Es ist der Tag der Erkenntnisse beim 32. Kinofest Lünen. Am Donnerstag (24.11.) erzählen Dokumentarfilmer, Drehbuchautoren und Regisseurinnen über ihre Arbeit. Gespräche mit Filmschaffenden und Begegnungen sowohl mit Kollegen als auch den „ganz normalen Zuschauern“ machen den Reiz des familiären Festivals aus.
Da treffen sich Regisseur Axel Ranisch und seine Kollegin Hanna Doose im Cineworld-Foyer. Beide setzen in ihren Filmen gerne auf den Faktor Improvisation, und nun sind sie Konkurrenten um den Filmpreis Lüdia. An Hanna Dooses Seite ist Schauspieler Godehard Giese, der schon 2007 beim Kinofest zu Gast war. „Damals habe ich auch Casterin Susanne Ritter kennengelernt.“ Sie ist in diesem Jahr Teil der Schauspiel-Jury und freut sich übers Wiedersehen. Giese hat in diesem Jahr einen Frankfurt-Tatort abgedreht und einen Fernsehfilm mit Nina Kunzendorf als Partnerin vor der Kamera. Jetzt präsentiert er mit Hanna Doose den Film „Wann kommst du meine Wunden küssen“.
Film über Freundschaften
Mit Hanna Doose hat Giese in St. Blasien im Schwarzwald den Film gedreht, der nun im November auf sechs Festivals läuft. „Wir kommen gerade vom Black Nights Festival in Tallinn. Solche Festivals sind toll und wichtig vor dem Kinostart“, so die Regisseurin. Am 25. Januar hat ihr Film in Berlin Kino-Premiere, der Kinostart ist dann im Februar. Gedreht wurde 2021 und im Frühjahr 2022 im Schwarzwald.
„Ich interessiere mich für das Leben von Frauen zwischen 40 und 45, in der Zeit, in der sich endgültig entscheidet, ob man noch Kinder bekommen will oder ob die Familienplanung abgeschlossen sein soll. Es sind Charaktere in der ersten Midlife-Crisis. Aber es geht auch um Freundschaft, darum, dass man sich liebt, aber sich wegen Eifersucht, Lügen und Betrug hinter Masken versteckt.“ Die Dialoge am Set wurden improvisiert, Charaktere und Geschichte wurden sorgfältig von Hanna Doose vorbereitet.

Im Vorfeld, so Giese, hat sich das Ensemble lange über die Geschichte und die jeweiligen Charaktere unterhalten. Hanna Doose probt nicht, sondern dreht bewusst sofort mit zwei Kameras, „um den ersten frischen Moment entgegenzunehmen, sammele verschiedene Varianten und schaue dann im Schnitt, worauf ich den Fokus lege.“ Corona stoppte das Projekt einen Tag vor Drehbeginn: „Aber ich habe das Jahr dann als Geschenk gesehen, in dem ich viel an der Geschichte gearbeitet habe.“
Sogar sechs Jahre sind vergangen, seitdem Jakob Reinhart mit der Arbeit an seiner Doku „Platzen“ begonnen hat, die im Wettbewerb um die „Rakete“ steht. Der Freiburger drehte an einer Schule in seiner Heimatstadt einen Film über 11- und 12-Jährige aus einer Brennpunktschule, die an einem Tanztheater-Projekt teilnehmen. Im Dezember werden die mittlerweile erwachsenen Protagonisten den Film das erste Mal in Freiburg sehen.

Die Idee zu dem Film verdankt Reinhart seiner Frau, die damals Lehrerin an der Schule war. Während es von der Idee bis zu den Dreharbeiten schnell gehen musste, weil der Proben-Zeitraum für das Kunstprojekt feststand, dauerte die Post-Produktion umso länger. Zumal der Dokumentarfilmer mit einem sehr kleinen Budget auskommen musste. Der Titel „Platzen“ ist der gleiche, wie ihn das Tanztheater-Projekt trägt. Reinhart: „Es geht sowohl darum, was die Jugendlichen zum Platzen bringt, aber auch darum, wo ihr Platz ist.“
Die Reaktion der Schülerinnen und Schüler auf das Filmteam war unterschiedlich. „Manche waren einverstanden, andere haben die Kamera ganz schnell vergessen, manche waren bis zum Schluss auf der Hut. Wir haben auch Kinder zu Hause besucht, ihren Alltag verfolgt.“ Es sei immer ein Balanceakt gewesen, was tatsächlich im Film gezeigt werde, denn die Kinder hätten dem Team ihr Vertrauen geschenkt, manchmal auch Dinge erzählt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien.
Premiere in Emden
Zwei Monate Dreharbeiten, dann zwei Jahre, bis der Film endgültig fertig war. Premiere hatte er beim Filmfestival in Emden, wo „Platzen“ auch den Publikumspreis gewann - gegen die starke Konkurrenz eines Films mit Juliette Binoche. Leicht ist es nicht für Dokumentarfilme im Kino, sagt Reinhart. Das war auch vor Corona schon so. Derzeit gibt es Gespräche mit einem Verleih. Aber noch steht nicht fest, ob „Platzen“ ins Kino kommt.
Ganz anders ist derzeit die Situation von Drehbuchautoren, verrät Burkhardt Wunderlich, der das Buch zur Literatur-Verfilmung „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ geschrieben hat. „Es herrscht eigentlich eine Goldgräberstimmung bei Drehbuchautoren. Das liegt an den ganzen Produktionen, die die Streaming-Dienste zeigen wollen. Alle wollen Serien und Filme machen, alle sind offen für neue spannende Stoffe, auch Genres.“

Wunderlich arbeitet gerade an Serien-Drehbüchern. Für „Love Addicts“, eine neue Comedyserie auf Amazon Prime mit Annette Frier als Therapeutin, hat er zwei Folgen geschrieben. „Es geht um Leben und Liebe im Großstadt-Dschungel und eine Gruppentherapie.“ Das Ganze startet am 30. November. Ohne gutes Drehbuch gibt es auch keinen guten Film, sagt der Autor, der zum ersten Mal in Lünen war, „aber schon viel über das Festival gehört“ hatte.
Für den in Lünen gezeigten Film ist er einen Monat lang zwecks Recherchen nach Israel gereist. Ende 2019. Dann habe Corona die Dreharbeiten in Israel fast unmöglich gemacht. Die Kunst, aus einem Roman ein Drehbuch zu schreiben, sei, den Leser nicht zu enttäuschen und gleichzeitig das Visuelle hinzuzufügen.
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