
Daniel Magalski fuhr mit dem Hilfstransport von Lünen in die Partnerstadt Kamien Pomorski in Polen. Die Menschen aus der Ukraine dort warteten schon auf die Hilfsgüter. © Daniel Magalski / Peter Adam
Lünen hilft in Polen: „Dank des Jungen aus Butscha war Gänsehaut-Moment“
Kamien Pomorski
Hilfe für die Ukraine rollte aus Lünen nach Polen - mit dabei war Redakteur Daniel Magalski. Der Dank eines Kindes war für ihn der emotionalste Moment. Das Kind kam aus Butscha, der Stadt des Massakers.
Leben bedeutet vor allem Erleben. Schönes und Schlimmes, an manches erinnert man sich bis ins hohe Alter und erzählt davon vielleicht einmal seinen Enkeln. Der Hilfstransport in Lünens Partnerstadt Kamien Pomorski war für mich ein solches Erlebnis.
Im Beruf bin ich Redakteur für die Ruhr Nachrichten. Im Ehrenamt unter anderem im Vorstand des Vereins Lüner helfen Lünern - und aus diesem Grund läutet am Samstag vor Pfingsten mein Telefon.
Der Anruf kommt aus dem Rathaus. Dr. Christian Klicki, der Referent von Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns, ist am anderen Ende und meldet sich mit einem Hilferuf. Klicki berichtet, dass die Menschen in Lünens Partnerstadt Kamien Pomorski an ihre Grenzen kommen, denn seit Wochen kümmern auch sie sich um Vertriebene aus der Ukraine.
Hilfe für Menschen aus Ukraine
Kamien Pomorski, das mit rund neuntausend Einwohnern bedeutend kleiner als Lünen ist, öffnete seine Türen weit für viele Geflüchtete aus der Ukraine. In Kamien Pomorski selbst fanden rund dreihundert Menschen Zuflucht, weitere 1.200 Geflüchtete leben im Umland. Zahlen, die die Helfer vor Ort überfordern, denn mehr und mehr stockt der Nachschub der Hilfsgüter.
Kurz nach dem Telefonat ist klar: Stadt Lünen und Lüner helfen Lünern starten eine gemeinsame Hilfsaktion. Vom Hilferuf aus Lünens Partnerstadt Kamien Pomorski bis zur geplanten Abfahrt des Transports bleibt allerdings weniger als eine Woche Zeit. Fünf Tage nur für die Sammlung von Spendengeldern, den Kontakt zu Händlern, die Organisation eines Fahrzeugs, die Abholung der Waren in den Einkaufsmärkten und nebenher so manche andere „Kleinigkeit“.

Ein Ehrenamtlicher entlädt die Hilfsgüter aus Lünen aus dem Fahrzeug der Jugendfeuerwehr. © Daniel Magalski
Eine Woche ist sehr kurz und diese ist mit einem Feiertag noch kürzer, aber was die Lünerinnen und Lüner zusammen schaffen können, bewiesen sie schon beim Juli-Hochwasser 2021. In Tagen kamen damals auf einem Lüner helfen-Lünern-Sonderkonto so viele Spenden zusammen, dass wir sofort und vollkommen unbürokratisch helfen konnten, etwa den Menschen in Niederaden.
Ware im Wert von über 4000 Euro
Verlass ist auch dieses Mal, da Menschen aus der Ukraine sie brauchen, auf die Hilfsbereitschaft der Lünerinnen und Lüner. Fünf Tage nach dem Telefonat beladen Feuerwehrleute den Mannschaftswagen der Jugendfeuerwehr mit den Hilfsgütern aus Lünen. Medikamente, Konserven, Nudeln, Fertiggerichte, Seife und vieles mehr stapelt sich in Kartons auf der Ladefläche, insgesamt rund eine Tonne im Wert von über 4.000 Euro.
Für Christian Klicki und mich geht es dann auf die Autobahn. Von Lünen aus fahren wir immer weiter nach Norden. Stau reiht sich an Stau und schon deshalb sind wir dankbar, als wir nach über neun Stunden Demmin erreichen, das erste Ziel. Die Stadt in Mecklenburg-Vorpommern ist ebenfalls Lünens Partnerstadt und feiert ihr Stadtfest. Bürgermeister Thomas Witkowski hat uns eingeladen, hier zu verschnaufen und als wir am Sonntagvormittag wieder aufbrechen, fahren wir mit einer Zusage: Demmin will ebenfalls helfen!

Dr. Christian Klicki (2.v.l.) von der Stadt Lünen und Daniel Magalski (r.) vom Verein Lüner helfen Lünern brachten die Hilfsgüter nach Polen. Leszek Szeflinski, stellvertretender Bürgermeister von Kamien Pomorski, und Ukraine-Helfer berichteten ihnen dort von der Situation vor Ort. © Daniel Magalski
Dankbarkeit ist manchmal ein Tisch voller Leckereien. Christian Klicki und ich merken das, als wir am Nachmittag unser Ziel Kamien Pomorski erreichen: Krakauer. Käse. Fleisch und Gemüse in Gelee. Hähnchen und Salate. Die Menschen in Lünens Partnerstadt empfangen uns mit einem Festessen, allen voran Leszek Szeflinski, der stellvertretende Bürgermeister von Kamien Pomorski.
Fahrt ist meine Polen-Premiere
Der Hilfstransport nach Kamien Pomorski ist meine Polen-Premiere und das ist meinem Namen nach für den einen oder anderen vermutlich eine Überraschung. Opa kam aus Ostpreußen, das ist die ganze Geschichte hinter meinem Namen. Die Endung auf „ski“ macht aus mir nicht automatisch einen polnischen Muttersprachler.
Was Deutsche oft denken, denken aber offensichtlich auch die Gastgeber in Polen. Der Vorstellungsrunde folgen schnell weitere Sätze auf Polnisch. Sätze in rasantem Tempo - ich verstehe davon aber kein Wort. Christian Klicki kann da zu meinem Glück helfen: Der Bürgermeister-Referent spricht fließend Polnisch.
Eine Gabe, die sich als außerordentlich hilfreich erweist. Den Abend verbringen wir im Austausch mit den polnischen Gastgebern, darunter viele Ehrenamtliche aus der Ukraine-Hilfe.
Sirene reißt mich aus dem Schlaf
Montag holt mich kurz vor 6 Uhr das Heulen einer Sirene aus dem Schlaf. Eine Sirene, die Feuerwehrleute zu einem Einsatz ruft, da bin ich mir schnell recht sicher, schaue aber dann doch noch einmal im Internet. Der Krieg in der Ukraine, er ist hier in Polen nicht nur räumlich, sondern auch in meinem Kopf ein Stück näher als Zuhause in Deutschland. „Eine Feuerwehrsirene“, bestätigt das Internet - und mit diesem Wissen beruhigt sich auch mein Puls.

Ein Schild in den Farben der Ukraine verrät: Die Halle ist eine Annahmestelle für Hilfsgüter. © Daniel Magalski
Der Montag ist auch der Tag der Spendenübergabe. Bürgermeister-Stellvertreter Leszek Szeflinski holt uns am Hotel ab, von hier geht die Fahrt nun mit dem Fahrzeug der Jugendfeuerwehr zu einer Halle nahe des Bahnhofs. Menschen stehen davor, sie warten offenbar schon auf unseren Hilfstransport.
Die Hilfsgüter zu entladen ist Teamwork, dann machen sich die Helferinnen und Helfer drinnen ans Verteilen. Frauen und Kinder stehen dort vor der langen Reihe von Tischen, sie freuen sich sichtlich über die Hilfe. Eine Frau erzählt, dass der Rucksack auf ihrem Rücken das einzige war, was sie aus der Ukraine mitnahm, von Tagen im Bunker. Die Menschen hier haben alle eine Geschichte. Putins Krieg hinterlässt auch ohne Waffen Spuren.
Ein Wort auf Deutsch: Danke
Ein Junge in einem blauen T-Shirt kommt kurz vor unserer Abfahrt auf mich zu, reicht mir die Hand. Der Junge und seine Mutter, so erfahre ich später, kommen aus Butscha. Butscha. Der Stadt, die nach Berichten in den Medien zum Synonym wurde für schreckliche Gräueltaten an Zivilisten. Ein Massaker mit dutzenden Toten, darunter auch Kinder, Frauen und Senioren. Der Junge aus Butscha schaut mich an, sagt dann mit deutlichem Akzent und etwas Mühe nur ein Wort auf Deutsch: Danke.

Dr. Christian Klicki und Leszek Szeflinski, stellvertrender Bürgermeister von Kamien Pomorski, entluden gemeinsam mit den Helfern der Sammelstelle die Hilfsgüter aus Lünen. © Daniel Magalski
Ein Gänsehaut-Moment. Der Dank des Jungen hallt noch nach, als wir am Nachmittag über freie Autobahnen wieder Richtung Lünen rollen: Ich denke darüber nach, was der Junge zurücklassen musste in seiner ukrainischen Heimat, was er verloren hat, ob er wohl trauert um Familie und Freunde.
Ich denke nach über Bilder, wie sie im Fernsehen zu sehen waren und über Wichtigkeit von Solidarität, Hilfe und Zusammenhalt. Welche Zukunft hätten Kinder wie der Junge aus Butscha ohne all das? Lünen, so finde ich, kann sehr stolz sein auf seinen Zusammenhalt.
Der Kreis Unna ist meine Heimat, im Beruf wie im Privaten. Die Geschichten der Menschen in Lünen und Selm zu erzählen, das ist seit über zwanzig Jahren meine Leidenschaft - und für die Ruhr Nachrichten schaue ich auch gerne über die Grenzen nach Nordkirchen und Olfen.