
Astrid und Patrick Dähn stehen auf der Straße, auf der vor einem Jahr kniehoch das Wasser stand. © Kristina Gerstenmaier
Hochwasser: Viele Niederadener haben noch immer mit den Folgen zu kämpfen
Ein Jahr danach
Finanziell und psychisch hat das Hochwasser von 2021 bis heute Auswirkungen; auch auf die Menschen in Niederaden, unter den Lünern besonders stark betroffen. Ein Rundgang durch den Stadtteil.
Heute, ein Jahr nachdem der Himmel für etwa drei Stunden seine Schleusen öffnete und die Wassermassen Leben forderten und Existenzen zerstörten, sind die Folgen noch immer spürbar. Auch wenn es in Lünen keine Todesopfer gab, hat der Starkregen vom 14. Juli 2021 nicht nur im Ahrtal, sondern auch hier Spuren hinterlassen - vor allem in Niederaden und Lünen-Süd. Nicht etwa, weil es dort stärker als anderswo in Lünen regnete , sondern weil die Wasserpumpen des zwischen Niederaden und Horstmar gelegenen Pumpwerks Lüserbach nicht mit den Wassermassen klarkamen.
Am 13. Juli, einen Tag bevor sich das Unwetter jährt, unternehme ich einen Rundgang durch Niederaden. Finkenstraße, Wilhelm-Raabe-Straße, Dohlenweg, Im Sundern, Brüderweg, Grüner Weg. Das sind die Straßen, bei denen die meisten Wassermassen in die Keller drangen, die Gärten und Straßen überfluteten, denn sie liegen in einer kleinen Senke.
Äußerlich alles aufgeräumt
Ein Jahr später wirkt alles sauber und aufgeräumt. Äußerlich zumindest. Die Straßen sind gefegt, die Vorgärten ordentlich. An diesem regnerischen Nachmittag ist kaum jemand unterwegs. Doch hier und da treffe ich dann doch auf Anwohner. Spreche ich mit den Menschen hier, hat jeder eine Geschichte zu erzählen. „Als es zu regnen anfing, floss das Wasser noch hier im Finkenweg (Ecke Brüderweg) in die Gullys rein“, erinnern sich Monika und Dietrich Lachmann, die gerade aus dem Schwimmbad nach Hause kommen.
„Und dort unten spritzte es in Fontänen wieder raus.“ Sie deuten in Richtung der Senke. Bei ihnen selbst sei es nicht so schlimm gewesen, wie dort. „Nur“ 70 Zentimeter hoch habe das Wasser im Keller gestanden. Waschmaschine, Trockner, Kühlschrank und die eingelagerte Winterkleidung überlebten die Wassermassen im Keller aber nicht. Bis heute hat das Paar kein Geld von der Versicherung dafür gesehen. „Für einen Rohrbruch hätte die Versicherung gezahlt, aber nicht für Hochwasser“, erzählt Dieter Lachmann.“ Ich solle aber lieber mit den Menschen etwas hügelab sprechen. Mit denen die schlimmer betroffen seien.

Im Sundern ist zumindest von außen nichts mehr von der Flut zu sehen. © Kristina Gerstenmaier
Im Dohlenweg treffe ich auf Patrick Dähn, der Dinge in seinem Dienstwagen ordnet. In der Verkehrssicherung ist er tätig. „Wir hatten 1,80 Meter Wasser im Keller. Er musste komplett neu gemacht werden“, erinnert sich der 24-Jährige. „Wir mussten einmal alles kernsanieren und es ist immer noch nicht alles fertig.“ Grund dafür ist vor allem, dass weder Handwerker noch Material zu bekommen seien. Dank einer Elementarversicherung wurden aber viele der Kosten übernommen.
„Natürlich blickt man immer wieder zurück“, erzählt der junge Mann, „das sind schon schockierende Erinnerungen. Man hat versucht alles zu machen, was möglich war und das hat nicht viel gebracht. Zum Beispiel bin ich nochmal ins Sauerland zur Arbeit gefahren und habe von dort eine Pumpe und einen Generator geholt. Aber das war nutzlos.“ Das Wasser stieg und stieg.
Emotional belastend
Während des Gesprächs kommt seine Mutter Astrid Dähn dazu. Sie freut sich, dass die Ruhr Nachrichten bis zu ihr in die Sackgasse vorgedrungen sind. In der Berichterstattung vor einem Jahr habe alles nicht so dramatisch ausgesehen, wie es tatsächlich war, meint sie. „Ich blicke mit gemischten Gefühlen zurück“, sagt sie. „Als das Wasser immer höher stieg, mussten wir und viele Nachbarn von der Feuerwehr evakuiert werden. Allein die Tatsache, während des steigenden Wassers, das Haus zu verlassen, ohne zu wissen, ist emotional belastend. Bis heute mache ich mir bei jedem Unwetter große Sorgen.“ Positiv sei aber, dass man sich nach der Katastrophe unter den Nachbarn nun besser kennt und einander hilft. „Da brauchte es erst ein Unglück, um die Gemeinschaft zu stärken“, bemerkt sie.

Patrick Dähn zeigt, wie sehr der Garten überflutet war. © Kristina Gerstenmaier
Dass der Starkregen nicht nur finanziell sondern bis heute auch emotional sehr belastend ist, merkt man vielen Anwohnern an. „Unwetter sind mir bis heute sehr unheimlich, vor allem, weil das Auffangbecken gleich da hinten liegt“, sagt Heike Langanki aus dem Brüderweg. Die Wassermassen hatten den Keller und damit die Zimmer ihrer beiden Kinder überflutet. Auch Alexander Schäfer aus der Finkenstraße sagt: „Ich gucke nach oben in den Himmel und habe immer Angst.“ Bei ihm war unter anderem der Öl-Tank zerstört. Eine Versicherung hatte er nicht. Noch immer ist nicht alles wieder wie vorher.
Angst um Leib und Leben
Vor einem Haus weiter unten im Finkenweg stehen ein Dixi-Klo und ein Container. Alles deutet darauf hin, dass auch hier die Spuren des Hochwassers noch nicht vollständig beseitigt werden konnten. Als ich klingele öffnet ein Mann. Weil er im Klinsch mit seiner Versicherung liegt, möchte er seinen Namen lieber nicht nennen. Dennoch gibt er bereitwillig Auskunft. Erzählt, das Wasser habe 1,75 Meter im Keller gestanden und alles zerstört. Heiz-Tank, Schwimmteich im Garten, Türen, Wände. „Wir haben einen Schaden von weit über 100.000 Euro. Es ist ein zähes Ringen mit der Versicherung. Sie kommt uns nur Stück für Stück entgegen“, erzählt der 62-Jährige. „Ich hätte nie gedacht, dass ich nach einem Jahr immer noch mit Kellertüren zu tun haben werde. Das alles ist vor allem sehr frustrierend. Auf dem Großteil der Kosten werde ich wohl sitzen bleiben.“

Der Keller des Anwohners der Finkenstraße wartet noch immer auf Sanierung. © Kristina Gerstenmaier
Als er mir seinen Keller zeigt, der nicht begehbar ist, beginnen plötzlich die Tränen zu fließen. Reine Hilflosigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Das war eine absolut existentielle Bedrohung. Ich hatte Angst um Leib und Leben. Es hat lange gedauert, bis ich nachts wieder schlafen konnte.“
In und um Stuttgart aufgewachsen, in Mittelhessen Studienjahre verbracht und schließlich im Ruhrgebiet gestrandet treibt Kristina Gerstenmaier vor allem eine ausgeprägte Neugier. Im Lokalen wird die am besten befriedigt, findet sie.
