Heeker Georadar-Unternehmen findet mutmaßlich etliche Kinder-Massengräber aus der NS-Zeit

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Heeker Georadar-Unternehmen findet mutmaßlich etliche Kinder-Massengräber aus der NS-Zeit

rnEuthanasie in Idstein

In Idstein haben die Nazis hunderte Kinder grausam ermordet. Ein Heeker Unternehmen hilft bei der Aufklärung der Frage, wo die Leichen verscharrt wurden. Das Ausmaß des Grauens ist groß.

Heek

, 15.11.2019, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Morphium-Spritzen, Überdosen an Schlafmitteln und Nahrungsentzug. Mitten in Idstein – 50 Kilometer nörwestlich von Frankfurt – haben die Nazis zwischen 1941 und 1945 Verbrechen verübt, die im Ausmaß ihrer Grausamkeit jegliche Vorstellungskraft sprengen. Die Opfer dieser Gräueltaten: Kinder. Ein Heeker Unternehmen hilft, die Überreste der getöteten Kinder zu finden.

Im 1927 als Krankenhaus errichteten Gebäude mit dem Namen „Kalmenhof“ ermordeten die Nazis während ihrer Schreckensherrschaft ab 1941 in der so genannten „Kinderfachabteilung“ behinderte oder psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche. 700 Menschen sollen in dieser Horror-Sektion innerhalb von vier Jahren qualvoll getötet worden sein.

Nazis verfolgten das Ziel der „Rassenhygiene“

Dieses Euthanasie-Programm der Nazis verfolgte das Ziel der „Rassenhygiene“. Aus Sicht der Nazis musste „unlebenswertes“ Leben ausgelöscht werden. Die toten Kinder wurden auf dem Gelände des Krankenhauses verscharrt.

Im Bereich des vermuteten Massengrabes wurde 1987 eine mit Bundesgeldern finanzierte Gedenkstätte errichtet. Aber: Zu diesem Zeitpunkt war das räumliche Ausmaß der Leichenbeseitigung noch nicht offiziell bekannt.

Eine örtliche Bürgerinitiative möchte das gesamte Areal samt „Kalmenhof“ perspektivisch in eine Gedenkstätte umwandeln.

Eine örtliche Bürgerinitiative möchte das gesamte Areal samt „Kalmenhof“ perspektivisch in eine Gedenkstätte umwandeln. © Leusbrock

Obwohl durch Totengräber bereits in den 70er- und 80er-Jahren Zweifel angemeldet wurden. Mit Gründung der Vitos GmbH wurde der „Kalmenhof“ auf Vitos Rheingau, eine Krankenhausgesellschaft, übertragen. Das historisch extrem belasteten Gebäude ist noch heute im Besitz von Vitos. Ein geplanter Verkauf scheiterte. Nicht aber jener der umliegenden Flächen. Diese wurden veräußert. Und das ist das Problem.

Ein Heeker Unternehmen bringt die Wahrheit ans Licht

Denn als im Juni dieses Jahres die „Geo-Radar GmbH“ aus Heek um Firmeninhaber und Geschäftsführer Winfried Leusbrock mit Wissenschaftlern (Geophysik und Geowissenschaft) im Auftrag des Volksbundes mittels Georadar die verkauften Flächen um die Gedenkstätte untersuchte, kam mutmaßlich eine grausame Wahrheit ans Licht.

„Die Ergebnisse haben uns selbst vollkommen überrascht“, berichtet Winfried Leusbrock hörbar ergriffen. Drei Grundstücke im Umkreis von 100 Metern um die Gedenkstätte hat das dreiköpfige Team bisher untersucht. Dabei entdeckten sie vermutlich zahlreiche weitere Massengräber. Nicht nur für die Grundstückseigentümer ein Albtraum-Szenario.

Blick vom Rondell auf die lang gezogene Gedenkstätte (40 mal 6 Meter) am westlichen Hang des Taubenberges in der Nähe des „Kalmenhofs“. Auf dieser Fläche sollen zahlreiche ermordete Kinder von den Nazis verscharrt worden sein. Doch langsam wird klar: Das Ausmaß ist viel größer, als bisher bekannt war.

Blick vom Rondell auf die lang gezogene Gedenkstätte (40 mal 6 Meter) am westlichen Hang des Taubenberges in der Nähe des „Kalmenhofs“. Auf dieser Fläche sollen zahlreiche ermordete Kinder von den Nazis verscharrt worden sein. Doch langsam wird klar: Das Ausmaß ist viel größer, als bisher bekannt war. © Leusbrock

Bereits 2018 war Winfried Leusbrock mit seinem Team ehrenamtlich für den Volksbund im Einsatz. Seinerzeit in einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald in Berga/Elster. Auch dort stieß das Team auf bis dahin unbekannte Massengräber. So wie vermutlich jetzt auch in Idstein. Möglich, dass die Zahl der bisher vermuteten 700 ermordeten Kinder nach oben korrigiert werden muss.

Georadar-Untersuchungen liefern Anhaltspunkte

„Unsere Untersuchungen sind ein Anhaltspunkt und nicht die absolute Wahrheit“, sagt Winfried Leusbrock. Konkrete Beweise liefern letztlich nur Probegrabungen an den Stellen, wo jeweils ein Massengrab vermutet wird. „Die Anzeichen sind aber sehr eindeutig.“

2018 untersuchte Wilfried Leusbrock mit seinem Team ein Außenlager des KZ Buchenwald (Foto zeigt den Eingangsbereich des ehemaligen KZ) in Berga/Elster.

2018 untersuchte Wilfried Leusbrock mit seinem Team ein Außenlager des KZ Buchenwald (Foto zeigt den Eingangsbereich des ehemaligen KZ) in Berga/Elster. © DPA

Denn mit der Georadar-Technik, die das Unternehmen Stück für Stück verfeinert hat, werden elektromagnetische Impulse im Radarfrequenzbereich in den Boden gesendet. An Objekten werden diese Impulse reflektiert. Die Stärke und Art der Reflexion lassen dann gute Rückschlüsse auf den Untergrund zu. Es ist aber nicht so, als seien zweifelsfrei Knochen zu erkennen.

Georadar-Equipment kostete etwa 200.000 Euro

Die so erstellte 3D-Bodenauswertung wird über ein Drohnebild der Fläche gelegt. So ist eine exakte Kartierung möglich. 25 Prozent der Arbeit erfolgt im Feld, die Detailauswertung im Büro. „Wir haben mit der Zeit das gesamte Equipment selbst zusammengebaut“, so der Geschäftsführer. Auf etwa 200.000 Euro beziffert er die Kosten dafür.

Kosten, die sich mit Blick auf den Erkenntnisgewinn auszahlen. „In Idstein haben wir viele Anomalien und Strukturen gefunden, die so nicht zusammen passen.“ Alleine im Messfeld vier (im Garten eines Privatgründstückes) stieß das Team auf Auffälligkeiten im Boden. „Es ist davon auszugehen, dass alleine hier fünf weitere Massengräber sind.“

Das Bild zeigt jene Flächen, die mittels Georadar untersucht wurden. Das Feld mit der Nummer eins ist die Gedenkstätte. Das Feld mit der Nummer fünf führt in Richtung des „Kalmenhofs“. Im Messfeld vier, Garten eines Privatgrundstückes, stieß das Team auf vermutlich zahlreiche weitere Massengräber.

Das Bild zeigt jene Flächen, die mittels Georadar untersucht wurden. Das Feld mit der Nummer eins ist die Gedenkstätte. Das Feld mit der Nummer fünf führt in Richtung des „Kalmenhofs“. Im Messfeld vier, Garten eines Privatgrundstückes, stieß das Team auf vermutlich zahlreiche weitere Massengräber. © Screenshot Ergebnisbericht

Und so setzt sich Stück für Stück ein grausames Puzzle der Nazi-Machenschaften im „Kalmenhof“ zusammen. Zeitnahe Probegrabungen sollen nun belegen, dass die Messergebnisse der Realität entsprechen. „Dann werden wir auch wieder vor Ort sein“, so Winfried Leusbrock. Geplant sei das für Mai 2020.

Die Arbeiten waren für das Team emotional belastend

Vermutlich wurden die ermordeten Kinder mit einem Klappsarg, der wiederverwendbar war, zu den Gruben gebracht. Dort wurde die Klappe geöffnet und der Leichnam entsorgt. „Unfassbar grausam, was hier passiert ist“, sagt Winfried Leusbrock.

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Die Arbeiten gingen dem Team nahe. „Uns hat der Volksbund einen Psychologen zur Seite gestellt.“ Erst vor Ort werde einem dann bewusst, dass man über die Überreste ermordeter Kinder laufe, die vermutlich in einer Tiefe von etwa 1,50 Metern verscharrt worden sind. „Mehr als zwei solcher Aufträge sind Jahr auch emotional nicht stemmbar“, stellt Leusbrock klar.

Auch das ZDF befragte Winfried Leusbrock zu den Ergebnissen der Georadar-Arbeiten.

Auch das ZDF befragte Winfried Leusbrock zu den Ergebnissen der Georadar-Arbeiten. © Privat

Er ist, so betont er, dennoch froh, dass sein Team an der Aufklärung der Gräueltaten mitwirken dürfe. Und auch Vitos Rheingau ist daran gelegen, die historischen Ereignisse lückenlos aufzuarbeiten. Servet Dag, Geschäftsführer, sagte dazu dem ZDF: „Wir wollen die Geschehnisse im Kalmenhof vollständig aufarbeiten.“

Das gesamte Ausmaß der Nazi-Möderei ist noch nicht klar
„Wir wollen die Geschehnisse im Kalmenhof vollständig aufarbeiten.“
Servet Dag, Geschäftsführer Vitos Rheingau

Übrigens: Für die Grundstückseigentümer, auf deren Flächen Massengräber vermutet werden, stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. „Die waren natürlich schockiert“, berichtet Winfried Leusbrock. Die Stimmung vor Ort sei sehr bedrückt gewesen.

Denkbar wäre, so Leusbrock, dass der Volksbund eine Umbettung der Leichenüberreste auf die Fläche der Gedenkstätte vornehme. Ohnehin plant eine Bürgerinitiative, das gesamte Areal in einen Gedenkort umzuwandeln. Davon ab wird das Ganze auch ein bürokratischer Akt, denn viele rechtliche Fragen sind derzeit noch offen.

Doch zunächst gilt es ohnehin, das exakte Ausmaß der grausamen Nazi-Morderei im „Klamenhof“ vollständig aufzuklären.