
© Nora Varga
Sturmschäden in Haltern: Wald wird Jahrzehnte zum Heilen brauchen (mit Video)
Orkantief Zeynep
Das Sturmtief Zeynep hatte in Teilen der Welt verehrende Folgen, besonders für die Natur. Auch Halterns Wälder mussten dem Sturm trotzen, doch der Sturm ist nicht das größte Problem.
Martin Frank steht in Haltern im Wald. Genauer gesagt steht er in einem kleinen Waldstück zwischen Lavesum und Sythen östlich der A43. Es ist ein frühlingshafter Märztag, die Sonne scheint, der Himmel ist blau und ein paar Vögel zwitschern. Eigentlich sehr idyllisch, geradezu einladend für einen Spaziergang – wären da nicht die 20 umgestürzten Bäume, die aus dem Waldstück ein kleines Schlachtfeld der Natur machen.
Martin Frank ist aber auch kein Spaziergänger, sondern Förster für das Regionalforstamt Ruhrgebiet. Er begutachtet die Schäden, die das Sturmtief Zeynep am 18. und 19. Februar in Haltern angerichtet hat. Auf der kleinen Fläche in Lavesum scheint die Zerstörung im ersten Moment immens. Die umgestürzten Bäume, die hilflos entwurzelt auf dem Boden liegen, etliche herabgestürzte Äste und abgeknickte Stämme – doch der Förster beruhigt: „Wir sind eigentlich aus unserer Sicht glimpflich davongekommen. Wir hatten zwar mehrere stürmische Tage, aber immer wieder mit vielen Wind-Pausen dazwischen.“

Einer der im Sturm entwurzelten Bäume, der Wurzelteller wie das Wurzelwerk sich nennt, wurde komplett aus dem Boden gerissen. © Nora Varga
Am Ende seien nur einzelne Bäume oder kleinere Gruppen umgefallen. Der große Flächenschaden, den es beispielsweise beim Sturm Frederike 2018 gab, ist ausgeblieben. Einen wirklichen Grund dafür gibt es nicht. Martin Frank: „Wald-technisch hatten wir in Haltern eigentlich Glück gehabt.“
Immer häufiger, immer stärker
Einzelne Stürme seien gar nicht die größte Gefahr, schließlich gehört der Wind zum Wald dazu und bis zu einem gewissen Grad sind alle Bäume an ihn angepasst. Die Schwierigkeit ist der Abstand zwischen den schweren Stürmen, erklärt Frank.
„Wir merken ja alle, dass diese Sturm-Ereignisse immer häufiger auftreten, regelmäßig imJanuar und Februar.“ Das sei früher nicht so gewesen und wird für die Natur zunehmend zur Herausforderung: „Das Problem für die Forstwirtschaft ist, dass diese Stürme immer wieder neue Lücken in den Wald reißen und man gar nicht zur Ruhe kommt, um die entstandenen Schäden in Ruhe wieder aufzuforsten.“
Ist ein Wald erst mal angegriffen, kann der Sturm also immer wieder Schäden anrichten. Das war auch das Schicksal des Waldstücks zwischen Lavesum und Sythen, erzählt Martin Frank: „Wir sind hier in einem Wald, der das Pech hatte, dass der schützende Nachbar Wald durch verschiedene Borkenkäfer-Arten abgetötet worden ist. Dadurch ist dann der ganze Wald aufgerissen worden.“ Bei den nächsten Stürmen wird diese Fläche also wieder besonders gefährdet sein.

Auf der linken Seite wurde das Waldstück vor zwei Jahren vom Borkenkäfer heimgesucht, die rechte Seite wurde im Sturm Zeynep schwer beschädigt. © Nora Varga
Für die jetzt umgefallenen Bäume geht es ab in die Holzverwertung. Was der Besitzer mit der frei gewordenen Waldfläche macht, kann er selbst entscheiden. Förster Frank hätte aber schon eine Idee: „Wir empfehlen, mindestens vier Baumarten zu pflanzen, um auf mehrere Pferde zu setzen.“ So könne man die Vorteile verschiedener Baumarten kombinieren.
Aber der Wald hat nicht nur mit Wind und Borkenkäfern zu kämpfen, auch die heißen Sommer sind eine Qual. Für Wälder in ganz Haltern sind die Bedingungen in den vergangenen Jahren schwerer geworden: „Die Fichten haben in den letzten drei Jahren am meisten unter der Trockenheit gelitten. In der Folge haben dann Schädlinge wie Buchdrucker oder Kupferstecher diese Bäume massiv befallen und zum Absterben gebracht haben.“ Die Laubbäume haben das wenige Wasser zwar besser vertragen, aber auch ihnen macht das Wetter zu schaffen.
Der Wald ist langsam
Jetzt könnte man natürlich andere Bäume pflanzen, die Hitze besser vertragen, aber so leicht ist das nicht, denn Frostwirtschaft ist ein Spiel auf lange Sicht. Ein Baum wächst einfach langsam. Martin Frank zeigt auf eine etwa 20 Zentimeter hohe Fichte. Das Bäumchen ist etwa zwei Jahre alt, schätzt er. Es ist noch so klein, dass man mit einem unbedachten Schritt das Wachstum der vergangenen zwei Jahre zertrampeln könnte. Der Förster erzählt, dass die Waldbesitzer heute oft vor Flächen stehen, die ihre Großväter ausgesät haben.

Diese kleine Fichte ist erst zwei Jahre alt. In der Forstwirtschaft rechnet man eher in Jahrzehnten als in Jahren, erzählt Förster Martin Frank. Es brauche einfach seine Zeit, bis ein Wald gewachsen ist. © Nora Varga
Die Bäume, die heute in Haltern den Wald bilden, sind etliche Jahrzehnte alt, zum Teil sind die Wälder inhärent gezeichnet von den Folgen des zweiten Weltkriegs. Außerdem waren die Prioritäten damals andere, erläutert Martin Frank: „Es gab einen großen Bedarf an Holz nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Man habe deswegen vor allem auf Bäume gesetzt, die schnell wachsen. Auch die Saat war knapp, man hat genommen, was da war. Die Folgen stehen im Jahr 2022 immer noch in den Wäldern in Haltern.
Verhalten nach dem Sturm
Förster Martin Frank appelliert nach dem Sturm vor allem an die Vernunft der Menschen, wenn sie sich in Haltern im Wald bewegen. Niemals dürfe man unter schief stehenden Bäumen hergehen oder sollte sich lockeren Ästen oder abgeknickten Stämmen nähern. Die Gefahr, dass Teile des Baumes oder sogar ein ganzer Baum umfallen, sei auch Wochen nach dem Sturm nicht gebannt. Große Flächen mit vielen Schäden empfiehlt er einfach zu meiden, bis sie vom Waldbesitzer aufgeräumt und kontrolliert wurden.Heute legen Martin Frank und seine Kollegen den Fokus darauf, den Wald möglichst gesund, nachhaltig und widerstandsfähig zu bepflanzen. Aber die Bäume, die der Förster aussät, werden erst in 20 oder 40 Jahren wieder wie ein richtiger Wald aussehen. Frank probiert in seinen Wäldern auch mal neue Dinge aus. Mit einigen Waldbesitzern schaut er zum Beispiel einfach „was Mutter Natur sich selber ausdenkt“. Man lässt die Fläche sich selbst entwickeln. Er merkt aber auch an, dass der Besitzer damit Entscheidungsgewalt aus der Hand gibt.
Exotische Neuzugänge
Neben Mutter Natur kann aber auch Martin Frank einen Wald gestalten und das tut er immer öfter mit exotischeren Bäumen. „Man könnte auch mal ausprobieren, ein paar Walnuss-Bäume zu setzen oder Baum-Hasel.“ Für den Sommer 2022 wünscht er sich ein Wetter, das die meisten Halterner wohl grässlich finden – schön nass soll es werden und zwar immer wieder, damit der Wald sich wieder bis in die tiefsten Schichten mit Wasser auffüllen kann.
Trotzdem hat natürlich nicht nur das Wetter oder die Bepflanzung Einfluss darauf, wie gesund der Wald wird. Auch die Politik ist ein Spieler im Ringen um die Wälder. Martin Frank wünscht sich angesichts der langen Zeiträume, in denen Bäume heranwachsen „eine gewisse Kontinuität in der in der Waldbewirtschaftung.“
Vor allem das Thema Förderprogramm frustriert ihn immer wieder: „Es nützt nichts, wenn die Politik den Waldbesitzern sagt, dass es in den nächsten zwei Jahre viel Geld gibt. Manchmal schaffen die das überhaupt nicht in den nächsten zwei Jahren, weil es vielleicht nicht genug Arbeitskräfte gibt oder die Pflanzen gar nicht da sind.“ Der Förster fordert Programme die auf zehn oder vielleicht sogar 20 Jahre ausgelegt sind.

Die Fläche sieht trostlos aus, weil der Wald gefällt wurde. Doch der Grund war durchaus dringend: Der Borkenkäfer hatte sich breit gemacht. © Nora Varga
Neben der Politik können aber auch die Halterner etwas für ihren Wald tun – die Ruhe bewahren. Dass Bäume gefällt werden, gehört zum Wald dazu, meint Förster Frank. „Die Bürger müssen auch verstehen, dass jemand, der eine Fläche bepflanzt, auch Geld braucht. Ohne Geld ist im Wald auch nichts los.“ Wenn ein Wald ausgedünnt wird oder Flächen nach Schädlingsbefall kahl geschlagen wird, hilft das Fällen dem Wald und schadet ihm nicht, da können die Menschen laut Frank gelassen bleiben.
Jahrgang 2000. Ist freiwillig nach Castrop-Rauxel gezogen und verteidigt ihre Wahlheimat gegen jeden, der Witze über den Stadtnamen macht. Überzeugte Europäerin mit einem Faible für Barockmusik, Politik und spannende Geschichten.
