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Neurologe über Risiko durch Kopfbälle: „Wenn jemand das richtig kann, passiert da weniger“
Fußball
Kopfbälle können ein Gesundheitsrisiko sein, müssen es aber nicht, sagt Dr. med. Marco Michels und erklärt, was im Schädel bei einem Kopfball passiert und schlimmstenfalls passieren kann.
Laut einer Glasgower Studie erhöhen viele Kopfbälle in der Karriere eines Fußballspielers das Risiko einer Gehirn-Erkrankung. Der Studien-Leiter bringt sogar den Vorschlag eines Kopfball-Verbotes ins Spiel, das in England für Kinder unter elf Jahren schon gang und gäbe ist. Chefarzt Dr. med. Marco Michels von der KKRN Katholisches Klinikum Ruhrgebiet Nord GmbH erklärt, warum Kopfbälle für Kinder schädlicher als für Erwachsene sein können und warum Kopfbälle bei Profifußballern mit einem geringeren Risiko verbunden sind als bei Amateurfußballern.
„Spätestens seit Muhammad Ali wissen wir, dass Schläge gegen den Kopf dazu führen können, dass sich irgendetwas im Gehirn verändert“, sagt der Facharzt für Neurologie am Dorstener St. Elisabeth-Krankenhaus. Zuletzt rückte das Thema wieder in den öffentlichen Fokus, da die Nachricht vom Tod des an Demenz erkrankten Gerd Müller, dem „Bomber der Nation“, umging.
Eine gute Nackenmuskulatur ist bei Kopfbällen immens wichtig
Die Glasgower Studie ist nicht die erste ihrer Art. Dr. Marco Michels nennt gleich mehrere andere Studien, die es zu dem Thema bereits gibt: Beispielsweise wurden einst Männer und Frauen untersucht, nachdem sie 15 Minuten lang Kopfbälle trainierten. Während nur die Frauen teilweise über Kopfschmerzen klagten, zeigte ein Gedächtnis-Test bei beiden Geschlechtern Konsequenzen: Viele der Probanden hatten nach den Kopfbällen leichte Gedächtnisstörungen.

Dr. med. Marco Michels erklärt, was bei Fußballern bei einem Kopfball im Kopf passiert. © G. Schmidt
Später kamen norwegische Forscher auf die Idee, eine größere Fallzahl von Fußballspielern zu untersuchen. Mehrere Hundert nahmen an der Studie teil. Die Teilnehmer wurden befragt, wie viele Kopfbälle sie etwa gemacht hätten. Am Ende sei festgestellt worden, dass trotz der Kopfbälle keine neuropsychologischen Defizite entstanden sind.
Ein Erklärungsversuch: „Wenn jemand Kopfbälle richtig kann, passiert da weniger.“ Dementsprechend mache es Sinn, dass Kinder erst später mit Kopfbällen anfangen sollten. Denn nicht nur die richtige Technik und das Timing beim Kopfball sind entscheidend, vielmehr nehme auch die Nackenmuskulatur eine sehr wichtige Rolle ein, so Michels.
„Über den Nacken geben wir beim Kopfball den Impuls“, erklärt er. „Wenn die Muskulatur gut ausgebildet und stabil ist, wird der Impuls nur nach vorne gegeben.“ Ist sie das nicht oder kommt es zu einem Kopfball, auf den gar nicht reagiert werden kann, ist das anders.
„Kleinvieh zwar Mist macht, aber es ist in der Regel nicht so dramatisch“
„Wenn wir nicht darauf eingestellt sind“, sagt der Neurologe, „würde der Kopf erst nach hinten gehen und das Gehirn prallt vorne gegen den Schädelknochen Kopf und wenn wir uns dann wieder justieren, würde durch den Aufprall zusätzlich auch hinten gegen den Schädelknochen gestoßen“.
Das könne bei Kopfbällen genauso passieren wie beispielsweise bei Autounfällen oder Schlägen auf den Kopf. Allerdings, betont der 60-Jährige, dessen Kinder früher selbst Fußball spielten, sei die Wucht eines Kopfballs natürlich nicht vergleichbar mit dem Schlag eines Boxers oder dem Aufprall bei einem Autounfall.
Bei Kopfbällen sei es aber erst einmal so, dass „Kleinvieh zwar auch Mist macht, aber es in der Regel nicht so dramatisch ist“, sagt er. Das menschliche Gehirn sei unfassbar flexibel. Aber wenn bei einer Kette von Reaktionen eine einzige Verzögerung stattfindet, sei das Ergebnis in der Regel falsch. „Bei einem Schritt fällt das kaum auf, bei mehreren wird das dann ein riesen Thema.“
Im vorderen Bereich des Gehirns, erzählt Dr. Marco Michels, „sitzen“ unter anderem die Aufmerksamkeit, der Charakter, aber auch die Funktionen des Gedächtnisses oder die Funktionen der Assoziation.
In Zukunft könnte es belastbarere Zahlen geben
Bei häufigen Zusammenstößen zwischen dem vorderen Teil des Gehirns und der Schädeldecke seien daher auch diese Bereiche am ehesten beeinträchtigt. Eines der bekanntesten Beispiele dafür sei der mittlerweile verstorbene Boxer Muhammad Ali, bei dem 1984 im Alter von 42 Jahren das Parkinsonsyndrom diagnostiziert wurde.
„Ich habe diese Metamorphose von Clay zu Ali miterlebt, aber auch, wie der Mann an Parkinson erkrankte“, erzählt Marco Michels betont jedoch zusätzlich, dass Ali „im Laufe seines Lebens vermutlich viel härtere Impulse als ein Fußballer abbekommen hat“.
Zwar hätten bisherige Untersuchungen gezeigt, dass zumindest bei Profispielern, die richtig trainiert sind, ein geringeres Risiko besteht, doch sei es in Zukunft auch möglich, dass die Zahl der Fußballspieler, bei denen eine Gehirnerkrankung festgestellt wird, wächst.
„Mit zunehmender Diagnostik von Demenz und kognitiven Störungen wird man bestimmt auch den ein oder anderen Leistungssportler mehr dabei haben. Dann haben wir Zahlen, die vielleicht doch belastbar sind“, so Michels.
Erst als Praktikant, dann als freier Mitarbeiter und nach dem Volontariat seit 2021 als Redakteur für Lensing Media im Einsatz. Am liebsten im Lokalsport unterwegs - denn abseits der reinen Ergebnisse hat jedes Spiel und jeder Sportler eine spannende Geschichte zu erzählen.
