Martin Weiberg wohnt an der Bebelstraße und ist erleichtert über die Lärmreduzierung seit der Einführung von Tempo 30.

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Anwohner Martin Weiberg: „Tempo 30 nur in der Nacht wäre völlige Idiotie!“

rnBebelstraße

Das Thema Tempo 30 scheidet in Lünen die Geister. Autofahrer klagen über Chaos. Anwohner Martin Weiberg hingegen ist froh: Der Verkehr sei nicht chaotischer - und das Wohnen wieder erträglich.

Lünen

, 23.01.2022, 14:05 Uhr / Lesedauer: 3 min

Lange rote Ampelphasen, viel mehr Staus als früher, rücksichtslosere Verkehrsteilnehmer - viele Autofahrer klagen über Chaos auf sechs Lüner Hauptverkehrsstraßen, seitdem dort Anfang Oktober Tempo 30 eingeführt wurde. Martin Weiberg missfällt die lautstarke Stimmungsmache der Tempo-30-Gegner - und er widerspricht ihnen entschieden: „Diese Leute fahren nur im Berufsverkehr über die betroffenen Straßen und ziehen sich eine Meinung hoch, die vorne und hinten nicht stimmt“, stellt der 67-Jährige klar.

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Martin Weiberg weiß, was vor seiner Haustür passiert. Seit 36 Jahren wohnt der Pensionär mittlerweile an der Bebelstraße. Und er benutzt die Straße selbst täglich - egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder eben mit dem Auto. Deshalb könne er sich durchaus ein qualifiziertes Urteil über die Verkehrssituation an der Bebelstraße bilden. Und zwar nur an der Bebelstraße. „Über andere Straßen rede ich gar nicht“, betont Weiberg.

„Jedes dritte Auto kommt aus Dortmund“

Und was Weiberg mit Gewissheit über die Bebelstraße sagen kann: „In den 36 Jahren hat der Verkehr kontinuierlich zugenommen. Jedes dritte Auto kommt mittlerweile aus Dortmund.“ Hinzu kämen viele weitere auswärtige Kennzeichen. Weibergs Vermutung: Baustellen sorgen dafür, dass die Autofahrer das Kamener Kreuz meiden - und sich andere Wegen suchen. Auch über die Bebelstraße.

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Hinzu käme, dass in den vergangenen zweieinhalb Jahren vor allem der Schwerlastverkehr merklich zugenommen habe. Dies sei ein großes Problem für die Anwohner.

Auch an der Bebelbrücke staut sich der Verkehr zu den Hauptverkehrszeiten regelmäßig.

Auch an der Bebelbrücke staut sich der Verkehr zu den Hauptverkehrszeiten regelmäßig. © Privat

Weiberg wohnt in der Nähe der Bebelbrücke, die die Straße über den Datteln-Hamm-Kanal führt. Als auf der Straße noch Tempo 50 galt, seien die 40-Tonner in Fahrtrichtung Innenstadt regelmäßig mit rund 60 km/h die Brücke hinunter gerollt. „Das waren Erschütterungen, da hat das Geschirr im Schrank gewackelt“, erinnert sich Weiberg.

Man kann sich wieder mit den Nachbarn unterhalten

Die Zeiten dieser extremen Lärmspitzen seien seit der Einführung von Tempo 30 vorbei. Auch die Grundlautstärke des Verkehrs vor Weibergs Haustür habe abgenommen. Laut sei es zwar noch immer - aber in einem erträglichen Maß. „Ich übertreibe nicht: Wenn man an der Straße stand, hatte man Schmerzen in den Ohren. Jetzt kann man sich zumindest wieder draußen mit den Nachbarn unterhalten“, so Weiberg.

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Wie wichtig der Schwerlastverkehr für die Infrastruktur ist, das weiß Martin Weiberg. 47 Jahre hat der frühere Industrie-Kaufmann schließlich bei Remondis und zuvor Beim VAW Lippewerk gearbeitet. Und wie schwierig das Thema Verkehrsplanung für die Stadt Lünen ist, ist Weiberg ebenfalls bekannt. Elf Jahre lang saß er schließlich für die SPD im Lüner Stadtrat.

Dass es auf der Bebelstraße zu massiven Staus komme, bestreitet Weiberg überhaupt nicht. Das betreffe aber vornehmlich den morgendlichen Berufsverkehr zwischen 7 und 8 Uhr sowie den Feierabendverkehr ab 15 Uhr. „Diese Massen kann keine Straße in Lünen bewältigen, ohne dass der Verkehr zusammenbricht“, sagt Weiberg.

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Um eine Ahnung zu bekommen, wie viel Verkehr dort wirklich vor seiner Haustür vorbeirollt, hat sich Weiberg vor zwei Jahren einen Handzähler besorgt. Seine Beobachtung: In der Regel rollen in der Hauptverkehrszeit rund 150 Fahrzeuge in 10 Minuten vorbei. Das seien hochgerechnet 1000 Fahrzeuge in der Stunde. „Das muss man sich mal vorstellen“, so Weibergs Fazit.

„Man verliert höchstens eine Minute“

Allerdings hätte es die gleichen Staus auch schon bei Tempo 50 gegeben. „Und sie würde es wohl auch geben, wenn wir 100 fahren dürften. Das werden wir nicht wegkriegen“, ist sich Weiberg sicher. Tempo 30 habe die Situation jedenfalls nicht verschlechtert, findet der Anwohner. „Und wenn der Verkehr fließt, verliert man auf der gesamten Bebelstraße dadurch höchstens eine Minute“, so Weiberg weiter.

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Von Chaos und zunehmend aggressiven Fahrern könne er jedenfalls nicht berichten. Seine Beobachtungen gingen ins genaue Gegenteil: „Es ist neuerdings möglich, als Fußgänger die Bebelstraße zu überqueren. Das war früher höllisch. Heute rollt der Verkehr friedlich. Jetzt fahren die Leute vielleicht 35 km/h und nehmen den Fuß vom Gas, wenn ein Fußgänger an einer Querungshilfe steht.“

Durch die Temporeduzierung ist es für Fußgänger leichter geworden, die Bebelstraße zu überqueren - auch wenn es gerade keine Staus gibt.

Durch die Temporeduzierung ist es für Fußgänger leichter geworden, die Bebelstraße zu überqueren - auch wenn es gerade keine Staus gibt. © Privat

Und auch das Ausparken aus den Parkbuchten am Straßenrand sei für die Anwohner um einiges leichter geworden. „Früher musste man einen Alarmstart hinlegen. Jetzt lassen die Autofahrer einen freundlich einfädeln“, schildert Weiberg.

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Der Forderung von Autofahrern oder der Bürgerinitiative „Pro Verkehrsfluss Lünen“ nach einer Abschaffung von Tempo 30 an der Bebelstraße kann Weiberg - wenig überraschend - nichts abgewinnen. „Pro Verkehrsfluss Lünen“ klinge ja erstmal gut, sagt Weiberg - und schiebt hinterher: „Aber dann muss es auch intelligente Lösungen geben.“

„Tagsüber ist es anders nicht mehr auszuhalten“

Er selber, das gibt Weiberg zu, habe keine Lösung parat. Tempo 30 in den Abend- und Nachtstunden - etwa von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens - zählt für ihn jedenfalls nicht dazu. „Warum haben wir denn Tempo 30? Na, weil wir es tagsüber anders nicht mehr aushalten. Nachts ist es doch sowieso ruhiger. So eine Regelung wäre ja völlige Idiotie!“

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Doch in Zukunft wird sich die Lage weiter zuspitzen, fürchtet Weiberg. Wenn erstmal der Autobahnvollanschluss an die A2 erfolgt ist, wird wohl noch mehr Verkehr über die Bebelstraße fließen. Es bleibt also dabei: Intelligente Lösungen müssen her. Nur: Wer sie liefern soll und wie genau sie aussehen, das bleibt die große Frage.

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