Pädagogen gegen Aus für Bundesjugendspiele
Reaktionen aus Werne und Herbern
Sollen die Bundesjugendspiele abgeschafft werden? Eine Mutter hatte die Diskussion mit einer Online-Petition angestoßen. Wir haben Pädagogen aus Werne und Herbern gefragt, was sie davon halten. Wenig bis nichts - und das mit diesen Argumenten.

Als letzte Kita für diese Saison legten die Kinder von Maria Frieden und der Arche Noah ihr Minisportabzeichen ab.
Christine Finke hat eine große Diskussion angestoßen. Die Konstanzerin hat eine Online-Petition für die Abschaffung der Bundesjugendspiele ins Leben gerufen. Ihr neunjähriger Sohn kam weinend nach Hause, weil er nur eine Teilnehmerurkunde bekommen hatte. Der Trostpreis der Spiele. Ihre Schlussfolgerung: Die Bundesjugendspiele nehmen die Lust am Sport.
Unter dem Hashtag #bundesjugendspieleweg wird das Thema bei Twitter groß diskutiert. Die Ruhr Nachrichten haben sich einmal bei Pädagogen mit Sporthintergrund umgehört, was sie von der Petition halten.
David Brockmeier (Fußballer SV Herbern, Referendar Norbert-Gymnasium in Dormagen): Ich habe mich tierisch über die Petition aufgeregt. Natürlich sind Kinder und Jugendliche enttäuscht, wenn Leistungen nicht stimmen. Das ist aber nicht nur im Sport so, auch in den anderen Schulfächern. Ich hätte mir während meiner Schulzeit wohl auch eine Online-Petition meiner Mutter gewünscht. Zur Abschaffung von Matheunterricht. Ich denke, Kinder müssen sich den Anforderungen und Leistungen stellen. Alle Studien zeigen, dass die motorischen Fähigkeiten unserer Kinder zurückgehen, deshalb ist ja auch der Sportunterricht so wichtig. Und dazu gehören auch die Bundesjugendspiele.
Marco Bendig (Ehemaliger Volleyball-Trainer TV Werne und Sportlehrer der Marga-Spiegel-Schule in Werne): Die Petition ist für mich ein Widerspruch in sich. Das Kind hat geweint, weil es nur eine Teilnehmerurkunde bekommen hat. Das Weinen definiere ich so, dass das Kind den sportlichen Wettkampf angenommen hat und ehrgeizig ist. Ansonsten wäre es ja nicht enttäuscht gewesen. Ich halte die Bundesjugendspiele immer noch für angebracht. Ob es immer nur die drei Disziplinen Laufen, Springen und Werfen sein müssen, darüber kann man diskutieren. Wir in der Marga-Spiegel-Schule planen alternative Bundesjugendspiele für die Stufe sieben.
Bundesjugendspiele als Ansporn
Matthias Leenders (früherer Trainer beim Werner SC und ehemaliger Lehrer Anne-Frank-Gymnasium): Für mich und meine Klassenkameraden waren die Bundesjugendspiele immer ein Highlight. Und wenn man keine Ehrenurkunde bekommen hat, war das Ansporn, beim nächsten mal besser zu sein. Das Schöne war ja immer, dass die Schwächeren von ihren Klassenkameraden noch lauter angefeuert wurden. So war das ein tolles Erlebnis für alle. Vielleicht ergäbe es ja Sinn, wenn die Schüler die Sportarten variieren könnten. Ich war schlecht auf der Kurzstrecke, wäre lieber die 400 Meter gelaufen. Viele Mädchen hätten wohl gerne auch eine Alternative zum Werfen.
Tobias Tritt-Schack (Abteilungsleiter Fußball SV Herbern und Erzieher im Vinzenzwerk in Münster-Handorf): Die Leistungskomponente bekommen wir aus unserer Gesellschaft nicht heraus. Deshalb gilt es, die Kinder gut vorzubereiten. Im Fall der Bundesjugendspiele müssten die Disziplinen schon im Vorfeld mehrfach im Sportunterricht geübt werden. Dann gehen die Schüler auch mit einem guten Gefühl in den Wettbewerb. Und die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass sie bessere Leistungen zeigen und nicht vor der Gruppe blöd dastehen.
Die Pro- und Contra-Argumente:
Pro: Die Abschaffung wäre falsch - Jugendsport ist wichtig
Die Bundesjugendspiele und die damit einhergehenden Überprüfungen der sportlichen Grundfähigkeiten stellen eine wichtige Aufgabe der Schule dar. Die motorischen Fähigkeiten vieler Kinder scheinen sich immer weiter einzuschränken. Auch Sportvereine klagen über fallende Mitgliederzahlen im Jugendbereich. Doch Sport stärkt die Knochen, führt zu einer besseren Haltung und beugt Übergewicht vor, das schon früh zu Bluthochdruck und anderen Herz-Kreislauf-Krankheiten führen kann.
14,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von zwei bis 17 Jahren sind laut des Statistischen Bundesamtes bereits übergewichtig, davon leiden 6,1 Prozent unter Adipositas. Insgesamt waren 2013 sogar 52 Prozent der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig. Die Grundlage dieses Übergewichts liegt vor allem in der Jugend. Es ist also wichtig, die Jugend früh an den Sport heranzuführen. Eventuelle Niederlagen dabei gehören dazu. Denn Niederlagen gibt es nicht nur im Sport. Es ist wichtig, dass Kinder lernen mit diesen umzugehen, um den Ansporn entwickeln zu können, sich verbessern zu wollen.
Gleichermaßen besteht bei einer solchen Petition die Gefahr, dass Eltern auch das Beurteilen ihrer Kinder in anderen Bereichen missbilligen. Denn auch die schlechte Benotung eines Kunstbildes, das ein Kind aufgrund seiner Fähigkeiten vielleicht nicht besser hätte malen können, müsste aus Sicht der Fürsprecher der Petition dann kritisch betrachtet werden. - Markus Trümper
Contra: Vergleich aus dem Jahr 1951 - Modernisieren
in Blick auf die Straßen, Wiesen und Sportplätze der Städte. Die Kinder und Jugendlichen spielen Fußball, Basketball oder sind auf Inlinern unterwegs. Keiner sprintet über 50 Meter oder springt in die Sandgrube. Sport ist mehr als das stumpfe Laufen, Werfen und Springen. Deshalb gehören die Bundesjugendspiele, so wie sie aktuell sind, abgeschafft. Eine Modernisierung muss her.
Die heutigen Bundesjugendspiele sagen auch rein gar nichts über das sportliche Leistungsvermögen des Nachwuchses aus. Am Ende steht nur fest, wer sich in den drei Leichtathletik-Disziplinen Laufen, Werfen und Springen wohl fühlt. Die Bundesjugendspiele sind zum Beispiel kein Indikator für Koordinationsvermögung oder Teamfähigkeit. Zwei Dinge, die im heutigen Sportleben unumgänglich sind. Warum nicht zum Beispiel Seilchenspringen als Alternative zum Weitwurf? Seilchenspringen macht mehr Spaß und die Mädchen hätten endlich eine Disziplin, in der sie den Jungs überlegen sind. Denn es ist nicht abzustreiten, dass es Schmunzler gibt, wenn ein Mädchen nur fünf Meter weit wirft.
Es kann auch nicht sein, dass die Ergebnisse beim Austeilen der Urkunden im Unterricht verlesen werden. Jeder bekommt mit, wer besonders gut und besonders schlecht ist. Das wird bei Deutschklausuren ja auch nicht gemacht. Es ist die Zeit gekommen, um die Bundesjugendspiele zu modernisieren. Weg von den miefenden Richtlinien aus dem Jahr 1951. Wir leben im 21. Jahrhundert. - Thomas Schulzke