Victoria Habinghorst trauert um Jürgen Boschella - er war für alle der Onkel Jürgen

Fußball

Die Fußballer von Victoria Habinghorst trauern um ihren langjährigen Vorsitzenden Jürgen Boschella. Er starb am 3. Juni 2021 im Alter von 74 Jahren.

Castrop-Rauxel, Habinghorst

, 01.07.2021, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Die Fußballer von Victoria Habinghorst trauern um ihren langjährigen Vorsitzenden Jürgen Boschella. Er starb am 3. Juni 2021 im Alter von 74 Jahren.

Die Fußballer von Victoria Habinghorst trauern um ihren langjährigen Vorsitzenden Jürgen Boschella. Er starb am 3. Juni 2021 im Alter von 74 Jahren. © Jens Lukas

Die Verbindung zwischen Jürgen Boschella und der Victoria Habinghorst (viele Jahre DJK Victoria) dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert. 1958 kam der jugendliche Boschella zum Habinghorster Fußballverein und verließ ihn nicht mehr – mit einer erzwungenen Ausnahme.

Eigentlich undenkbar: Jürgen Boschella wechselte zum VfB Habinghorst

Das beichtete er im Jahr 2009. „Als ich ins entsprechende Alter kam, gab es bei Victoria keine A-Junioren-Mannschaft“, erinnerte er sich. Für ein Jahr wechselte er zum Ortsnachbarn VfB. Nach dem Wehrdienst begann der gelernte Zentralheizungs- und Lüftungsbauer bei Victoria als Trainer selbst mit dem Aufbau einer A-Junioren-Mannschaft.

Bis in die späten 1970er Jahre spielte Boschella als Offensiv-Akteur für Habinghorst. Ab 1978 übernahm er für zwei Jahre auch das Amt des Vorsitzenden. Ab 1988 bekleidete er die Posten als Jugendleiter und als Betreuer der ersten Mannschaft - bis 2010. Vorsitzender war er Anfang der 2010er Jahre nochmals - und war auch bei den Spielen der annullierten Saison 2020/21 zu sehen.

Der amtierende Victoria-Vorsitzende Dirk Konisch sagt: „Ich habe Jürgen als sehr liebevollen älteren Herrn kennengelernt. Für den Verein ist sein Tod ein großer Verlust. Jürgen ist als Mensch und als Urgestein bei Victoria niemals zu ersetzen. Er und seine ganze Familie sind stark verwurzelt mit dem Klub.“

Jürgen Boschella war stolz auf seinen ersten Spielerpass. Diesen archivierte er ebenso akribisch wie die Zeitungsausschnitte, die mit Victoria Habinghorst zu tun hatten.

Jürgen Boschella war stolz auf seinen ersten Spielerpass. Diesen archivierte er ebenso akribisch wie die Zeitungsausschnitte, die mit Victoria Habinghorst zu tun hatten. © Jens Lukas

Für mich als Reporter bleibt für immer ein grauer Sonntag Ende November 2009 am Gänsebusch in Erinnerung. Der Platz ganz rechts auf der Einwechselbank der DJK Victoria Habinghorst war unbesetzt. „Den halten wir für ‚Onkel Jürgen‘ frei“, sagte Tino Lammering, der damalige Trainer der ersten Mannschaft, vor der Partie gegen die DJK Falkenhorst.

„Onkel Jürgen“, so nannten alle bei Victoria Jürgen Boschella. Jahrzehntelang war er bei jedem Spiel dabei. Dieser Tag war die Ausnahme: heute, am ersten Advent, war der Castrop-Rauxeler zum Brunch beim ehemaligen Victoria-Coach Klaus Prahl eingeladen.

„Jürgen hat versprochen, dass er zur zweiten Halbzeit wieder bei uns ist“, erklärte Trainer Lammering. Den Arztkoffer schob Christian Fels unter die hölzerne Trainerbank. Der Ersatztorwart übernahm für 45 Minuten das Amt des Betreuers. Auf Boschellas Platz setzte er sich allerdings nicht. Der blieb frei.

Dass das Gesetz ist, darauf wurden auch die weiblichen Habinghorst-Fans hingewiesen, die nach dem Anpfiff nach einer Sitzgelegenheit suchten. „Unser ‚Onkel‘ Jürgen‘ wird einiges verpassen“, sagte Spieler Sven Jacke. Die Vorhersage des Mittelfeldspielers trat ein. Marvin Homann, Sven Jacke, Patrick Hüser und Samir Dzilic sorgten für eine schnelle 4:0-Führung (25.).

Trainer Lammering notierte die Namen der Torschützen in einer Kladde und betont: „Das macht nicht der Jürgen. Das ist mein Job.“ Boschella profitierte aber davon – indirekt: Er schnitt montags aus der Zeitung unserer Redaktion die Aufstellungen und Spielberichte aus - und heftete sie feinsäuberlich ab.

Halbzeitpause. Die Victoria-Kicker stapften mit einer 5:1-Führung und lehmverschmierten Schuhen in die Kabine. Als sie wieder auf den Platz gingen, war „Onkel Jürgen“ noch immer nicht zu sehen. In der 50. Spielminute kam er dann endlich durch das Eingangstor – direkt von der Feier im feinen Sonntagsanzug. Die Fans auf den Stehrängen riefen verzückt „Ah“ und „Oh“.

Als Boschella die Einwechselbank erreicht, folgte gleich die erste Amtshandlung: Coach Lammering reichte ihm seine Trainingsjacke, weil er sich selbst einwechselte.

Der Platz linkaußen auf der Bank von Victoria Habinghorst gehörte jahrelang Jürgen Boschella.

Der Platz linkaußen auf der Bank von Victoria Habinghorst gehörte jahrelang Jürgen Boschella. © Jens Lukas

Jetzt übernahm Boschella - allerdings nicht lautstark - das Regiment an der Linie. Vielmehr nahm er sich Zeit für einen Plausch mit den Zuschauern. So auch mit Michael Krebs. Der Trainer von Victoria II wusste damals zu berichten: „Die Passkontrollen mit Jürgen sind immer lustig – wenn er versucht die ausländischen Namen auszusprechen.“

Boschella wechselte das Thema, erzählte lieber von seinen Enkeln. Marvin lief damals für Victoria auf. Fabian hatte die Habinghorster in Richtung Arminia Ickern verlassen. „Darüber bin ich natürlich absolut sauer“, sagte Großvater Jürgen, lachte aber dabei.

Unterdessen war die Begegnung zu Ende. Boschellas Victoria hatte 6:3 gewonnen. Der Betreuer musste nicht ein einziges Mal auf den Platz eilen, konnte den Koffer unter der Bank stehen lassen. „Wenn ich verletzt bin, stehe ich ganz schnell wieder auf - damit Jürgen nicht auf den Platz kommt.“, sagte Spieler Björn Goede.

Jetzt lesen

FOTOSTRECKE
Bildergalerie

Warten auf Jürgen Boschella

Seit 20 Jahren hat Jürgen Boschella das Amt des Betreuers bei der ersten Mannschaft von Victoria Habinghorst inne. Jeden Sonntag nimmt er mit dem Arztkoffer Platz auf der Einwechselbank. Nicht so am 1. Advent. Da kommt er nach einem Geburtstagsbank erst zur zweiten Halbzeit. Warten auf Onkel Jürgen.
29.11.2009
/
Auf der Einwechselbank von Victoria Habinghorst bleibt bei Anpfiff des Spiels gegen Falkenhorst ein Platz frei für Jürgen Boschella - auch wenn er erst zur zweiten Halbzeit eintrifft.© Foto: Jens Lukas
"Onkel Jürgen wird einiges verpassen, wenn er in der ersten Halbzeit fehlt", prophezeite Sven Jacke (links) vor dem Spiel - und sollte Recht behalten.© Foto: Jens Lukas
Björn Goede (vorn): "Wenn ich verletzt bin, stehe ich ganz schnell wieder auf - bevor Jürgen auf den Platz kommt."© Foto: Jens Lukas
Die hölzerne Einwechselbank-Kabine der Habinghorster ist voll besetzt - nur der Platz von Jürgen Boschella bleibt weiterhin leer.© Foto: Jens Lukas
Dicke Luft vor dem Victoria-Tor - aber kein Tor für die Gäste.© Foto: Jens Lukas
Der Falkenhorster Torwart hat das Nachsehen - das 4:0 für Victoria.© Foto: Jens Lukas
Victoria-Trainer Tino Lammering notiert die Torschützennamen: "Das ist sowieso mein Job - nicht der von Jürgen."© Foto: Jens Lukas
Der Falkenhorster Betreuer Werner Pähler hat alle Hände voll zu tun - während Boschella weiterhin eine Freischicht hat.© Foto: Jens Lukas
50. Spielminute - Jürgen Boschella trifft am Gänsebusch ein. Nicht im Trainingsanzug. Diesmal im Sonntagsanzug, weil er direkt von einem Geburtstagsbrunch aus Erkenschwick kommt.© Foto: Jens Lukas
"Da ist mein Platz!" Jürgen Boschella klärt die weiblichen Victoria-Fans über die Regeln auf der Bank auf.© Foto: Jens Lukas
Mit Spieler Dominic Franke beobachtet Jürgen Boschella in Seelenruhe das Geschehen auf dem Platz.© Foto: Jens Lukas
Der Platz linksaußen bleibt für "Onkel Jürgen" reserviert.© Foto: Jens Lukas
Jürgen Boschella verfolgt das Spiel.© Foto: Jens Lukas
...und auch Kinder fühlen sich bei "Onkel Jürgen" wohl.© Foto: Jens Lukas
Schlagworte

Viele der Akteure der Mannschaft kannte Jürgen Boschella seit dem Kindesalter. Auch bei den Aktivitäten außerhalb des Platzes war er mit von der Partie. „Bei den Saisonabschlussfahrten ist heute zumeist Mallorca angesagt“, berichtete Boschella schmunzelnd, „und ich als alter Mann muss da noch mit.“ Was auch Trainer Lammering so sah: „Wir halten überall für ‚Onkel Jürgen‘ einen Platz frei.“ - jetzt auf jeden Fall mehr denn je in ihren Herzen.

Jetzt lesen
Jetzt lesen
Jetzt lesen

Lesen Sie jetzt