Träume, Tränen, Trauer: Erinnerungen an die ersten DDR-Flüchtlinge in Haltern

30 Jahre Mauerfall

Gerd Beckhaus war Zivi beim Caritasverband, als 1989 die ersten DDR-Flüchtlinge nach Haltern kamen. Der damals 21-Jährige hat vielen geholfen und viele weinen sehen.

Haltern

, 16.11.2019, 12:00 Uhr / Lesedauer: 2 min
Gerd Beckhaus leistete gerade seinen 17-monatigen Zivildienst beim Caritasverband ab, als geflüchtete DDR-Bürger 1989 nach Haltern kamen. „Es war eine aufregende Zeit“, sagt der heute 51-Jährige aus Hamm-Bossendorf.

Gerd Beckhaus leistete gerade seinen 17-monatigen Zivildienst beim Caritasverband ab, als geflüchtete DDR-Bürger 1989 nach Haltern kamen. „Es war eine aufregende Zeit“, sagt der heute 51-Jährige aus Hamm-Bossendorf. © Elisabeth Schrief

„Dieser 9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind, die Tore in der Mauer stehen weit offen“ - nach diesen Worten in den Tagesthemen setzte ein Massenansturm auf die Grenzübergänge ein. Die Mauer, die Ost- und Westdeutschland getrennt hatte, fiel. Zu diesem Zeitpunkt waren schon die ersten Menschen über die offene ungarische Grenze nach Haltern geflüchtet.

Die ersten zehn Flüchtlinge kamen im August und September, weitere 50 ab Mitte November an. Sie fanden eine vorübergehende Bleibe unter anderem in der Jugendherberge am Stausee, gut drei Kilometer außerhalb der Stadt. Aufgabe von Gerd Beckhaus als Zivildienstleistender beim Caritasverband war, die Gäste mit dem Bulli in die Stadt oder zum Bahnhof und wieder zurückzufahren.

Traurige Jugendliche

Der damals 21-Jährige chauffierte im September, als mit dem Mauerfall noch nicht zu rechnen war, auch zwei 17-jährige Freunde, die ohne ihre Familien über Ungarn gekommen waren, zum Bahnhof. Sie wollten zu ihren neuen Arbeitsplätzen in einer Gelsenkirchener Schlosserei. Gerd Beckhaus erinnert sich: „Die Beiden waren glücklich, aber auch sehr traurig. Denn sie dachten, sie würden ihre Eltern nie wiedersehen.“

In Haltern kümmerten sich der Caritasverband, das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt und Mitarbeiter des städtischen Sozialamtes um die Betreuung der Geflüchteten. „Im Gedächtnis ist mir auch eine junge Frau mit einem kleinen Kind geblieben, die einfach nicht wusste, wohin. Sie war verzweifelt, trotz aller Freude darüber, endlich im Westen zu sein“, erzählt Gerd Beckhaus. Er denkt ebenso oft an ein junges Paar, dem der Caritasverband geholfen hat, eine Wohnung in der Innenstadt zu finden. „Wir haben für sie Möbel geschleppt, dafür wollten sie uns 10 DM Trinkgeld geben. Natürlich haben wir das abgelehnt. Sie hatten ja selbst kein Geld.“

Angespannter Wohnungsmarkt

Die Stadt appellierte zu jener Zeit an die Bevölkerung, freien Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wegen des angespannten Wohnungsmarktes hatte Sozialdezernent Josef Schmergal aber auch darauf hingewiesen, dass Übersiedler bei der Wohnungsvergabe nicht bevorzugt behandelt werden dürften. Die Wohnungssuche war damals wie heute für alle Bürger schwierig.

Als Übergangsheime für Über- und Aussiedler richtete die Stadt die alte Schule Sythen, das alte Schleusengebäude in Flaesheim, das alte Bürogebäude der Stadtwerke sowie das frühere Steueramt in der Goldstraße her. Für Notfälle wurden Betten aus Bundeswehrbeständen im Josefshaus vorgehalten. 1989 mussten etwa 150 Aus- und Übersiedler untergebracht werden.

Die Tränen eines alten Mannes

Zivildienstleistender Gerd Beckhaus begleitete geflüchtete DDR-Bürger, aber auch Caritasmitarbeiter des ambulanten Pflegediensts und er verteilte „Essen auf Räder“. Besonders berührend fand er die Reaktion eines alten Mannes. Der pflegebedürftige Halterner habe nach den vielen überwältigenden Fernsehbildern aus Berlin weinend im Bett gelegen: „Bald muss ich gehen und jetzt ist die Mauer endlich gefallen.“

Verlassen und leer: Der Platz am Reichstag - aus Ostberlin betrachtet - vor der Wende.

Verlassen und leer: Der Platz am Reichstag - aus Ostberlin betrachtet - vor der Wende. © Gerd Beckhaus

Gerd Beckhaus (51) hat selbst erlebt, wie beklemmend die Zeiten in der DDR vor der Wende waren. Mit Freunden fuhr er im Februar 1989 nach Berlin und auch in den Ostteil der Stadt. Einschüchternd und grau empfand er die Atmosphäre. Am Kontrollpunkt Helmstedt-Marienborn, der Schleuse zwischen den beiden Gesellschaftssystemen, wurden die Freunde angehalten und schikanös gefilzt.

Die Sehnsucht nach Freiheit

„Und dann kam der tolle Herbst, eine magische Zeit!“, Gerd Beckhaus, der heute für den Pflegedienst PuG arbeitet, wird den Mauerfall und die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Und sagt: „Wie wunderbar ist es doch, dass wir wiedervereinigt sind und das nun schon seit 30 Jahren.“

Schlagworte: