Betroffenen in Lünen Mut machen Leben ist noch nicht zu Ende bei Diagnose Demenz

Mut machen: Leben ist noch nicht zu Ende bei Diagnose Demenz
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Die Zahlen der Menschen, die die Diagnose Demenz bekommen, steigt stetig an, auch im Kreis Unna, auch in Lünen. Seit Jahren nimmt sich das Netzwerk Demenz des Themas an, um Betroffenen und deren Angehörigen zu helfen, nach der Diagnose mit der Krankheit und deren Folgen besser zu leben. Das Thema Demenz aus der Tabuzone holen, ist ein Ziel. Deshalb findet am Samstag (26.8.) von 10 bis 13 Uhr an und in der Stadtkirche St. Georg ein Thementag statt, der Mut machen und zeigen soll, dass man auch mit Demenz ein lebenswertes Leben führen kann.

„Angesichts der immer weiter steigenden Zahlen an Betroffenen und der immer größer werdenden Bandbreite an Demenz-Erkrankungen ist es sinnvoll, an die Öffentlichkeit zu gehen“, so Annette Goebel, Koordinatorin für Altenarbeit der Stadt Lünen. Die Mitglieder des Netzwerks Demenz wünschen sich, zu zeigen, welche Chancen und Möglichkeiten es für Angehörige und Betroffene gibt, auch mit der Krankheit aktiv zu sein. Deshalb werden an dem Thementag Ideen und Möglichkeiten von Teilhabe in den Vordergrund gestellt. Das Leben ist mit der Diagnose Demenz nicht zu Ende, da geht noch was - so Annette Goebel.

Annette Goebel (r.) und Sabine Nobbe von der Betreuungsstelle der Stadt Lünen. Beide sind an dem Thementag vor Ort. Sabine Nobbe wird über u.a. über Vorsorgevollmachten informieren.
Annette Goebel (r.) und Sabine Nobbe von der Betreuungsstelle der Stadt Lünen. Beide sind an dem Thementag vor Ort. Sabine Nobbe wird über u.a. über Vorsorgevollmachten informieren. © Sacha GoerkeFAW

Fast schon eine kleine Tradition ist der Auftakt der Veranstaltung um 10 Uhr - ein offenes Singen vor der Stadtkirche am Alten Markt in der Lüner Innenstadt. Mit dabei sind Chorleiter Jürgen Kleinschmidt und Tobias Schneider am Piano, die schon mehrmals in Lünen ein offenes Singen geleitet haben - gedacht gerade für demenziell Veränderte und ihre Angehörigen, aber auch für alle anderen Interessenten. Kleinschmidt leitet in Dortmund ein Chorprojekt für demenziell Veränderte und ihre Angehörigen. „Das Projekt gibt es seit 2014, als Kooperation zwischen dem Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz und der Alzheimer Gesellschaft“, so Ulrike Klepczynski von der Beratung „Lebenswert Demenz“.

Schneider und Kleinschmidt sind ein eingespieltes Team, das sich gut mit demenziell veränderten Sängerinnen und Sängern auskennt. „Singen hilft dabei, Sprachkompetenz zu zeigen. Bei den meisten Betroffenen sind Liedtexte noch sehr präsent aus ihrer Vergangenheit. Oft sind die Begleitpersonen viel weniger textsicher“, sagt Ulrike Klepczynski. Das gemeinsame Singen sei für Demenzkranke ein „geballtes Einfahren von Erfolgserlebnissen“.

Der Chor hatte vor Corona 50 Mitglieder, seit Mai 2023 wird er wieder aufgebaut. Einmal im Monat treffen sich derzeit 20 Sängerinnen und Sänger. „Leider haben sich viele zwischendurch durch fehlende Sozialkontakte zurück entwickelt, andere sind inzwischen im Pflegeheim oder gestorben.“ Sogar in einer U-Bahn-Station in Dortmund hat der Chor schon gesungen. „Leute sind stehengeblieben, haben bewusst mehrere Bahnen verpasst.“ Die Auftritte zeigen, dass man sich nicht verstecken muss mit Demenz, dass man präsent und mitten im Leben dabei sein kann.

Tobias Schneider (l.) und Jürgen Kleinschmidt kommen am 26.8. zum offenen Singen nach Lünen.
Tobias Schneider (l.) und Jürgen Kleinschmidt kommen am 26.8. zum offenen Singen nach Lünen. © Kleinschmidt

Nach dem Singen begleitet Pfarrer Udo Kytzia von der evangelischen Kirchengemeinde Lünen die Teilnehmenden in die Stadtkirche. Annette Goebel: „Er eröffnet die Veranstaltung und ich freue mich, dass sich damit auch ein bisschen mehr die Kirche für das Thema Demenz öffnet.“ Denn auch Gottesdienste sind eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und wichtig für demenziell Veränderte. Das will Ulrike Klepczynski in ihrem Vortrag zeigen. „Ich finde es gut, dass der Thementag in der Kirche stattfindet. Bei Vorträgen in Pflegeeinrichtungen ist die Umgebung oft abschreckend, Kirche ist ein zentraler Ort von gesellschaftlicher Teilhabe. Gespräche vor und nach Gottesdiensten beispielsweise sind auch wichtig.“

Was spricht Menschen mit Demenz an, woran können sie barrierefrei und frei entscheidend teilnehmen, was geht mit der Krankheit nicht mehr - das sind Fragen, denen sich Betroffene und Angestellte stellen sollen. Um weiter mitten im Leben zu sein, sich nicht zuhause einzuigeln und nur noch vor dem Fernseher zu sitzen. Denn soziale Kontakte sind wichtig - auch und besonders für demenziell Veränderte. „Ich möchte den Angehörigen die Augen öffnen, sie sollten nicht überfürsorglich reagieren“, so Ulrike Klepczynski. Natürlich gebe es das ungute Gefühl, durch die Demenz speziell zu sein: „Aber die Gesellschaft sollte eben auch mal aushalten, dass sich demenziell Veränderte anders verhalten.“ Die mediterrane Lebensweise, bei der die ältere Generation mittendrin im Leben dabei ist, draußen in Gesellschaft, wäre ein gutes Vorbild. „Unterstützung so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich - das rate ich den Angehörigen.“

Entlastung für Angehörige

In einer von Annette Goebel moderierten Talkrunde schildern Angehörige, wie ihre Familien mit Demenz umgehen. Dabei geht es aber auch um Entlastungsangebote, die Kerstin Schymiczek von der Pflegeberatung im Kreis Unna vorstellt. Beispielsweise ist die Tagespflege eine Entlastung für Angehörige und zugleich eine Alltagsbereicherung für die Betroffenen. „Es gibt aber auch Möglichkeiten, dass Demenzkranke und Angehörige gemeinsam etwas unternehmen. Durch Aktivitäten kann man den Verlauf der Krankheit auch hinauszögern, soziale Kontakte sind wichtig“, so die Pflegeberaterin.

Beim Thementag werden Rikschas präsentiert, mit denen Betroffene und Angehörige gemeinsam unterwegs sein können. Am Anfang der Krankheit auch mit einem Tandem-Fahrrad. Für die wichtige Teilhabe am Leben gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, einige von ihnen werden am 26.8. aufgezeigt.

Pflegeberaterin Kerstin Schymiczek (l.) bei einer Beratung im Pflegestützpunkt. Sie ist für den Norkdreis zuständig und informiert beim Thementag über Entlastungsmöglichkeiten.
Pflegeberaterin Kerstin Schymiczek (l.) bei einer Beratung im Pflegestützpunkt. Sie ist für den Norkdreis zuständig und informiert beim Thementag über Entlastungsmöglichkeiten. © Pflegestützpunkt

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