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Wie Auguste Victoria und der Schacht 8 Lippramsdorf verändert haben
Firmen und Gastronomie
36 Jahre ist es her, dass Schacht 8 nach Lippramsdorf gekommen ist. Wie hat sich der Bergbau eigentlich auf die Betriebe im Dorf ausgewirkt? Wir haben mit drei Lippramsdorfern gesprochen.
Als mit dem Schacht 8 der Auguste Victoria (AV) 1982 der Bergbau in Haltern-Lippramsdorf Einzug hielt, hat sich das auch auf das Dorf ausgewirkt. Ortsansässige Firmen, die mit dem Bergbau zusammenarbeiteten, Gastronomien, die die hungrigen Kumpel verköstigten. Josef Büning, Werner Mertmann und Regina Arentz. Drei Menschen, drei Geschichten. Und der Bergbau, der die drei doch irgendwie miteinander verbindet.
Josef Büning hat jahrelang für den Bergbau Schreinerarbeiten erledigt. Und tut es bis heute noch. „Früher gab es in der Zechensiedlung in Marl eigene Leute für Scheinerarbeiten. Aber die Jungs hielten sich zu lange in der Siedlung auf“, erinnert sich Büning und lacht. Den Bergwerkchefs arbeiteten die eigenen Leute einfach zu langsam. Deshalb habe ein Sachbearbeiter der Auguste Victoria, der in Lippramsdorf wohnte, Bünings Vater Antonius 1976/77 als externen Dienstleister mit Arbeiten in der Marler Siedlung betreut. Um Türen und Fenster nachzugucken, Dielenböden zu verlegen und neue Zimmertüren einzubauen.
Für den Marler Schacht 3/7 hat Bünings Unternehmen Regale gebaut und Schreibtische für die Steigerstuben. Die Arbeiten nahmen immer mehr zu, sodass die Firma ein neues Auto anschaffte. „Ein Geselle von uns war jeden Tag in der Siedlung“, erinnert sich Josef Büning. „Wir haben vor Ort immer neue Aufträge bekommen“, so Büning.
„Es war ein sicheres Einkommen“
Bis etwa 2005 der große Einbruch gekommen sei und weniger Aufträge reinkamen. „Die Zechen machten immer mehr zu. Von den Handwerkern wurde ein Zentrum gegründet. Handwerklich begabte Bergleute haben kleinere Reparaturarbeiten gemacht“, so Josef Büning.
„Es war ein sicheres Einkommen. Ein Altgeselle war gut bezahlt, der da bis zum Schluss gearbeitet hat“, sagt Büning. Aber der Bergbau habe eben auch noch eine andere Seite: die der Schäden. Und von denen gebe es auch in Lippramsdorf viele. Immer, wenn in einem der drei Abbaufelder gearbeitet worden sei, sei die Erde abgesackt. „Wochenweise mehrere Zentimeter war gar nichts“, sagt Büning. Häuser, Fenster und Türen, die Schieflage haben und gerichtet werden müssen. Für solche Arbeiten hat Büning einen Rahmenvertrag mit der RAG Aktiengesellschaft. „Die RAG bestellt mich dann zu Kunde XY, um Fenster und Türen zu richten.“ Er könne sich nicht beschweren, er habe am Bergbau verdient. Aber auf der anderen Seite gebe es da eben auch den Ärger mit den Schäden.

Josef Büning hat jahrelang Schreinerarbeiten für den Bergbau erledigt. © Eva-Maria Spiller
„Es ist schon traurig“, sagt Werner Mertmann, wenn er an das Ende des Bergbaus und die Schließung der Schachtanlagen denkt. „Es war eine ehrliche Art und Weise zwischen den Firmen und den Bergleuten. Das hängt auch mit dem Schlag zusammen. Untertage sind sie aufeinander angewiesen. Da muss man miteinander auskommen.“
Im Schatten des Förderturms liegt das alte Haus Ostendorf, in dem das Bauunternehmen der Familie seit 1983 sitzt. Damals hatte die Auguste Victoria das ehemalige Rittergut von einem Landwirt aufgekauft, weil der Schacht 8 Ländereien brauchte.
Erste Arbeiten führten in die Bergbausiedlung nach Hüls
1973 sei der Kontakt zur Auguste Victoria entstanden. Die ersten Aufträge habe das Unternehmen für Reparaturarbeiten in die Bergbausiedlung nach Hüls geführt, erinnert sich Mertmann. Zuwege und Plattenbelag machen, Putzrisse ausbessern, Schäden am Haus korrigieren. Ein Jahr später kamen die ersten Aufträge im industriellen Bereich. „Dadurch ist die Verbindung zum Bergbau stetig gewachsen“, sagt Mertmann.
Das Bauunternehmen hat das Ausbildungszentrum auf Schacht 1/2 gebaut. Ebenso Grubenwehrgebäude, Lagerhallen und Schachthallen. Hinzu kommt das sogenannte Flotationsgebäude auf Schacht 3/7. Für die Wartungsarbeiten von den Loks untertage wurden die Böden der Werkstätten mit Beton ausgegossen oder der Bau eines Wasserauffangbeckens untertage. „All‘ diese Aufträge waren für das Unternehmen, aber auch für die Facharbeiter interessant, weil es häufig andere Aufgaben und Herausforderungen gab“, sagt Werner Mertmann. „Der Bergbau war ein großer Auftraggeber für uns. Das war eine kontinuierliche Arbeit.“
Um rund 20 Prozent sei das Unternehmen damals gewachsen, zu Hochzeiten des Bergbaus, erinnert sich Mertmann. Damals waren etwa 15 Prozent des Betriebes kontinuierlich für Bergbau-Aufträge im Einsatz. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Bergbau habe sich auch das Firmenprofil geändert. Etwa dadurch, dass das Bauunternehmen für Betonarbeiten untertage spezielle Anforderungen beachten musste. Außerdem wurden übertage Gerätschaften, die von den Sohlen heraufbefördert wurden, von dem Unternehmen entladen und zur Reparatur vorbereitet. „Ich war teilweise mehr auf der Zeche als im eigenen Betrieb. Das ergab sich aus den Aufgaben heraus.“
Die letzte Verbindung zum Bergbau
Als der Schacht 8 dann 2015 schloss, das sei schon ein Einschnitt gewesen, sagt Mertmann. „Wenn die Anlage auf einmal außer Betrieb ist und die Belegschaft von 600 bis 800 Leuten abgebaut ist, das war schon deprimierend, als da nur noch 30 bis 40 Leute waren. Man sieht, wie Dinge bis gestern voll in Betrieb waren. Und auf einmal steht alles still. Wie ein Haus ohne Leben. Das ist schon ein komisches Gefühl.“ Schon allein von den menschlichen Berührungspunkten her, sagt Mertmann. Ein paar Aufträge bleiben allerdings noch. So wie Josef Büning hat auch das Unternehmen von Werner Mertmann noch einen Rahmenvertrag mit der RAG. Drei bis fünf Leute aus Mertmanns Betrieb sind heute noch in dem Bereich tätig, die zum Beispiel Setzungsschäden infolge des Bergbaus beheben. Die letzte Verbindung zum Bergbau.

Ralf und Werner Mertmann vom Bauunternehmen Mertmann. © Spiller
Ein Bier, ein Korn. Das typische Herrengedeck. Was anderes stand im Landgasthaus Zur Freiheit von Regina Arentz selten auf dem Bierdeckel eines Bergmanns. „Ich könnte stundenlang erzählen“, sagt Regina Arentz, während sie sich in die Erinnerungen der Jahre zurückversetzt, in der vom Kumpel bis zur Chefetage des Bergbaus regelmäßig jeder durch die Tür der Dorstener Straße 456 kam.
Regina Arentz‘ Eltern hatten die Gaststätte 1976 gekauft. Ein Jahr später gingen die ersten Gerichte über die Theke. „Damals war ich noch in der Lehre“, sagt Arentz. Damals, als sie noch keine 18 Jahre alt war.
Wir hatten schon täglich mit dem Bergbau zu tun“. Und wenn es mal voll wurde, dann hat die Tochter noch ein paar Stunden länger gearbeitet. Sie seien eben gute Malocher, sagt Arentz und lacht. Schon morgens um 8 Uhr lieferte die Familie den Arbeitern am Schacht 8 ihre Brötchen, danach ging es mit der nächsten Bestellung weiter zu Schacht 3/7. Oder aber, es wurden mittags 30 Portionen Gulaschsuppe rüber aufs Zechengelände gebracht. „Meistens wurde dann abends noch ein Feierabendbier hier getrunken“, erinnert sich Arentz. Und an der Theke noch schnell eine Frikadelle gegessen, bevor es nach Hause ging. Ein typisches Bergmannsgericht? Das gab es nicht, sagt die Wirtin. „Je mehr Fleisch, desto besser.“
„60 Bier, 60 Korn. Da brauchte keiner fragen“
Krustenbraten und Haxen, das seien die Dauerrenner gewesen. Und bei privaten Veranstaltungen habe die Mutter dann auch schon mal ihren Kronenbraten serviert, erinnert sich Regina Arentz – Koteletts, die mit den Knochen nach oben eine große Portion Sauerkraut umzingeln.
„Bei Versammlungen gab es 60 Bier und 60 Korn. Da brauchte keiner Fragen, das war Gesetz“, sagt Arentz und lacht. Während hingegen bei der Chefetage schon eher der Jubiläumsaquavit und das Wasser auf dem Tisch standen.
Das waren schon heiße Abende. Das ging auch schon mal bis 3 oder 4 Uhr morgens“, erinnert sich Arentz. Auch samstags, wenn die Gaststätte eigentlich geschlossen war, da habe nach einer Grubenfahrt auch mal eine Gruppe Bergleute an die Jalousien der Gaststätte geklopft. „Dann hat mein Vater die Theke aufgemacht“, sagt Arentz. Natürlich habe es auch mal den ein oder anderen nicht so angenehmen Gast gegeben. Aber man wusste mit denen umzugehen, sagt die Wirtin.
Nach Ende des Bergbaus, da sei schon das ein oder andere Essen weggefallen. „Aber man hat keinen extremen Einschnitt gemerkt“, sagt die Wirtin. Noch heute beliefert die Gaststätte Veranstaltungen der IGBCE. Schulungen, Sommerfeste. „Letztes Wochenende haben wir noch dorthin geliefert. Die, die früher auf der Zeche waren, sind heute in der IGBCE“, sagt Arentz.
„Mädchen, waren das nicht schöne Zeiten?“
Doch so ganz scheint der Bergbau noch nicht verschwunden. „Mädchen, waren das nicht schöne Zeiten?“. Als Regina Arentz vor fünf Jahren um den Stausee spaziert, begegnet ihr ein ehemaliger Fahrer der Chefetage, der extra aus Bochum nach Haltern gefahren war, um spazieren zu gehen. Und der habe sie sofort erkannt. Tränen in den Augen.
Und was bleibt von dem allen heute? Die Ehrlichkeit, der Zusammenhalt, sagt Regina Arentz. „Die Zechengemeinschaft, das ist eine große Familie“, sagt die Lippramsdorfer Wirtin. Das sei mit nichts vergleichbar. „Die gehen heute noch zur Zeche und wissen genau, wer krank ist.“ Und auch, wer gestorben ist. „Für mich war das einmalig. Wenn ich überlege, dass sich ein kleiner Arbeiter bis in die Chefetage hochgearbeitet hat.“
Gebürtige Münsterländerin, seit April 2018 Redakteurin bei den Ruhr Nachrichten, von 2016 bis 2018 Volontärin bei Lensing Media. Studierte Sprachwissenschaften, Politik und Journalistik an der TU Dortmund und Entwicklungspolitik an der Philipps-Universität Marburg. Zuletzt arbeitete sie beim Online-Magazin Digital Development Debates.
