Emilys (4) Mamas fordern Gleichberechtigung: „Wir werden diskriminiert!“
Stiefkindadoption
Die vierjährige Emily hat zwei Mamas. Gesetzlich haben Kinder in Regenbogenfamilien oft nur einen Elternteil. Die Anerkennung des zweiten ist sehr schwierig, wie die Familie gerade erleben muss.

Für die vierjährige Emily sind Mami Vivian (l.) und Mama Annamaria (r.) ihre Superheldinnen. © Nastasi
Für die vierjährige Emily ist es nicht nur ganz normal, zwei Mütter zu haben, sondern „etwas ganz Besonderes“, sagt sie stolz. Gesetzlich sieht das aber anders aus. Vor dem Gesetz hat Emily nur ihre Mama Annamaria, weil die sie zur Welt gebracht hat. Ihre Mami Vivian ist kein gleichberechtigter Elternteil. Obwohl das Paar die Schwangerschaft gemeinsam mit einer Samenspende geplant hat. Eine Mutterschaft anzuerkennen, ist in Deutschland unmöglich. Das Problem betrifft nicht nur das Ehepaar aus Waltrop, sondern auch Regenbogenfamilien in der Region und in ganz Deutschland.
„Vor dem Gesetz sind eben nicht alle gleich“
2020 haben Annamaria und Vivian Nastasi viel durchmachen müssen. Annamaria hatte zwei Fehlgeburten. Im April schwebte sie wegen des hohen Blutverlusts selbst in Lebensgefahr. Ihr Sohn kam nach rund sieben Monaten zur Welt und starb nur eine Stunde später nach der Geburt.
Ihre Frau Vivian musste in dieser Nacht den Tod ihres Sohnes verkraften, machte sich Sorgen um ihre Frau und schmerzhafte Fragen geisterten durch ihren Kopf: „Was passiert mit unserer gemeinsamen Tochter Emily, wenn Annamaria nicht überlebt? Darf mein Kind bei mir bleiben?“ - „Das war heftig“, sagt Vivian. Tränen steigen der jungen Frau beim Interview in die Augen.
Vivian kann gesetzlich nur Emilys Stiefmutter werden. Seit mehreren Monaten befinden sich die Nastasis in einem aufwendigen Verfahren, das sich „Stiefkindadoption“ nennt. Im Schnitt zieht sich der Prozess zwischen sechs und zwölf Monate.
„Vivian dürfte eigentlich nicht zu Elterngesprächen im Kindergarten gehen oder kann sich auch keine Kinderkrankentage nehmen. Gesetzlich hat sie keine Tochter. Der Kinderarzt dürfte ihr auch keine Auskunft geben. Ich kann nicht mehr hören, dass wir keine Familie sind. Denn wir sind eine“, sagt Annamaria. Die Worte brechen aus ihr heraus. Sie ist wütend über die Ungerechtigkeit: „Vor dem Gesetz sind eben nicht alle gleich. Wir werden diskriminiert!“

Für Emily ist es „etwas ganz besonderes“ eine Mama und eine Mami zu haben. © Nastasi
Familienministerium NRW: Zügige Reform notwendig
„Wir müssen unzählige Prüfungen ablegen und Dokumente vorweisen, obwohl wir diese Familie geplant haben. Eine Mutterschaft anzuerkennen, ist gar nicht möglich. Das Abstammungsrecht liegt verstaubt in irgendeiner Schublade. Die Politik muss was tun“, sagt Annamaria. Die 42-Jährige arbeitet in Lünen in einem Pflegeheim, in ihrer Freizeit lässt sie 6000 Instagram-Follower an ihren Erfahrungen rund um die Adoption teilhaben.
Auf Anfrage bestätigt das auch das Familienministerium NRW: „[A]us unserer Sicht [ist] eine zügige Reform des geltenden Abstammungsrechts mit Blick auf die Vielfalt heutiger Familienkonstellationen sowie neuer Familienmodelle notwendig.“ Eine Reform kann aber nur der Bund auf den Weg bringen.
Konkret bedeutet das für die Nastasis, dass gesetzlich jedes künftige Kind in ihrer Ehe nur eine Mutter haben wird bis sich die Gesetzlage ändert. Vivian Nastasi ist jetzt im fünften Monat schwanger - ein neuer langwieriger Adoptionsprozess beginnt bald für das Ehepaar von Neuem.
Standesamt, Jugendamt, Adoptionsvermittlungsstelle und Familiengericht sind die amtlichen Stellen, die beim Adoptionsverfahren involviert sind, erklärt eine Sprecherin der Stadt Recklinghausen auf Anfrage. Seit 2017 wurden in den Städten Recklinghausen, Oer-Erkenschwick und Waltrop fünf Adoptionsanträge von gleichgeschlechtlichen Paaren bearbeitet. In Lünen sind es laut Pressesprecher Alexander Dziedeck drei Anträge weiblicher, verheirateter Paare gewesen.
Ehepaar muss sich „komplett nackig machen“
Für das Verfahren müssen sich Annamaria und Vivian „komplett nackig machen“, wie sie selbst sagen. Verlangt werden unter anderem Nachweise über Einkommen und Vermögen, ein erweitertes polizeiliches Zeugnis, Gesundheitszeugnis und ein Lebensbericht. „Die Überschrift lautet: „Das war ihr Leben“ - nach fünf Seiten habe ich Vivian gesagt, sie solle aufhören“, sagt Annamaria.
Emily zu erklären, warum eine Mitarbeiterin von der Adoptionsstelle zu ihnen nach Hause komme und Fragen zu ihrer Mami stelle, seien für die Vierjährige eher verstörend gewesen, erzählen die Mütter. Für ihre Tochter ist klar: „Natürlich ist die Mami meine Mami.“

In einem langen Prozess muss geklärt werden, ob Vivian (l.) als Stiefmutter von Emily (m.) gesetzlich anerkannt wird. Gleichberechtigte Mutterschaft gibt es in Deutschland noch nicht. © Nora Westhoff
Laut der Sprecherin der Stadt Recklinghausen werde die Stellungnahme von der zuständigen Sachbearbeiterin aktuell bearbeitet und verfasst. Die endgültige Entscheidung zu Emilys Adoptionsverfahren treffe anschließend das Gericht und lege einen Termin fest. Vergleichbare Fälle seien bislang positiv entschieden worden.
„Keine gleichberechtigte Familie“
„Der Druck auf die Politik muss erhöht werden. Wir sind im Jahr 2021 immer noch keine gleichberechtigte Familie. Am Ende entscheidet ein Gutachter oder ein Richter darüber. Das kann nicht sein. Das Gesetz muss auf unserer Seite sein“, sagt Annamaria.
Ein Pressesprecher des Bundesjustizministeriums bestätigt auf Anfrage, dass an einer Reform des Abstammungsrechts gearbeitet werde. Ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2020 sah eine weitere Mutterschaft kraft Ehe und kraft Anerkennung als Kernpunkt vor: „Ein Kind, das in eine Zwei-Mütter-Familie geboren wird, könnte dann von Geburt an zwei Elternteile haben, ohne dass es eines Adoptionsverfahrens bedürfte.“
In der Bundesregierung gebe es über die Inhalte jedoch unterschiedliche Auffassungen, die „trotz erheblicher Bemühungen nicht aufgelöst werden konnten“, so der Sprecher. Voraussichtlich können in der nächsten Legislaturperiode weitere Entwürfe vorgelegt werden.