
© Geo-Radar GmbH
Hunderte Leichname: Heeker Unternehmen entdeckt „Todestunnel“
Erster Weltkrieg
Hunderte deutsche Soldaten sind im Ersten Weltkrieg im „Winterbergtunnel“ qualvoll gestorben. Jahrzehntelang war der genaue Ort unbekannt. Jetzt hat ein Heeker Unternehmen das Rätsel wohl gelöst.
Längst hat die Natur ihr grünes Leichentuch über jenen Ort im Dreieck der Städte Laon, Soissons und Reims im Norden Frankreichs gelegt, der ein so grausames Schicksal birgt. Vor knapp über 100 Jahren im Ersten Weltkrieg wurde dieser Ort für hunderte deutsche Soldaten auf einen Schlag zum Massengrab.
Noch heute liegen Leichen, Waffen und persönlichen Gegenstände nach einem Granateneinschlag verschüttet in einem Tunnel mit dem Namen „Winterberg“ auf auf dem Berg Craonne im französischen Departement Aisne. Dessen genaue Position samt Eingang war jahrzehntelang unbekannt. Bis jetzt.
„Geo-Radar GmbH“ aus Heek im Einsatz
Denn kürzlich ist es der „Geo-Radar GmbH“ aus Heek um Firmeninhaber und Geschäftsführer Winfried Leusbrock mit Wissenschaftlern (Geophysik und Geowissenschaft) im Auftrag des Volksbundes gelungen, mit hochmoderner Technik Licht ins Dunkle zu bringen.
„Wir haben zwei riesige Hohlräume und einen verschütteten Eingang entdeckt. Ich bin mir sehr sicher, dass es sich um den gesuchten Tunnel handelt“, berichtet Winfried Leusbrock von dem Fund auf dem Höhenzug „Chemin des Dames“ im Gespräch mit der Redaktion. Und das war erst der Anfang einer ganz besonderen „Mission“ des Geo-Radar-Teams.

Die Gegend ist mit Munitionsresten und Granaten sowie Geschossen übersät. Das macht die Arbeiten für das Team gefährlich. © Geo-Radar GmbH
Rückblick. Am 16. April 1917 entbrannte an der Aisne (Westfront) ein erbarmungsloser Stellungskampf zwischen deutschen und französischen Truppen. Frankreichs Armee startete nach den vergeblichen Durchbruchsversuchen der ersten Kriegsjahre erneut eine Großoffensive gegen den als uneinnehmbar geltenden Höhenzug.
Tunnel wird Soldaten zum Verhängnis
In der hügeligen und bewaldeten Landschaft standen sich die Soldaten direkt gegenüber. Um den Durchbruch zu erzwingen, setzten die Franzosen zudem wochenlang auf schweren Artilleriebeschuss. Und genau ein solcher wurde zig deutschen Soldaten auf einen Schlag zum Verhängnis.
Am 14. Mai 1917 traf eine schwere Granate den Eingang des „Winterbergtunnels“ und sprengte die dort gelagerten Munitionsvorräte. Der Tunnel diente als Verbindung zwischen Schützengraben und angelegter Höhle im Felsen. Und er wurde zum „Todestunnel“. Nach dem Granateneinschlag füllte sich dieser mit Rauch und Gas. Für die deutschen Soldaten eine tödliche Falle, aus der kaum einer lebend entkam.

Der bewaldete Höhenzug wirkt friedlich, birgt aber ein grausames Schicksal. © Geo-Radar GmbH
Die Lüftungslöcher waren ebenso wie der Eingang zugeschüttet. Die Hitze stieg, der Sauerstoffgehalt sank. In Todesangst sollen sich etliche Soldaten selbst erschossen haben. So ist es in überlieferten Schriftstücken zu lesen. Die Todeszahl variiert je nach Quelle zwischen 200 und 300. Der Volksbund spricht von rund 230.
Ort des Tunnels geriet in Vergessenheit
Und so grotesk es klingt: Der Tunnel geriet in den Jahrzehnten nach Kriegsende in Vergessenheit. Die erbarmungslosen Kämpfe hatte die Landschaft umgeformt. Das Wissen um den Ort des Eingangs ging verloren. Bis 2018.
Zu jenem Zeitpunkt erfuhr der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge von illegalen Grabungen auf dem Areal. Und so nahm die Sache Fahrt auf. Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt. Mitarbeiter des Volksbundes durchforsteten Archive und prüften Unterlagen. Und im Juni 2020 wurde dann auch die „Geo-Radar GmbH“ aus Heek hinzugezogen.
Dazu muss man wissen, dass das Team von Winfried Leusbrock schon oft mit dem Volksbund zusammengearbeitet hat. Seit Anfang 2021 gibt es sogar einen so genannten Rahmenvertrag. Doch die Arbeit an der ehemaligen Westfront war und ist für das Team um Winfried Leusbrock eine ganz besondere Erfahrung: „Da liegt noch Munition ohne Ende rum. Das ist schon nicht ungefährlich.“
Auftrag unterlag strenger Geheimhaltung
Im Juli 2020 unter strengster Geheimhaltung reiste Winfried Leusbrock mit drei Mitarbeitern nach Frankreich, um vor Ort das Gelände mittels Georadar zu sondieren. Jene Technik, die das Unternehmen Stück für Stück verfeinert hat. Dabei werden elektromagnetische Impulse im Radarfrequenzbereich in den Boden gesendet. An Objekten werden diese Impulse reflektiert.

Auch Schaufeln der deutschen Soldaten fand das Geo-Radar-Team bei seinen Arbeiten vor Ort. © Geo-Radar GmbH
Die Stärke und Art der Reflexion lassen dann gute Rückschlüsse auf den Untergrund zu. Die so erstellte 3D-Bodenauswertung wird über ein Drohnenbild der Fläche gelegt. So ist eine exakte Kartierung möglich. 25 Prozent der Arbeit erfolgt im Feld, die Detailauswertung im Büro.
Doch zunächst war Frust angesagt. Die Sondierung im Juli brachte nicht den erhofften, eindeutigen Erfolg. „Georadar ist in der Tiefe begrenzt“, erklärt Winfried Leusbrock. Also kehrte das Team unter Begleitung des Volksbundes am 15. Dezember 2020 mit noch feinerer Technik zurück. Dieses Mal kam Geoelektrik zum Einsatz.
„Grabräuber“ wollen in den Tunnel
Kabelrollen, Spannungsmessgeräte, Sonden, Elektroden und natürlich eine Drohne wurden eingesetzt. Und der stundenlange Einsatz im Gelände lohnte sich. Nach einer mehrtägigen Auswertung im heimischen Heek konnte das Georadar-Team fundierte Ergebnisse präsentieren. „Der Volksbund war sehr erfreut“, blickt Leusbrock zurück. Sowohl Tunnel als auch der dazugehörige Eingang scheinen gefunden zu sein.
Sehr zum Ärger des Volksbundes machten sich an jenem Ort noch am Weihnachtsfest 2020 „Grabräuber“ zu schaffen, wie Winfried Leusbrock berichtet. Denen sei es aber nicht gelungen, in das Innere des Tunnels vorzudringen. Fortan werde das Gelände mit Kameras und vom Militär bewacht. Solange, bis das Georadar-Team zurückkehren wird.

Die Tunnel verbanden die Höhlen im Felsen mit den Schützengräben, sodass die deutschen Soldaten vom Beschuss geschützt die Positionen wechseln konnten. Doch der so genannte „Winterbergtunnel“ wurde zur tödlichen Falle. © Geo-Radar GmbH
Denn der Tunnel soll fachmännisch geöffnet werden. Wegen Munition- und Sprengstoffresten kein ungefährliches Unterfangen. Schon bei den Arbeiten 2020 fand das Georadar-Team davon jede Menge. Und doch ist es ein Unterfangen, dass das Team mit viel Eifer angeht. „Wir haben die wissenschaftliche Leitung inne“, so der Firmeninhaber und Geschäftsführer. Das sei große Ehre und Verantwortung zugleich.
Erfolgt die Öffnung Ende Mai?
Wann genau die Öffnung erfolgt, hängt auch mit dem Verlauf der Corona-Pandemie zusammen. Ganz grob peilen Leusbrock und sein Team Ende Mai an. Und ganz gleich, wann genau es so weit ist, für Winfried Leusbrock wird es ein ganz besonderer Moment sein. „Ich werde wohl der erste Mensch nach über 100 Jahren sein, der diesen Tunnel wieder betritt.“

Ein Bild aus dem Juli 2020: Das grüne Leichentuch verbirgt das grausame Schicksal hunderter (deutscher) Soldaten. © Geo-Radar GmbH
Wenig Licht, viel Schutt und jede Menge Ungewissheit wird das Team erwarten. Unter Atemschutz und mit Schutzausrüstung soll der Tunnel erkundet werden. Auch die Deutsche Bundeswehr wird dann vor Ort sein. Und wie sind die Erwartungen jetzt im Vorfeld?
Mumifizierte Leichen vermutet
„Ehrlich gesagt, habe ich keine. Wir lassen uns überraschen. Aber natürlich könnte es grausam werden“, so Winfried Leusbrock. Dass mit dem „grausam“ beruht vor allem auf der Annahme, dass die Leichen nicht verwest, sondern unter Luftabschluss vermutlich mumifiziert sein dürften.
Ein Anblick, den man erst einmal aushalten muss. „Wir sind bereit, das Geheimnis endgültig so lüften“, schiebt Leusbrock den Gedanken aber schnell beiseite. Wie es nach der Tunnel-Inspektion weitergeht, ist noch offen. Viele Szenarien sind denkbar, etwa ein Museum vor Ort. So oder so unterliegt das aber derzeit noch strenger Geheimhaltung.
Liebt als gebürtiger Münsterländer die Menschen und Geschichten vor Ort. Gerne auch mit einem Blick hinter die Kulissen. Arbeitsmotto: Für eine spannende Story ist kein Weg zu weit.
