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Tschüss Steak, hallo Linsenburger: Wie Sportler Veganismus und fast tägliches Training vereinen
Sporternährung
Gemüse, Obst, Hirse, Linsen: Das steht alles auf dem Speiseplan von Marietta Keck und Matthias Moj. Beide sind Sportler und ernähren sich vegan. Doch funktioniert diese Kombination wirklich so gut?
„Du ernährst dich vegan und kannst trotzdem Marathon laufen? Fehlt dir dabei nicht die Kraft? Du isst doch bestimmt zu wenig Proteine.“ Sätze, die Läuferin Marietta Keck in den vergangenen Jahren schon einige Male gehört hat. Und auf die sie meist die gleiche Antwort hatte: „Vielleicht kann ich gerade wegen meiner anderen Ernährung diesen Sport so gut ausüben.“ Mit dieser Einstellung ist die gebürtige Selmerin in der Laufszene nicht alleine.
Auch andere Athleten aus dem Fußball, Volleyball und Boxen greifen immer häufiger zum Veganismus. „In der Sportwelt ist das gerade ein riesiger Trend“, erklärt Vanessa Oertzen-Hagemann, Dozentin am Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung an der Ruhruniversität in Bochum. Die Netflix-Doku „The Game Changers“, in der es um Athleten geht, die zu einer rein veganen Ernährung gewechselt sind, habe zusätzlich dazu beigetragen. Doch ist dieser Hype um vegane Ernährung im Sport auch berechtigt?
Der Unterschied im Fitnessstudio
Für Matthias Moj hat vor sechs Jahren alles mit einem Video über grüne Smoothies und einem anschließenden 30-tägigen Test begonnen. Es gab eine radikale Umstellung zur veganen Ernährung, keine Milch, Eier, Butter, kein Fleisch und keinen Fisch mehr. „Das würde ich aber keinem empfehlen“, sagt er.
Denn durch so eine Laune heraus könne es schnell zu starken Mangelerscheinungen kommen und das Immunsystem geschwächt werden, weiß auch Expertin Vanessa Oertzen-Hagemann.

Fünf bis sechs Mal in der Woche geht Matthias Moj ins Fitnessstudio, geht nebenbei noch joggen und spielt im Sommer Volleyball. © Matthias Moj
Innerhalb der vergangenen Jahre hat sich der 29-Jährige, der zwischen Werne und Köln pendelt, aber immer mehr mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt. Der Proteinbedarf sei dabei ein sehr wichtiger Aspekt. „Mit Alternativen wie Reis, Hirse und Erbsen kann ich den Tagessatz locker decken.“
Im Fitnessstudio, in das Moj fünf bis sechs Mal die Woche geht, hat er vor allem krafttechnisch einen Unterschied bemerkt. „Ich bin deutlich fitter als vorher, auch was den Muskelaufbau angeht.“ Der junge Mann ist sportlich vielseitig aufgestellt und macht zudem noch Yoga, geht joggen, im Sommer steht Volleyball und im Winter Snowboarden auf dem Programm.
Marietta Keck ist schon ein bisschen länger in der Szene unterwegs. Vor 12 Jahren hat sie sich zunächst aus ethischen Gründen für die vegane Ernährung entschieden. Der gesundheitliche Aspekt kam für die Ärztin erst in vergangenen vier bis fünf Jahren dazu. Denn in der Zeit hat sie wieder angefangen, intensiver Sport zu treiben. Schon in ihrer Jugend hat sie lange Fußball gespielt, entschied sich dann aber im Erwachsenenalter für die Langstrecke. 10-Kilometer, Halbmarathon, Marathon und Ultratrails in den Bergen stehen auf ihrem Jahresprogramm.
Keine Gedanken an ein Schnitzel
Dafür trainiert sie vier bis fünf Mal in der Woche. Am Wochenende stehen teilweise Läufe bis 35 Kilometer an. Heißhungerattacken nach so einer Anstrengung kennt sie nicht. „Ich hatte noch nie den Gedanken: Jetzt so ein Schnitzel! Ich denke dann lieber an all die 1000 veganen Gerichte, die ich mir kochen will.“
Sie vermutet, dass solche Gelüste darauf zurückzuführen sind, dass die Nährstoffabdeckung nicht mehr stimmt. „Wenn ich zum Beispiel nach dem Sport Bock auf Nüsse habe, weiß ich, dass ich vielleicht noch nicht genug Fett gegessen habe“, erklärt sie.

Marietta Keck ist auch bei Ultraläufen in den Bergen an den Start gegangen. © Marietta Keck
Damit es bei ihr selbst erst gar nicht zu einem solchen Mangel kommt, schreibt Keck teilweise ihr Essen in ein bestimmtes Computersystem und überprüft dort, ob der Energiebedarf gedeckt ist, besonders an Trainingstagen. So eine Kontrolle, ob mit einem System oder beim Arzt, findet auch Ernst Jakob, ehemaliger Professor am Sportinstitut der TU Dortmund, notwendig. „Wichtige Spurelemente wie Zink, Eisen und Calcium werden durch vegane Ernährung viel weniger aufgenommen als gedacht.“
Kaum Beweise aus der Wissenschaft
Eine klare Veränderung auf der Laufuhr kann Marietta Keck durch die vegane Ernährung nicht erkennen. Das liegt aber auch daran, dass sie schon pflanzlich gegessen hat, als sie mit dem Langlauf begann. Trotz alledem ist sie überzeugt, dass ihr Körper besser regeneriert. „Ich bin so gesund und fit wie noch nie und habe kaum Muskelkater.“
Ihre sportlichen Leistungen wollen Keck und Moj aber nicht komplett auf ihre Ernährung schieben. „Da spielen auch Talent und genetische Voraussetzungen mit ein, aber trotzdem trägt der Veganismus für mich dazu bei, dass ich schnell gute Zeiten gelaufen bin und auch zurzeit so gut bin“, sagt Keck.
Wissenschaftlich gesehen gebe es jedoch keine groß angelegten Studien, die das bis ins Detail auch beweisen können, weiß Oertzen-Hagemann. Was aber definitiv die Leistung im Training und im Wettkampf steigern könne, sei eine gewisse Ernährungsstrategie.
„Wer beispielsweise morgens nüchtern laufen geht, ist nicht richtig leistungsfähig und die Beine werden schneller schwer. Oder denkt man an Marathonläufer, die vor dem Wettkampf viele Kohlenhydrate essen“, erklärt die Dozentin. Ernährung sei der Treibstoff, aus dem Sportler ihre Leistung holen können.

Viel Gemüse steht auf dem Speiseplan von Matthias Moj, der hier für sein Abendessen fleißig Möhren schnibbelt. © Matthias Moj
Wenn es nach Matthias Moj geht, muss man kein Experte sein, um auch vegan zu kochen. „Vieles ist Gewohnheit, für mich war es keine Riesenumstellung.“ Oertzen-Hagemann widerspricht dahingegen in gewisser Weise. Denn um sich als Leistungssportler vegan zu ernähren, brauche man viele Kenntnisse. „Ich muss mir die Fragen stellen: Was ist der Bedarf? Was sind kritische Stoffe? Welche Lebensmittel sollte ich kombinieren?“, erklärt sie.
Marietta Keck hat sich im Laufe der Jahre ganz unbewusst solches Wissen angeeignet, denn sie sagt von sich selbst: „Kochen und Ernährung ist wie ein Hobby für mich.“ Durch ihr Know-how weiß sie heute genau, warum sie bestimmte Lebensmittel kombinieren muss. „Eisen sollte ich beispielsweise mit Vitamin C aufnehmen, da es dann besser resorbiert. Kaffee lasse ich dann aber lieber weg“, erklärt sie.
Weil Matthias Moj und Marietta Keck auf alle tierischen Produkte verzichten, müssen sie ihren Körper auch mit bestimmten Zusatzstoffen versorgen. Beiden nehmen B12, ein Stoff, der so nur in Fisch und Fleisch vorhanden ist. Oertzen-Hagemann findet zudem noch die Omega-3-Fettsäuren wichtig, die für Veganer schwieriger zu decken seien. „Zwar ist auch in Nüssen, Kürbiskernen oder Algen dieser Stoff vorhanden und kann den Bedarf decken. Aber als Sportler muss man sie auch gut in den Tagesablauf einbauen.“
Mediterrane Ernährung als Mittelmaß
Zu den Zusatzprodukten kommt auch noch der Aspekt, dass vegane Sportler meist viel mehr essen müssen, um den Kalorienbedarf auch zu decken. Denn Proteine sind in pflanzlichen Produkten in geringer Menge enthalten, als in tierischen. „Ein Kraftsportler, der zum Beispiel 120 Kilogramm wiegt, müsste also eine Unmenge an Energie aufnehmen, um sein Gewicht zu halten“, erklärt Oertzen-Hagemann. Ein Vergleich: Zwei Dosen Kichererbsen haben fast genauso viel Protein wie drei Eier. Um den Tagesbedarf zu decken, müsste ein Kraftsportler also fast 10 Dosen essen.
Ernst Jakob würde Sportlern, die auf einer hohen Leistungsbasis trainieren, anstelle der veganen Ernährung eher zu einer mediterranen Ernährung raten. Diese zeichnet sich durch eine geringe Fleischmenge und vielen frischen Lebensmitteln, wie Salat, Obst und Gemüse, aber auch Kohlenhydraten aus. „Wichtig ist, dass man sich vollwertig ernährt“, erklärt er. Breitensportler müssen sich seiner Meinung nach nicht des Sports wegen über vegane Ernährung Gedanken machen.
Sport und vegan: langfristig kombinierbar?
„Es passiert schnell, dass man schlecht informiert einem Trend folgt und dann Mangelerscheinungen und ein Leistungsdefizit die Folgen sind.“ Für den 70-Jährigen könne diese Form der Ernährung zwei bis vier Jahre gut funktionieren. Doch dann wäre es möglich, dass es auch bei Sportlern mit großem Wissen über Veganismus zu negativen Folgen kommt. Marietta Keck und Matthias Moj, die beide schon weit über dieser Zeitspanne liegen, beweisen aber, dass es trotzdem klappen kann. Mit pflanzlicher Ernährung und einem Leistungspensum, was deutlich über dem Breitensport anzusiedeln ist.
Seit 2016 hat mich der Lokaljournalismus gepackt. Erst bei der NRZ und WAZ gearbeitet, dann in Hessen bei der HNA volontiert. Nun bei den Ruhr Nachrichten als Redakteurin zu Hause. Wenn ich nicht schreibe und recherchiere, bin ich in den Bergen beim Wandern und Klettern unterwegs.
