Eine Wochenarbeitszeit von mindestens 65 Stunden ist für Marco Ackerschott völlig normal. Als langjähriger Physiotherapeut wusste er, was ihn in einer Selbstständigkeit im Gesundheitswesen erwartet. Doch die Viruspandemie hat die vorher schon vorhandenen Macken im System verschlimmert. Die komplexe Coronaentschädigung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) sei für ihn der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ackerschott fordert systemische Veränderung, vor allem für Selbstständige.
Marco Ackerschott habe sich selbstständig gemacht, um sich, seinen Patienten und seinen Mitarbeitern ein bedarfsgerechtes und angemessenes Umfeld zur Verfügung zu stellen. In der Physiotherapie bedeute bedarfsgerecht aber häufig: unwirtschaftlich. Der Therapeut erzählt, wie die Pandemie ein patientenunfreundliches System nur noch verschlimmert habe.

Auf dem Rücken von Patienten
„Wenn wir anfangen, wirtschaftlich zu denken, geht das zulasten der Patienten“, erzählt Ackerschott. Der Grund liegt in der Abrechnung der Arbeitsstunden bei den Krankenkassen: „Wir bekommen für eine Sitzung zwischen 15 und 25 Minuten das gleiche Geld“, sagt er. „Das Lukrativste wäre also, immer nur 15-Minuten-Sitzungen durchzuführen.“ Das käme für ihn aber nicht infrage.
„Würde ich das machen, könnte ich einige ältere Patienten gar nicht behandeln. Sie benötigen alleine für das Umziehen auch mal etwas länger“, sagt der Physiotherapeut. Die Zeit, die Patienten zum Umziehen benötigen, sei mit in den 15 bis 25 Minuten einberechnet. „Rein wirtschaftlich zu arbeiten hieße, dass wir langsamere Patienten direkt nach dem Betreten des Behandlungszimmers wieder raus schicken.“
So schlimm – so normal
Aber diese Probleme hat Ackerschott schon lange. Und wie er sagt, viele andere Therapeuten auch. „Auch unter diesen Bedingungen mache ich meinen Job gerne“, sagt er. Sein einziges Problem sei der willkürliche und unzureichende Umgang von staatlicher Seite mit einem so sozialen Berufsfeld. Ein aktuelles Beispiel dafür ist für ihn die Entschädigung bei coronabedingten Verdienstausfällen des LWL. Das hat er selbst erlebt.
Im Jahr 2022 sei ein Mitarbeiter erkrankt. Er nahm einen Krankenschein. Danach ließ sich der Mitarbeiter auf Covid-19 testen. Der Test war positiv. Das Gesundheitsamt ordnete die Quarantäne an. Der Mitarbeiter fiel lange aus. Laut Marco Ackerschott habe das einen Umsatzverlust von mehreren Tausend Euro bedeutet. Er beantragte beim LWL Corona-Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Die Summe, die er bekam, habe nicht einmal den Zeitaufwand gedeckt, den er in die Antragstellung gesteckt hat.
Den Aufwand war es nicht wert
Für ungefähr 250 Euro habe sich Ackerschott durch einen Wust an Bürokratie kämpfen müssen. Wieso die Zahlung so gering war, erklärt Markus Fischer vom LWL: „Die Entschädigung wurde vom Gesetzgeber als ´Billigkeitsentschädigung´ konzipiert, es wird deshalb nicht zwangsläufig der konkret entstandene ,Schaden‘ ersetzt.“ Fehler bei der Antragsstellung habe es keine gegeben. Die Summe sei so korrekt berechnet.
Grundlage für die Berechnung: ein Einkommensteuerbescheid. Den hat Marco Ackerschott wegen seiner kurzen Selbstständigkeit aber noch nicht. Fischer erklärt dazu: „Liegt kein Einkommensteuerbescheid vor, ist der Bruttoverdienst zu schätzen.“ Das sei bei Ackerschott getan worden: „Der Jahresbruttoverdienst wurde durch eine Hochrechnung der Einkünfte bis September für das Jahr 2022 ermittelt.“
Diese Grundlage benachteiligt den Selbstständigen, sagt er: „Natürlich verdient man in den ersten Monaten der Selbstständigkeit weniger.“ Außerdem seien die lukrativsten Monate in der Physiotherapie die Wintermonate. Marco Ackerschott wolle deshalb weiter versuchen, mit Daten der Folgemonate eine akkuratere Berechnung mit dem LWL zu erarbeiten.
Für ihn sei die Entschädigung an dem Punkt aber zweitrangig. Die komplexen Regeln der Corona-Entschädigung seien nur ein weiteres Symptom eines Gesundheitssystems, das zu sehr bürokratisiert wird. „Es muss sich zeitnah etwas ändern. Sowohl für Mitarbeitende im Gesundheitswesen als auch für die Patientinnen und Patienten“, sagt er. Ansonsten sei die nächste Krise nur eine Frage der Zeit.
Anders als der Name andeutet, ist ganz genau definiert, was als Verdienstausfall gilt, der über den LWL nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) entschädigt wird.
Markus Fischer erklärt dazu: „Anspruch auf eine Entschädigung aufgrund einer Quarantäne nach § 56 Abs. 1 IfSG hat die Person, gegenüber der eine Quarantäne ausgesprochen worden ist und hierdurch ein Verdienstausfall entsteht. Die Leistung nach § 56 IfSG ist nachrangig und greift nur, wenn kein Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber besteht.“
Gerade diese Definition sei auch Grund für die meisten Nachfragen von Betroffenen an den LWL. Dieser ist laut Fischer für spezifische Rückfragen zu den Corona-Entschädigungen zu erreichen unter 0800 9336397 und der Mail-Adresse SER.IFSG@lwl.org. Allgemeine Fragen würden aber auch auf der Website ifsg-online.de beantwortet.
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