Er war gerade zwei Jahre alt, als seine Familie kurz vor der Wende mit ihm „rübermachte“. So hieß die Flucht aus der DDR in den Westen umgangssprachlich. Eine Magdeburger Sportlerfamilie siedelte nach Wattenscheid um. Sohn Paul sorgte später als Fußballer im Bochumer Raum für Furore, bis ihn eine Verletzung aus der Bahn warf. Wie es manchmal so ist, fragt dann der Arbeitskollege: „Willst du nicht? Das wäre doch was für dich.“ Der begehrte Ex-Fußballer der SG Wattenscheid tastete sich an den Verein ran. Es wäre sein erster Klub in Dortmund und sein erster mit ausländischen Wurzeln. Heute ist er sich so sicher wie nie zuvor, genau richtig entschieden zu haben.
Paul Helfer (35) stieg im Sommer mit Eving Selimiye Spor aus der Fußball-Kreisliga A auf, im ersten Bezirksligajahr des jungen Vereins belegt er einen soliden zehnten Platz. Für viele Dortmunder war der Coach, als er vor einem Jahr zum damaligen Kreisligisten kam, ein unbeschriebenes Blatt in einem nicht besonders präsenten Verein.
Aber das Blatt Helfer ist von oben bis unten voll. Unten steht der kleine Paul zur Wendezeit, der an der Hand seiner Mama Judith, einer erfolgreichen Magdeburger Handballerin und Schwimmerin, und mit der gesamten Familie, in Wattenscheid ankam. „Meine Mutter hat ganz früher in Bochum gelebt, ist dann in Richtung Osten gezogen. Daher hatten wir einen Bezug und noch Kontakte. An die ersten Monate in Wattenscheid erinnere ich mich aber nur in kleinen Bruchstücken.“
Was im heutigen Paul Helfer präsent ist, sind die ersten Spiele im Trikot des FC Wattenscheid-Ost. Sein Talent durfte er später in der großen SG Wattenscheid 09 zeigen, dann bei Herten-Langenbochum. Als Senior begann er beim Landesligisten SSV Südfeldmark, der später zu SW Wattenscheid wurde. Viele Jahre beackerte Paul Helfer die Sechserposition beim TuS Hordel, ehe der Außenmeniskus rausmusste. „Ich hatte die Wahl, entweder ein paar Jahre noch auf höherem Niveau zu spielen und dann kaum noch laufen zu können oder die Operation und mich ordentlich zu bewegen.“ Der Vernunftmensch in Helfer siegte. Er wurde Co-Trainer bei DJK Wattenscheid.
Und viele Leser werden sich fragen. Und warum steht das alles im Dortmunder Lokalsport? Weil Paul Helfer damals selbst nicht ahnte, heute an dieser Stelle im Porträt zu erscheinen. Und weil er doch schon den einen oder anderen Berührungspunkt hatte.
Aber der entscheidende Mann arbeitet wie Bürokaufmann Helfer bei der Firma Klotzbach in Marten, einem Abschleppunternehmen. Mutlu Kocagöz schlug dem Kollegen einfach mal vor: „Gucke es dir doch wenigstens mal an.“ Helfer wollte ja keine schlechter Kollege sein und lieber im Zweifelsfalle seinem Nachnamen alle Ehre machen.
„Dabei hatte ich nur schlimme Erinnerungen an das Grävingholz. In dieser Staubwüste wollte keiner spielen. Wir haben es regelrecht gehasst, dahinzufahren. Dann schon lieber nach Eving zum TuS auf dem Kunstrasen.“ Und wieder regte sich in Helfer ein zunächst unbestimmtes Unwohlsein. „Ich habe mir die Namen von Selimiye durchgelesen. Als ich Yasin Sahin las und später auch erfahren wollte, dass er der Sohn vom alten TuS-Leistungsträger Yakup Sahin ist, dachte ich: Der Vater war zu meinen Wattenscheider als Gegenspieler eklig, aber gut. Ob ich dem jetzt jede Woche die Hand schütteln möchte?“ Heute bleibt es übrigens nicht beim Händeschütteln.

Zweifel gab es zur Genüge: „Erstens war ich in Dortmund nicht oft unterwegs, zweitens hatte ich noch nie für einen ausländischen Verein gearbeitet. Daher kannte ich die Strukturen nicht.“ Aber er kannte Mutlu Kocagöz. Und von Spiel zu Spiel als Zuschauer gewann Paul immer mehr Freude am Evinger Fußball und wurde zum Helfer im Titelkampf. Nach Entscheidungsspielen stand Selimiye tatsächlich im Sommer als Aufsteiger fest. Und alle Zweifel waren dahin: „Im Grävingholz liegt längst ein ordentlicher Kunstrasen. Mit Yakup verstehe ich mich blendend. Und mit den Vereinsstrukturen komme ich gut klar.“
Neben Sportplatz ist auch die Selimiye Moschee in Eving ein Treffpunkt für die Vereinsmitglieder. „Ich bin aber wegen der Mannschaft da. Ich weiß, dass die Älteren da gerne mal einen Tee trinken und es viele kulturelle Angebote gibt, aber mein Beruf und meine Trainertätigkeit lasten mich aus. Ich mag die Leute im Verein, weil sie zusammenhalten und weil sie mich in Ruhe arbeiten lassen.“
Die Erfolgsgeschichte schreibt die Kameradschaft bei Eving Selimiye Spor
Und nun kommt die Geschichte beim Kern des Trainers Paul Helfer an. An einer Stellschraube musste er gar nicht drehen: „Unser Erfolgsgarant ist die Kameradschaft. Wir bieten den Spielern gute Bedingungen, sie sollen auch nicht draufzahlen, um bei uns zu spielen. Aber ich sage, gerade im Amateurbereich schießt Geld keine Tore.“
Spieler wie Anil Can Mert, die locker eine Liga höher spielen könnten, ziehen daher auch die Selimiye-Gemeinschaft vor. Im ehemaligen Sechser Paul Helfer gibt es ein weiteres Argument: „Ich sehe die Stärken meiner Spieler und möchte, dass sie wirklich immer Fußball spielen. Es muss ihnen Spaß machen, selbst wenn mir eine defensive Ordnung wichtig ist. Weil sie das so gut machen und weil sie lernen und sich verbessern wollen, sind die Jungs mir ans Herz gewachsen.“
Und wer einem ans Herz wächst, darf auch mal Fehler machen. Wirklich? „Ja, dürfen sie. Aber wir machen trotzdem noch zu viele individuelle Fehler. Sonst stünden wir noch ein paar Plätze besser.“

Mit dem Erreichten, stellt Helfer klar, sei er zufrieden: „Ich habe bereits im A-Liga-Jahr festgestellt, dass das Niveau höher ist als in der gleichen Liga in Bochum. Gegen diese Konkurrenz war es nicht einfach. Und wir bekommen die Klasse der Dortmunder jetzt auch in der Bezirksliga zu spüren, „wo wirklich gute Mannschaften oben stehen“.
Also ist das Ziel der Nicht-Abstieg. Dann möchte Helfer daran arbeiten, dass die Mannschaft noch abgeklärter wird: „Ein Beispiel: Gegen Andreas Uphues von Eichlinghofen habe ich damals noch gespielt, als er Mengeder war. Mit solch einem Mann hinten drin hätten wir es auch einfacher. Aber meine Jungs dürfen noch wachsen. Nur sollte keiner Wunderdinge von ihnen erwarten. Und ich bin ja auch nicht der Herrgott, nur weil ich mal etwas höher gespielt habe.“
Immerhin auf Wolke sieben aber könnten die Evinger bald schweben, denn vor der Rückserie geht es in die Halle: „Ich liebe Hallenfußball und bereite die Mannschaft intensiv darauf vor. Ich bin mir auch sicher, dass wir geeignete Jungs haben.“ Wieder zieht Paul Helfer den Vergleich mit Bochum: „Dortmund müsste da um Welten größer sein.“

Paul Helfer, das nur für Dortmunder unbeschriebene Blatt, lässt sich gerne auch hier mit Input füllen. Aber ganz so weit, wie es viele für einen komplett Integrierten erwarten, ist auch Paul Helfer dann nicht: „Ich sympathisiere zwar mit dem BVB und mag als Wattenscheider den VfL nicht sonderlich, aber mein Herzensverein ist der 1. FC Magdeburg.“
Paul Helfer hat nie vergessen, wo er herkommt, und er möchte irgendwann auch nicht vergessen, dass er in Dortmund viel bewegt hat - und zwar nicht nur zum Ärger der Besitzer falsch parkende Autos für seinen Arbeitgeber. Paul Helfer möchte Menschen bewegen und eine Mannschaft, die zusammenhält und einfach guten Fußball spielt. Und es wird nicht lange dauern, dann bewegt die Dortmunder nicht nur Helfers bewegte Geschichten, sondern auch seine Gegenwart in dieser Stadt. Und fliehen wie der kleine Paul muss der erwachsene Paul dann nicht aus dieser Stadt.
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