Wie Querdenker eine Sport-Nachricht aus Dortmund für Verschwörungs-Theorien missbrauchen
Fußball-Kreisliga
Im Dortmunder Amateurfußball musste vor vier Wochen ein Spiel abgebrochen werden, weil Spieler Kreislaufprobleme hatten. In der Querdenker-Szene ging die Nachricht viral. Jetzt ohne Bezahlschranke lesen.

Ein Artikel der Ruhr Nachrichten ist von der Querdenker-Szene missbraucht worden. © Foto Gehring/Grafik Sauerland
Eine Nachricht über einen Spielabbruch aus dem Dortmunder Amateurfußball ist vor vier Wochen in den sozialen Netzwerken in den Fokus der Impfgegner- und Corona-Skeptiker-Szene geraten. Die Ruhr Nachrichten hatten damals über einen Spielabbruch in der Kreisliga C berichtet. Prominente Köpfe der Querdenker-Szene benutzten diesen Artikel, um gegen die Coronaschutz-Impfung Stimmung zu machen.
Unsere Redaktion hat sich dazu entschieden, den Artikel rund einen Monat später erneut zu veröffentlichen. Dieses Mal ohne Bezahlschranke.
Das vorzeitige Ende eines Fußballspiels ist im Amateurbereich nicht ungewöhnlich. Mal kommt es zu Handgemengen und Auseinandersetzungen auf dem Platz, mal verletzen sich Akteure so schwer, dass die Unparteiischen die Partie daraufhin abbrechen. Auch Kreislauf-Probleme von Spielern und Schiedsrichtern führten bereits vor der Corona-Pandemie dazu, dass Fußballspiele nicht zu Ende gebracht werden konnten. Wie an diesem Sonntag Anfang Februar.
Die Ruhr Nachrichten berichteten unter der Überschrift Spielabbruch in Dortmunder Kreisliga: „Spieler sind plötzlich zusammengesackt“. Im Kreisliga-C-Spiel zwischen dem VfL Schwerte III und dem FCK Sölde musste der Schiedsrichter die Partie nach rund 30 Minuten abbrechen, weil zwei Spieler über Kreislaufprobleme klagten.
Querdenker-Szene stürzt sich schnell auf den Artikel
Bereits kurz nach der Veröffentlichung fanden sich erste Verlinkungen und Screenshots des Artikels in den Sozialen Netzwerken wieder - vermehrt geteilt von Mitgliedern der Impfgegner-Szene. Unter den jeweiligen Postings folgten unzählige, krude und wissenschaftsferne Kommentare. Es war zum Teil sogar die Rede davon, dass das Spiel gar nicht stattgefunden habe, weil es nicht auf dem Portal „fussball.de“ sichtbar sei. Das liegt daran, dass die Partie bereits einen neuen Termin vergeben bekommen hat. Häufig las man in den Kommentaren zudem, dass die Corona-Impfung Schuld daran gewesen sein soll, dass die beiden Fußballer aus Schwerte und Dortmund zusammensackten.
Darunter befand sich unter anderem auch Boris Reitschuster, ehemaliger Journalist des FOCUS oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mittlerweile ist Reitschuster als einer der bekanntesten Köpfe Deutschlands der sogenannten „Alternativmedien“ bekannt. Er betreibt einen YouTube-Kanal und einen Blog, streut über diese bewusst Falschinformationen zur Corona-Pandemie und schreibt offen über Impfschäden. Den Artikel der Ruhr Nachrichten missbrauchte Reitschuster, um erneut Stimmung gegen die Coronaschutz-Impfung zu machen.
„Alles nur Einzelfälle!! Wer kennt das nicht von früher, dass plötzlich und unerwartet mehrere Fußballer in einem Spiel einfach so noch in der ersten Halbzeit auf dem Platz zusammensacken! Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen!!!“, schrieb Reitschuster auf Twitter, Instagram und Facebook, teilte zudem einen Screenshot des Artikels der Ruhr Nachrichten. Es war einer von vielen Hundert Tweets zu dieser Thematik.
Alles nur Einzelfälle!! Wer kennt das nicht von früher, dass plötzlich und unerwartet mehrere Fußballer in einem Spiel einfach so noch in der ersten Halbzeit auf dem Platz zusammensacken!
— Boris Reitschuster (@reitschuster) February 7, 2022
Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen!!! pic.twitter.com/LREqNDWyFt
Das Thema Corona oder Corona-Schutzimpfung war im Artikel selbst kein Thema. Einen angeblichen Zusammenhang zwischen einer Coronaschutz-Impfung und dem Zusammensacken der Spieler kreierten Mitglieder der Impfkritiker-Szene für sich selbst. Faktisch bestanden hat er nicht. Weder die Spieler sehen einen Zusammenhang, noch ist dieser medizinisch haltbar.
Querdenker: Welche Motivation hat die Szene?
Aber wie passiert so etwas? Welche Dynamiken sorgen dafür, dass Texte solch ein falsches Bild erzeugen? Dierk Borstel, Professor und Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Dortmund, ordnet den geschilderten Fall des Spielabbruchs und das Echo aus der Querdenker-Szene ein.
„Die Szene der Verschwörungstheoretiker nutzt jedes Bild und einige haben keine Scham dabei, glatt zu lügen. Querdenker stricken Kampagnen aus solchen Bildern. Früher hatte man Fakten, die man interpretierte, jetzt hat man einen vorgefertigten Rahmen, wozu Fakten zurechtgebogen werden“, sagt Borstel.
Für ihre Kampagnen benötige die Querdenker-Szene Bilder, die zu den jeweiligen Denkmustern der Querdenker passe, sagt Borstel. In diesem Beispiel ist die Rechnung aus Impfgegner-Sicht einfach: Auf eine Impfung folgt das Zusammensacken der Spieler auf dem Platz.
Borstel: „Diese Vorkommnisse gibt es, seitdem die Sozialen Medien solch eine Bedeutung haben. Früher gab es Menschen in jedem Dorf, die dummes Zeug erzählt haben, sie waren aber isoliert. Heutzutage findet jeder Wahnsinn Unterstützung. Vielen Usern fehlen die Mittel zu unterscheiden, was Qualitätsjournalismus und was Irrsinn ist.“
Der Politikwissenschaftler weist daraufhin, dass das Beispiel des Spielabbruchs für die Querdenker-Szene gewiss kein Einzelfall sei. Donald Trump oder auch der Brexit wären ohne die Macht der Manipulation nicht möglich gewesen, sagt Borstel. Es gehe den Querdenkern weniger um das einzelne Bild, sondern vielmehr um das gesamte Thema - in diesem Fall heißt das Thema: Coronaimpfung und die möglichen Auswirkungen.
Borstel: „Ziel der Querdenker ist das Dauerfeuer“
„Ziel der Querdenker ist das Dauerfeuer von Bildern, die gar nicht mehr konkret nachverfolgt werden. Querdenker wollen durch die Permanenz beeindrucken, Non-Stop Bilder und Infos verbreiten. Das ist emotionaler Input“, so Borstel.
Aber was ist die genau Motivation der Querdenker- speziell auch in diesem Fall? Glauben sie wirklich an die Theorien, die sie verbreiten? Warum sind sie felsenfest davon überzeugt, dass die Impfung - um in diesem Fallbeispiel zu bleiben - Schuld daran ist, dass Fußballer auf dem Sportplatz zusammensacken? Prof. Dr. Borstel sieht die Klientel und das Handeln der Querdenker differenziert.
„Man muss unterscheiden zwischen denen, die diese Bilder bewusst verbreiten (In diesem Beispiel nimmt Boris Reitschuster diese Rolle ein, Anm. d. Red.) und den Adressaten, deren Gefühlswelten gezielt angesprochen werden. Man muss deshalb über die emotionale Wirkung der Bilder reden. Es gibt Menschen, die solche Bilder und Lügen gezielt verbreiten, um Leute emotional zu manipulieren. Von daher: die einen wissen, dass sie lügen; andere teilen diese Lügen ohne Prüfung und wieder andere werden belogen; aber es spricht sie emotional mehr an als reale Fakten“, sagt er.
Borstel sieht in der Querdenker-Szene zum Teil Ideologen, „die Macht haben wollen und andere Gruppen, die wahnsinnig Lust darauf haben, andere Leute zu manipulieren. Sie spielen mit anderen Menschen, um sie zu zerstören und haben Lust auf Chaos und Zusammenbruch. Beide Gruppen eint der Punkt, dass sie die liberale Gesellschaft und Ihre Werte zerstören beziehungsweise infrage stellen wollen.“
Querdenkern „fehlt jegliche Scham“
Kurz: Den Querdenkern gehe es nur um das Bild, nicht aber um Fakten und auch nicht um die Spieler in diesem Fall. „Das Bild und die Überschrift werden benutzt, um bewusst zu manipulieren und zu emotionalisieren. Das Bild, dass Spieler umfallen, ist eingängig. Alles andere ist egal. Dabei fehlt jegliche Scham“, sagt Borstel.
Fakt ist: Die Spieler Selcuk Aktas und Malko Homburg hatten gesundheitliche Probleme. Daher kontaktierten die Ruhr Nachrichten damals noch einmal die beiden Vereine aus Schwerte und Dortmund. Erdem Kösker, Betreuer der Drittvertretung, des VfL Schwerte klärt auf. „Selcuk bekam plötzlich Schüttelfrost. Er war nur am Zittern.“ Schon beim Aufwärmen hätten die Witterungsbedingungen Aktas zu schaffen gemacht, sagt Kösker.
Ähnlich schildert Malko Homburg die Situation auf dem Sportplatz. „Das Wetter war krass am Sonntag. Es war kalt und hat stark geregnet, dazu kam noch der kalte Wind. Ich habe schon beim Warmmachen gemerkt, dass mir die Luft auf die Lunge drückt“, sagt der Keeper der Sölder. Im Spiel habe er nach kurzer Zeit gemerkt, dass sein Herz schneller gepumpt habe. „Da ist mir auch schwindelig geworden und ich habe gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Danach ging es aber erstmal wieder“, so Homburg.
Als Selcuk Aktas zusammensackte, habe Homburg auch bei sich wieder Probleme bekommen. Der Keeper setzte sich auf den Boden, musste behandelt werden. Nach einiger Zeit besserte sich dann sein Zustand, sodass er nachhause fahren konnte.
Sölder Fußballer ist Befürworter der Impfung
Homburg betont im Gespräch, dass er Befürworter der Impfung sei. Seine Boosterimpfung habe er vor drei Wochen bekommen. „Ich glaube nicht, dass das Zusammensacken an der Impfung liegt. Ich hatte nur bei der ersten Impfung Armschmerzen. Bei den anderen gar nichts“, sagt er.
Marc Raschke, Leiter der Unternehmenskommunikation des Klinikums Dortmund dazu: „Drei Wochen sind eine verdammt lange Zeit; da ist der mRNA-Impfstoff längst im Körper abgebaut. Ein bis zwei Wochen nach Impfung ist der Impfschutz aufgebaut. Drei Wochen sind also eine sehr untypische Zeit, um sie überhaupt mit der Impfung ursächlich in Zusammenhang zu bringen. Übrigens, die stärkste Impfreaktion haben mRNA-Geimpfte auf die zweite Impfung. Die dritte Impfung, vor allem wenn sie mit Moderna erfolgt ist, zeigt dann vergleichsweise wenig Impfreaktionen. Das liegt bei Moderna daran, dass nur mit halber Dosis geimpft wird.“
Raschke empfiehlt, nach einer Impfung zirka zwei Tage auf Sport zu verzichten. Wer zudem Impfreaktionen verspüre, die immer wieder möglich sein könnten, solle länger pausieren.
Raschke: Viele Gründe kommen für Symptome infrage
Warum genau die beiden Spieler schließlich Probleme hatten, vermag Raschke aus der Ferne nicht zu beurteilen. „Die Witterung kann natürlich eine Rolle spielen, aber auch Nahrungsmittel, Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel können (gerade im Sport) einen Einfluss auf die körperliche Leistung haben. Auch kann eine Dehydrierung, also ein Flüssigkeitsmangel, Ursache sein. – Das Leben nach einer Impfung geht weiter. Mit allen Ereignissen, die es auch ohne Impfung gegeben hätte“, sagt er.