auto verzichten könnten.

Diskussion verliert sich in Detailverliebtheit

So mancher meinte „Wir brauchen kein Konzept, wir müssen machen“, andere sahen aufgrund des Konzepts schon Fehler, die man beim IGA-Radweg mache. Andere kritisierten, dass die Leitlinien nicht kompatibel wären und sich widersprächen. „Da muss doch im einzelnen gegeneinander abgewogen werden, was uns wichtiger ist“, hieß es. Da wurde zuvor wohl nicht zugehört.

Ausschussvorsitzende Tessa Schächter moderierte die Diskussion um das Integrierte Mobilitätskonzept. Dessen Kernaussage lautet: Eine klimafreundliche, nachhaltige und ausgewogene Mobilität in Lünen sorgt für hervorragende Erreichbarkeit, erhöht die Lebensqualität und stärkt den Standort.“

Ausschussvorsitzende Tessa Schächter moderierte die Diskussion um das Integrierte Mobilitätskonzept. Dessen Kernaussage lautet: Eine klimafreundliche, nachhaltige und ausgewogene Mobilität in Lünen sorgt für hervorragende Erreichbarkeit, erhöht die Lebensqualität und stärkt den Standort.“ © Stephanie Tatenhorst

„Wir brauchen Maßnahmen, keine kleinteiligen Diskussionen“, mahnte Arnold Reeker, Technischer Beigeordneter der Stadt Lünen, an. „Wir befassen uns ja schon eine ganze Zeit lang mit dem Thema, ziehen die Bürger mit ein.“ Aber die aktuelle weltpolitische Situation lasse „erst jetzt merken, wie wichtig es ist, sich mit Mobilität und Energie zu befassen“, so Reeker. „Die Dramatik hat sich verändert, unabhängig vom Klimaschutz. Wir müssen auch den Bürgern gerecht werden.“ Es gehe um Leitlinien, betonte er, „die sind doch allgemein und ein Beschluss nicht schlimm. Erst bei den Maßnahmensteckbriefen müssen wir konkreter werden.“

Entscheidung in den Rat vertagt

Die GFL meldete jedoch noch Beratungsbedarf an, die AfD war gegen das Konzept. Die CDU wollte die Entscheidung in den Rat vertagen. Mit Argumenten, die die SPD nicht überzeugend fand, aber im Sinne der guten Zusammenarbeit mitgehen wollte. Das wiederum brachte die sachkundigen Bürger auf, die im Rat nicht mehr mitentscheiden dürfen. „Warum machen wir dann so eine Sondersitzung, wenn wir die Diskussion doch wieder in den Rat verlegen“, fragte dann auch Reiner Hohl von den Grünen. Denn da waren schon zweieinhalb Stunden vergangen.