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Sportwissenschaftler warnt vor Lücken in der Sportvita
Sport und Gesundheit
Auf den ersten Blick ist ihr Credo dasselbe. Doch wenn Oliver Kahn sein „Weitermachen, immer weitermachen“ ins Mikrophon bellt, meint er etwas ganz anderes als der Sportwissenschaftler und Biologe Prof. Dr. Karsten Krüger.
Oliver Kahn wird es gedacht haben, als er nach dem verlorenen WM-Finale 2002 in Südkorea gedankenverloren an den Pfosten seines Tores gelehnt auf dem Rasen saß. „Weitermachen! Immer weitermachen!“ Schon ein Jahr zuvor hatte sich diese Devise für Kahn und seine Bayern ausgezahlt, als sie sich beim Bundesliga-Finale in Hamburg durch Patrick Anderssons Treffer in der Nachspielzeit den schon an Schalke verloren geglaubten Titel zurück holten. „Weitermachen! Immer weitermachen!“
Das sagt auch Prof. Dr. Karsten Krüger. Kein Torwart, sondern Sportwissenschaftler. Und er meint es auch ganz anders als Oli Kahn.

Der Dorstener Prof. Dr. Karsten Krüger war einst selbst erfolgreicher Leichtathlet. Doch auch beruflich ist er dem Sport treu geblieben. © Julia Bachmann
Dabei geht es Krüger genau wie Kahn um Erfolg. Doch der misst sich bei ihm nicht in Pokalen und Titeln, sondern in Gesundheit. Der Sport ist für den gebürtigen Dorstener der ideale Weg dorthin, und Krügers Forschungsergebnisse liefern gerade in Corona-Zeiten wichtige Erkenntnisse.
Krügers wenig überraschende Grundthese: Sport hält gesund. Er muss nur moderat und vor allem kontinuierlich betrieben werden. „Regelmäßiges moderates Training reduziert Alterungsprozesse in den Immunzellen“, sagt der Professor für Leistungsphysiologie und Sporttherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Diese Alterungsprozesse setzen nach Krügers Erkenntnissen nicht erst im Rentenalter ein. Schon ab etwa 30 Jahren ließen die Abwehrkräfte des Körpers schrittweise nach. Langsam, aber stetig entwickle sich dabei ein niederschwelliger, aber dauerhafter Entzündungszustand. In einem Buch von 2017 nennt Karsten Krüger ihn „Der stille Feind in meinem Körper“. Durch dieses sogenannte Entzündungsaltern wird das Immunsystem belastet. Weil der Körper gleichzeitig mit zunehmendem Alter immer weniger Abwehrzellen produziere, steige das Risiko, dass die chronischen Mikro-Entzündungen auf andere Regionen oder Organe des Körpers überspringen. Ob ein Immunsystem gesund oder nicht gesund altere, hänge deshalb wesentlich von der Intensität der Mikro-Entzündungen im Körper ab. Ausgangspunkt dieser Entzündungen ist ein böser alter Bekannter: das Bauchfett.
Vor allem bei stark übergewichtigen Menschen schütte es vermehrt einen Botenstoff aus, der gleich mehrere Krankheiten begünstige. Zunächst seien davon die Gefäße, später dann unter anderem die Muskeln betroffen. So würden aus lokalen Prozessen solche, die den ganzen Körper betreffen und das Immunsystem als Ganzes belasten. Diese schleichenden Entzündungsprozesse erhöhen die Risiken für Folgeerkrankungen wie Diabetes, Schlaganfall und Herzinfarkt und begünstigen laut aktuellen Erkenntnissen auch neurodegenerative Erkrankungen wie Demenzerkrankungen.
Ein dicker Bauch gefährdet also stets die Gesundheit. Doch er ist beileibe nicht der einzige Risikofaktor. Stress, ungesunde Ernährung und Schlafmangel sind weitere.
Umgekehrt wirke sich aber auch der Sport nicht nur auf ein einzelnes Krankheitsbild positiv aus. „Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen – auf all diese Systeme wirkt sich Sport langfristig positiv aus“, sagt der Sportwissenschaftler: „Der aktive Mensch altert gesünder.“ Das Schlimmste, was man sich selbst und seiner Gesundheit antun kann, ist in Krügers Augen deshalb eine Lücke in der eigenen Sportbiographie. Deshalb: Weitermachen, immer weitermachen...
Und Corona? Lassen sich die positiven Wirkungen des Sports auch auf die aktuelle Pandemie übertragen?
Gesicherte Ergebnisse dazu gebe es noch nicht sagt Krüger. Bislang gebe es keine Nachweise, dass körperliches Training das Infektionsrisiko senke. Jüngere Sportler hätten zwar ein niedrigeres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, doch es gebe eben auch Ausnahmen.
Eine Studie der Uni Gießen geht aktuell der Frage nach, wie sich das Sportverhalten der Menschen während des Lockdowns entwickelt hat. Karsten Krüger geht davon aus, dass es zwei Richtungen gibt: „Die Aktiven bleiben aktiv. Aber viele andere, die eigentlich aktiv sein sollten, ziehen sich aus Angst eher zurück.“ Die Auswertung der Umfrage-Ergebnisse brauche allerdings noch Zeit. Und ohne sie könne er keine weiteren Aussagen treffen. Da ist Krüger ganz Wissenschaftler.
Eher unwissenschaftlich in Rage gerät er dagegen, wenn er über die Kritik spricht, die sein Kollege Christian Drosten in den vergangenen Monaten einstecken musste.
“Christian Drosten“, sagt Krüger, „kennt man in Wissenschaftskreisen als sehr aktiven Forscher, der viel veröffentlicht. Drosten ist, wenn man so will, Bundesliga. Mancher seiner Kritiker dagegen eher Kreisliga.“
Drostens Arbeit zu COVID 19 habe sich noch im Revisionsprozess befunden. „Da ist es dann üblich, dass sich andere Wisenschaftler melden und Anmerkungen machen. In diesem Stadium hat kein Autor den Anspruch, eine endgültige und fehlerfreie Fassung vorgelegt zu haben. Das ist, wie gesagt, ein Prozess. Erst danach – wenn es zur Veröffentlichung kommt – sollte die Arbeit dann auch belastbar sein.“
In Drostens Fall seien zudem „einzelne Satzfetzen herausgenommen“ worden, die dann falsch dargestellt worden seien. „Es tut schon weh, wenn man sieht, wie so ein hervorragender Forscher zerrissen wird.“
Sorgen muss man sich um den bekannten Virologen aber wohl nicht. Er wird weitermachen. Genau wie Prof. Dr. Karsten Krüger, und genau wie Oli Kahn. Jeder auf seine Art, aber jeder ein wenig anders.
Das ist Prof. Dr. Karsten Krüger
Karsten Krüger wurde am 11. Juli 1977 in Dorsten geboren.
Als Jugendlicher war er beim Dorstener Leichtathletik-Club und dem Leichtathletik-Team Dorsten begeisterter und talentierter Mittelstreckler.
Über 2000 m Hindernis wurde er Jugend-Westfalenmeister; mit der Mannschaft 1997 und 98 Westdeutscher Berglauf-Meister. 1999 holte er mit der Mannschaft der LGD Bronze bei den Deutschen Crossmisterschaften. Seine Bestzeit über 10.000 m aus demselben Jahr liegt bei 31:56,73 min.
Ein Kniescheibenbruch beendete er seine Leistungssportkarriere. An der Uni Münster studierte er Sport und Biologie auf Lehramt, schwenkte dann aber zur Forschung um.
2009 promovierte er an der Justus-Liebig-Universität in Gießen zu dem Thema „Mechanisms of quantitative and functional changes of lymphocytes after acute exercise“.
2015 erfolgte ebenfalls in Gießen die Habilitation. Arbeitsthema waren diesmal „Immunologische Aspekte der Adaptation an Belastung und Training“.
Von 2015 bis 2017 war Prof. Dr. Karsten Krüger Akademischer Rat am Institut für Sportwissenschaft der Justus-Liebig-Uni Gießen.
2017 ging Krüger als Professor für Sport und Gesundheit an die Leibniz Universität Hannover. Dort wurde er 2018 Geschäftsführender Leiter des Instituts für Sportwissenschaft und 2019 Studiendekan der Philosophischen Fakultät der Universität.
Seit 2019 ist der gebürtige Dorstener als Professor für Leistungsphysiologie und Sporttherapie wieder an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig.
Im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere erhielt Prof. Dr. Krüger zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem für die beste Examensarbeit im Fachbereich Psychologie/Sportwissenschaft in Münster (2004), er erhielt den Posterpreis der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) in Köln (2007 und 2013) und er belegte den zweiten Platz beim Early Young Career Researcher Award beim Symposium der International Society of Exercise and Immunolog (ISEI) in Oxford (2011). 2015 gewann Krüger den Immunotools Special Award.
Sport ist für den Wulfener nicht nur ein wichtiger Bestandteil seines Arbeitslebens. Seit 1993 schreibt er als Mitarbeiter der Dorstener Zeitung über das Sportgeschehen in der Lippestadt, seit 1999 ist er als Redakteur für den Lokalsport in der Lippestadt verantwortlich. Dabei fasziniert ihn besonders die Vielfalt der Dorstener Sportszene, die von Fußball bis Tanzen und von Basketball bis Kitesurfen reicht.
