
© Anne Winter-Weckenbrock
Rollstuhlfahrer stehen gelassen – Bahnpersonal darf nicht helfen
Bahnhof Legden
Ohne Hilfe kommen Rollstuhlfahrer nicht in die Bahn am Legdener Bahnhof: Der Bahnsteig ist zu niedrig. Rollstuhlfahrer werden manchmal nicht mitgenommen. Und das ist laut Bahn korrekt.
Michael Gruhl kennt das schon, er regt sich nicht mehr sonderlich auf. Aber es ärgert ihn. Der Legdener ist mit seinem Rollstuhl schon einige Male am Legdener Bahnhof stehen gelassen worden. Zwischen Bahnsteigkante und offener Zugtür ist ein Spalt, der nur mit Hilfe einer Rampe überwunden werden kann – wenn man auf einen Rollstuhl angewiesen ist. „Dafür steigt nicht jeder Lokführer aus“, sagt Michael Gruhl aus Erfahrung.
Manche Lokführer stecken den Kopf aus dem Fenster, manche helfen
„Manche stecken nur den Kopf auf dem Fenster und sagen, ich soll mir ein Taxi rufen“, erzählt der 56-Jährige weiter beim Gespräch mit der Redaktion vor Ort. Manche Lokführer erklärten noch: Da gebe es eine Anordnung, es sei zu gefährlich, das gehe nicht mit dem Rollstuhl. Aber: „Die meisten helfen. Sogar eine ganz zierliche Lokführerin hat mal die Rampe aufgebaut“, erinnert sich der Legdener.
Michael Gruhl kann es nicht begreifen: Es liegt nach seinen Erfahrungen an der Person des Lokführers, ob er nun wie geplant mit dem Zug nach Ahaus fahren und dann den S70-Bus nach Vreden nutzen kann – oder ob er sich ein Taxi rufen muss. Welches immerhin die Bahn anstandslos bezahlt, sogar bis nach Vreden wegen des verpassten Anschlusses.
Die hilfsbereiten Mitarbeiter handeln nicht korrekt
Aber, wie eine Anfrage bei der Pressestelle der Deutschen Bahn ergibt, sind es nicht die hilfsbereiten Mitarbeiter, die richtig handeln. Der Abstand zwischen Bahneinstieg und Bahnsteigkante in Legden sei mit 38 Zentimetern sehr hoch: „Die Rampen sind dann so steil, dass Unfallgefahr besteht“, erläutert Pressesprecher Dirk Pohlmann. „Die Mitarbeiter sollen die Rampe nicht anlegen, wegen der Gefahr“, macht Pohlmann deutlich.

Hier ist der Höhenunterschied zwischen Bahn und Bahnsteig auf dem Bahnhof in Legen deutlich zu sehen. © Markus Gehring
Die Mitarbeiter, die den Rollstuhlfahrern beim Einstieg helfen, „die meinen es dem Kunden gegenüber gut, aber sie sollen es letztlich nicht.“ Deswegen erfolge der Verweis auf die Fahrt mit dem Taxi. „Das ist nicht ideal, das ist uns bewusst. Aber im Moment gibt es keine andere Lösung“, so der Pressesprecher weiter.
Gegen die bequeme Taxifahrt hat Michael Gruhl nichts
Gegen die ja sogar viel bequemere Taxifahrt will Michael Gruhl auch nicht einmal etwas sagen. „Das geht ja schnell“, sagt er und schmunzelt. Und die Bahn zahlt. Aber er fährt mit seinem elektrischen Rollstuhl eigentlich zum Bahnhof, um mit der Bahn zu fahren. Und nicht, um auf das Taxi zu warten. Das kann er ja schließlich erst rufen, wenn der Lokführer das vorgeschlagen hat.
Katrin Kerkhoff aus Legden hat das Bahnfahren von Legden aus im Gegensatz zu Michael Gruhl schon längst aufgegeben, wie sie im Telefonat mit der Redaktion erzählt. „Einmal ist ein Mann, ein Fahrgast, herausgekommen und hat mir zusammen mit meiner Begleitung in den Zug geholfen“, sagt die 24-Jährige, die auf den Rollstuhl angewiesen ist. Ganz ohne Rampe sei sie in die Bahn befördert worden. Aber: „Ich versuche das gar nicht wieder“, sagt sie resigniert. Sie und auch ihre Schwester würden dann immer mit dem Auto nach Ahaus gebracht, wo ein barrierefreier Einstieg in den Zug möglich ist.
„Ich finde das unmöglich“
Claudia Kröger ist Taxiunternehmerin und fährt Michael Gruhl, wenn er am Bahnsteig stehen gelassen worden ist. Als Unternehmerin sei das ein Geschäft, und die Bahn zahle anstandslos, sagt sie im Gespräch mit der Redaktion. „Da gibt es kein Problem.“ Aber: „Ich finde das unmöglich“, sagt sie zu dem Umstand an sich, dass Rollstuhlfahrer am Bahnsteig stehen bleiben – je nach Lokführer. Michael Gruhl und auch sie hatten deswegen schon Kontakt zur Deutschen Bahn aufgenommen, von dort aber ausweichende Antworten erhalten.
Im Gespräch mit der Redaktion zeigte sich Claudia Kröger deswegen überrascht, dass der Pressesprecher sich sehr konkret zu dieser Situation geäußert habe. „Mich ärgert, dass die sich nicht bemühen“, sagt Claudia Kröger. In einer Gemeinderatssitzung hatte die Legdenerin in der Bürgersprechstunde das Thema schon angesprochen und den fehlenden barrierefreien Einstieg am Bahnhof Legden kritisiert. Das sei keine gute Situation für alle Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen oder gehbehindert sind.

Ein großer Schritt ist nötig, um die 38 Zentimeter Höhenunterschied zu überwinden auf dem Legdener Bahnsteig. © Markus Gehring
Hoffnung auf eine baldige Besserung versprechen die weiteren Aussagen von Dirk Pohlmann aber auch nicht: „Es gibt kein aktuelles Projekt für den Bahnhof Legden.“ Landesweit würden die Bahnsteige „harmonisiert“, warf Pohlmann den Blick auf Nordrhein-Westfalen, Bahnsteige wurden und würden auf die Standardhöhe von 76 Zentimetern gebracht. Bis auf einige Bahnhöfe seien alle auf dem Niveau. Warum Legden nicht dazu gehört? „Das hat sicher auch mit der Frequenz zu tun“. Eine Alternative sehe er mit Blick auf die Kosten auch nicht darin, eine stationäre Rampe zu bauen.
Aber wie sollen Rollstuhlfahrer aus Legden mit der Situation umgehen? Schon von zu Hause aus ein Taxi rufen, weil die Bahn sie nicht mitnehmen kann? Auf diese Frage hat Dirk Pohlmann nicht direkt eine Antwort. Eine Taxifahrt sei ja eigentlich als Ersatzverkehr zu sehen. Darüber müsse er noch mit den Kollegen der DB Regio reden.
„Haftungsrechtlich ist das kein Problem“
Und wenn die Mitarbeiter der Bahn den Rollstuhlfahrern mit der Rampe aus dem Zug in den Zug helfen und es passiert etwas – wie sieht das versicherungstechnisch aus? „Haftungsrechtlich ist das kein Problem“, versichert Dirk Pohlmann. Gleichwohl: Der steile Einstieg berge Unfallgefahren, die zu vermeiden seien. Michael Gruhl wird also erst einmal weiter zum Bahnhof fahren müssen, um sich dann ein Taxi zu rufen, das die Bahn bezahlt.