Liselotte Sirp, hier auf einem Kinderfoto in ähnlichem Alter wie die Lünerin Irma Salomons, die nach ihrer Haft im KZ Bergen Belsen starb. Als junge Lehrerin war Sirp an der Schule in Bergen-Belsen. Eine besondere Verbindung zu Salomons ist der Grund für ein Stolperstein-Sponsoring. © Familienalbum Abike Ullrich

Stolperstein-Sponsorin aus Hamburg

Besondere Verbindung zu einer jungen Lünerin, die nach KZ-Haft starb

Ein Gast aus Hamburg kommt zur Verlegung der Stolpersteine für die Familie Salomons nach Lünen. Abike Ullrich hat einen der Stolpersteine gesponsert - aus einem besonderem Grund.

Lünen

, 02.11.2021 / Lesedauer: 4 min

Abike Ullrich aus Hamburg kommt am 17. November nach Lünen, weil für sie die „Stolpersteine“ aus persönlichen Gründen für ein sehr wichtiges Projekt hält. An diesem Tag werden neue Stolpersteine in Lünen verlegt.

Die Hamburgerin hat einen „Stolperstein“, der am 17. November morgens an der Münsterstraße 101 verlegt wird, gesponsert. Er erinnert an Irma Salamons als Opfer des Nazi-Regimes. Abike Ullrich beteiligt sich an dieser Aktion weil sie herausfand, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer Großtante Lieselotte Sirp, geborene Ullrich, dem Konzentrationslager Bergen-Belsen und Irma Salomons gibt. Udo Kath vom Arbeitskreis Stolpersteine in Lünen hält Kontakt zu der Hamburgerin und freut sich, dass sie nun nach Lünen kommt.

Irma Salomons auf dem Bild der „Kinder der Turnstunde“ der damaligen jüdischen Schule in Lünen. © Stadtarchiv Lünen

Die junge Lünerin Irma Salomons starb am 25. Mai 1945, kurz nachdem das KZ Bergen-Belsen durch die Alliierten befreit wurde, an den Folgen der Haft im Alter von 24 Jahren. Lieselotte Sirp, die Großtante von Abike Ullrich, war eine besondere Frau, die als Kind des Ruhrgebiets in Essen-Borbeck, genau am selben Tag wie Irma, am 15.1.1921 geboren wurde.

Jetzt lesen

Gesprächsnotiz wird zu Zeitgeschichte

1944 wurde Lieselotte Sirp als damals 23-jährige Lehrerin in die Stadt Bergen-Belsen versetzt. 1953 ist sie nach Köln gezogen. Die Stadt, aus der auch Abike Ullrich stammt. 1993 veröffentlichte sie Erzählungen, Gedichte und Reiseimpressionen im Buch „Ein Kleid für Prag“. Vor einigen Jahren besuchte sie noch mit Abike Ullrich die Gedenkstätte in Bergen-Belsen.

Zuletzt wohnte Lieselotte Sirp in einem Seniorenwohnheim, in dem sie sich u.a. als Vorsitzende des Heimbeirats engagierte. Sie starb nach einem erlebnisreichen, langen Leben am 29. Juli 2020 im Alter von 99 Jahren. Für ihre gesamte Familie war sie eine lebenslange Mentorin mit starkem Willen, sagt Abike Ullrich. Aus einem Gespräch mit ihrer Großtante entstand folgendes Stück Zeitgeschichte als Gesprächsnotiz:

Jetzt lesen

„… 1944 wurde ich als junge Lehrerin an die Schule in Bergen-Belsen versetzt. Ich unterrichtete das 3. und 4. Schuljahr, ca. 50 Kinder in einer Klasse, manchmal auch bis zu 85 Kinder. Die Offizierskantine des Lagers haben auch die Lehrer zum Essen genutzt. Es war ein umzäuntes Gelände. Auf dem Platz war ein Kino, der Besitzer hieß Herr Will (Georg Will) - und seine Frau Elisabeth war die ältere Schwester von Marlene Dietrich.

1945 war das letzte Kriegsjahr. Es gab die Menschenzüge der Juden, die sich von der Rampe am Bahnhof aus zum Lager begaben. Einige meiner Schüler haben es gesehen und mir davon erzählt. Ich habe es nicht geglaubt. Am nächsten Tag war ich auf der Landstraße unterwegs und habe die Menschen selbst gesehen. Der Menschenzug nahm kein Ende, hunderte, alle in gestreiften Anzügen, halbtot, Gestank, graue Gesichter, nach Wasser bettelnd. Einige sind tot am Straßenrand zusammengebrochen.

Jetzt lesen

Einige lagen am Baum, SS-Leute schlugen auf sie ein. Ich sprach die Offiziere an, „Was tun Sie da?!“ Normale Soldaten aus der Wehrmacht wollten dort gucken gehen, wurden von der SS mit Hunden vertrieben. Für die Bewohner von Bergen-Belsen war es ein „Arbeitslager“. Der Zug kam von aufgelösten Lagern aus dem Osten, wo die Russen bereits übernommen hatten. Das ging so wochenlang. Ich sprach den Oberfeldintendant an, er sagte: „Verstehen Sie, dass ich dazu nichts sagen darf.“ Und „Wenn Hitler das wissen würde, würde er es sofort unterbinden“. …“ Ein unglaublicher Satz, den Lieselotte Sirp wohl nie vergessen hat.

Diese drei Stolpersteine werden in Erinnerung an die Familie Salomons an der Münsterstraße verlegt. Irma Salomons starb nach ihrer Haft im KZ Bergen-Belsen, ihre Eltern wurden in Auschwitz ermordet. © Günter Blaszczyk

Lehrerin wohnte direkt neben Massengräbern

Lieselotte Sirp hat Bergen-Belsen, als die Front sich näherte und die Schule geschlossen wurde, zunächst Richtung Barmbostel und später Celle verlassen. Bis sie nach Kriegsende noch einmal zurück nach Bergen-Belsen versetzt wurde, da an der wiedereröffneten Schule eine zweite Lehrerin benötigt wurde: „Ich habe dann in Neu-Hohne bei Bergen-Belsen gewohnt, das nun ein Flüchtlingslager war. Es war das ehemalige KZ-Gelände, die SS-Baracken waren das Schulgebäude, mit Blick auf den Obelisken und das Gendarmerie-Haus. Ich habe dort gewohnt, direkt neben den Massengräbern.

Der Schulrat kam eines Tages vorbei, um sich anzuschauen, wie ich dort den Kindern Unterricht gegeben habe und wie ich in der Baracke gewohnt habe. …“

Gedenkstätte erinnert an 52.000 Tote

Heute gibt es eine viel besuchte Gedenkstätte in Bergen-Belsen. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges richtete die Wehrmacht in Baracken am Rande des Truppenübungsplatzes Bergen ein Lager für belgische und französische Kriegsgefangene ein. Im Frühjahr 1941 wurde das Lagerareal erheblich vergrößert. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden bis zum Herbst 1941 mehr als 21.000 Gefangene aus der Sowjetunion eingeliefert. Allein im Zeitraum von Juli 1941 bis April 1942 starben 14.000 sowjetische Kriegsgefangene vor allem an Hunger, Seuchen und Kälte.

Im April 1943 übernahm die SS den südlichen Teil des Lagergeländes als „Austauschlager“ für jüdische Häftlinge. Im Frühjahr 1944 entschied die SS, das Lagergelände auch für andere Zwecke und weitere Häftlingsgruppen zu nutzen. In der Folge änderten sich der Charakter des Lagers, die Struktur der Häftlingsgesellschaft und vor allem die Lebensbedingungen der Häftlinge dramatisch. Bei der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen am 15. April 1945 fanden britische Soldaten Tausende unbestattete Leichen und Zehntausende todkranke Menschen vor.

Insgesamt 52.000 KZ-Häftlinge aus vielen Ländern Europas kamen im Lager um oder starben unmittelbar nach der Befreiung an den Folgen ihrer Haft. (Quelle: https://bergen-belsen.stiftung-ng.de/de/geschichte/)

Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.

Jetzt kostenfrei registrieren

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.

E-Mail erneut senden

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Sie sind bereits RN+ Abonnent?
Jetzt einloggen