
Julia Spyrydonova, Mazyna Stepanova und Lidiia Kinalevska (v.l.) sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen und leben jetzt in Haltern. Arbeit zu haben, ist für sie wichtig, um die Sorgen zu verdrängen. © Schrief
Neustart nach der Flucht: Ukrainerinnen haben Arbeit in Haltern gefunden
Neustart nach der Flucht
Mazyna Stepanova floh aus Charkiw, als der Krieg in der Ukraine begann. In Haltern ist sie mit ihrer Tochter sicher. Sie hat sogar Arbeit gefunden: Die 39-Jährige kocht im Rossini.
Mazyna Stepanova, Julia Spyrydonova und Lidiia Kinalevska kennen sich erst, seitdem sie in Haltern wohnen. Die drei Frauen kommen aus der Ukraine, als der Krieg ausbrach, sind sie vor den Bomben nach Deutschland geflohen. Im Josefshaus, dem Pfarrheim der katholischen St. Sixtus-Gemeinde, erzählen sie von ihrer Flucht und dem Ankommen in einem Land, dessen Sprache sie noch lernen müssen.
Zainidinova Misgona (36), die schon seit sechs Jahren mit ihrem Mann und ihren Kindern in Haltern lebt, übersetzt. Die junge Frau ist immer freitags im Josefshaus, hier sind ab 13 Uhr Menschen aus der Ukraine und allen anderen Nationalitäten zum Kochen und/oder einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Zainidinova kümmert sich um den Einkauf.
Lidiia Kinalevska (64) steht regelmäßig in der Küche und hilft mit. „Ich denke viel an Zuhause, aber zurück möchte ich nicht mehr“, sagt die Rentnerin. Sie hat das Glück, dass ein Sohn mit Frau und Kind ebenfalls in Haltern wohnt. Ihr zweiter Sohn lebt in Prag, er ruft fast jeden Tag an. Lidiia hat viel zurückgelassen, sie konnte nur mit dem Nötigsten fliehen. Ihre Schwester war anfangs auch in Haltern, ist aber in die Ukraine zurückgegangen. „Es ist schwierig, Kontakt zu ihr halten“, bedauert die 64-Jährige. Die Situation in der Stadt nahe Kiew hat sich sehr verschlechtert.
„Wir möchten zurück, aber wann kann das sein?“
Lidiia fühlt sich extrem wohl in Haltern. Die Stadt sei schön, sauber und leise, findet sie. Sie hat eine kleine Wohnung für sich gefunden. Zwei Zimmer nur für sie allein - das empfindet sie als Luxus. Die 64-Jährige hat in ihrem Leben viel gearbeitet, sie hat ein Diplom in Massage-Therapie, war in einem Supermarkt und in einer Bäckerei tätig. Heute kocht sie im Rahmen eines Minijobs täglich für einen Halterner Senior.

Mazyna Stepanova, Julia Spyrydonova und Lidiia Kinalevska freuen sich, im Josefshaus Menschen aus der Heimat, aus Haltern oder aus anderen Ländern zu treffen. Zainidinova Misgona (2.v.r.) übersetzte die Gespräch, während Fomina Hanna (r.) fließend Englisch spricht. Veronika Bücker (v.) hatte zusammen mit David Schütz die Idee zum Mittagstisch im Josefshaus. © Schrief
Auch Juliia Spyrydonova (34) hat einen Minijob gefunden. Sie ist Reinigungskraft bei den Stadtwerken. Die Juristin ist mit ihrem Mann und ihrem Sohn (7), mit den Eltern und Geschwistern aus der Heimatstadt Charkiw geflüchtet. „Uns geht es gut“, sagt Juliia, „aber wir möchten zurück. Nur wann das sein kann, das wissen wir nicht.“ Dort, wo die Familie gelebt hat, ist alles zerstört.
Von der Millionenstadt in die Kleinstadt Haltern - das war für alle eine große Umstellung. Es ist schwer, sich einzugewöhnen, gesteht Juliia. „Doch wir sind froh, hier zu sein. Alles ist gut und wir erfahren viel Zuwendung“, sagt sie.
Für Mazyna Stepanova stand bisher fest: Auch sie will zurück in die Ukraine in ihr altes Leben. Doch ihre 16-jährige Tochter möchte bleiben, hier zur Schule gehen, in Deutschland studieren.
Mazyna Stepanova kocht täglich im Rossini
Mit dem Bus und dann mit dem Zug sind die beiden geflohen. Sie fanden Unterschlupf bei einer Halterner Familie. „Meine Eltern und mein Bruder sind in Charkiw zurückgeblieben. In der Nacht schlafen sie aus Angst vor den Bomben im Keller, tagsüber schleichen sie sich zum Kochen in die Wohnung. „Wir telefonieren, aber es ist so schwer, getrennt zu sein. Ich hoffe, dass der Krieg bald zu Ende ist.“
Die 38-jährige Köchin arbeitet jetzt täglich sechs Stunden im Rossini am Markt und lernt in einem Online-Kurs Deutsch. Sie hofft, dass sie auf der Arbeit durch die vielen Kontakte schneller in die neue Sprache findet. Sie fühlt sich wohl im Team und hofft auf Beständigkeit. Friedvoll und ohne Probleme soll das Leben weitergehen.
Fomina Hanna (38) gehört zu dem Kreis, der freitags in der Küche des Josefshauses Borschtsch oder andere internationale Gerichte kocht. Das Leben, sagt sie, fängt für uns wieder von vorne an. Manchmal sei sie traurig. Aber die Mutter einer vierjährigen Tochter ist Meisterin im Verdrängen.
Sorgen um die zurückgebliebene Familie in der Ukraine
Letztlich werde sie alles tun, damit ihr Kind eine gute Zukunft habe. Am liebsten würde sie zurück in die Heimat. „Ich bin mit meiner Mutter, Schwester und Schwägerin gekommen. Wir haben noch Familie in der Ukraine und machen uns Sorgen um sie. Mykolajiw in der südlichen Ukraine werde täglich angegriffen.
Fomina Hanna ist unter anderem Lehrerin und Tanzpädagogin. Während ihre Tochter die Kita besucht, lernt sie, die fließend Englisch spricht, Deutsch. Haltern wächst ihr ans Herz. Ein schöner Ort mit großartigen, liebenswürdigen Menschen - unglaublich! Hier erlebe sie eine Atmosphäre, von der sie immer geträumt habe. „Wir brauchen Hilfe und hier bekommen wir sie. Dafür bin ich sehr dankbar.“
354 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine
Aktuell leben in Haltern 370 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, 354 davon sind als Flüchtlinge seit Beginn des Ukraine-Krieges angekommen. Bürgermeister Andreas Stegemann hatte Betriebe aufgerufen, Arbeitsplätze für die Erwerbsfähigen bereit zu stellen. Bislang blieb es in der Regel bei geringfügiger Beschäftigung, wie das Jobcenter in Recklinghausen mitteilt. Das Jobcenter hilft, Vorstellungen und Fähigkeiten von Arbeitgebern und arbeitsuchenden Flüchtlingen in Einklang zu bringen. Ganz wichtige Voraussetzung ist der Erwerb von ausreichenden Sprachkenntnissen. Haltern am See ist für mich Heimat. Hier lebe ich gern und hier arbeite ich gern: Als Redakteurin interessieren mich die Menschen mit ihren spannenden Lebensgeschichten sowie ebenso das gesellschaftliche und politische Geschehen, das nicht nur um Haltern kreist, sondern vielfach auch weltwärts gerichtet ist.
