
© Jürgen Wolter
Mit Video: „Wir haben hier den Mercedes unter den Deichen gebaut“
Hochwasserschutz
Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt: Hochwasserschutz ist alternativlos, auch an der Lippe. Am HaLiMa-Deich schafft der Lippeverband zurzeit neue Schutz- und Lebensräume.
Zum ersten Mal lief jetzt beim Lippehochwasser im Februar Wasser in die geplante Aue zwischen den Siedlungen Mersch und Kusenhorst, nahe des Hofes Belustedde. Damit tritt der Deichbau an der Lippe in eine neue Phase ein: Der Lippeverband ist zurzeit dabei, den Altdeich der Lippe abzubauen, das neue HaLiMa-Deichbauwerk steht.
„Wir haben hier den Mercedes unter den Deichen gebaut“, sagt Gerhard Formanowitz, der Projektleiter des gigantischen Deichbauprojekts, das 2016 begann und am Ende voraussichtlich einen dreistelligen Millionenbetrag kosten wird. Finanziert wird es vom Land NRW (ein Drittel) und der RAG (zwei Drittel).
Dass im Bereich nördlich der Lippe zwei große Auenlandschaften entstehen werden, ist nur der eine Aspekt des Deichbaus.

Neue Auenlandschaften an der Lippe sorgen für mehr Hochwasserschutz und Bio-Diversität. © Jürgen Wolter
Erste Planungen bereits 2002
Den Planungen zugrunde liegt zunächst der Hochwasserschutz. Bereits 2002, berichtet Gerhard Fomanowitz, sei mit den ersten Vorplanungen begonnen worden, in die er von Anfang an involviert war. Wenn das Projekt in etwa zwei Jahren abgeschlossen sein wird, wird auch der Projektleiter in den Ruhestand gehen. Der HaLiMa(Haltern, Lippramsdorf, Marl)-Deich ist so etwas wie „sein Baby“.
Dass extreme Wetterlagen, die zum Teil durch den Klimawandel bedingt sind, sich häufen werden, steht außer Frage. Welche katastrophalen Folgen ein Hochwasser haben kann, hat die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr drastisch deutlich gemacht.

Erstmals lief im Februar die neue Flussaue am Hof Belustedde (hinten) voll Wasser. © Lippeverband
Ähnliche Situationen können an der Lippe nicht entstehen, schon allein wegen der anderen Landschaftsstruktur, aber auch hier könnten extreme Hochwasser verheerende Folgen haben. „Hochwassersschutz ist hier in der Region alternativlos“ schreibt Anne-Kathrin Lappe, Pressesprecherin des Lippeverbandes in der Verbandszeitschrift „Wasserstandpunkt“. „Hinter den Lippedeichen erstrecken sich weite Poldergebiete, teilweise bis zu 14 Meter abgesackt durch die Folgen des Steinkohlebergbaus.“
Aktuellster Stand der Deichbautechnik
Die ländlichen Regionen, die auch vielfältig von Radfahrern und Spaziergängern zur Naherholung genutzt werden, müssen ständig entwässert werden, sonst liefen die Bereiche allmählich voll Wasser. Bis zur Dorstener Straße könne das Wasser im Falle eines Hochwassers laufen, so Gerhard Formanowitz. Nach Süden hin begrenzt der Kanal den Weg des Wassers. Dessen Deich ist noch mal zwei bis drei Meter höher als der Lippedeich.
Er betont aber auch: „Auch mit den alten Lippedeichen war der Hochwasserschutz jederzeit gewährleistet.“ Mit dem Deichneubau sei man aber jetzt auf dem aktuellsten Stand der Deichbautechnik und habe den Deich auch für die Zukunft sicher gemacht. Beim neuen HaLiMa-Deich, der nicht höher als der alte aber breiter angelegt ist und weiter ins Hinterland verlegt wurde, handelt es sich um einen Drei-Zonen-Deich. Verschiedene Schichten verhindern, dass der Deich aufweicht. „Man hat beim Oderhochwasser gesehen, wie ein Deich aufweichen kann, wenn er nur aus Sand besteht“, so Gerhard Formanowitz. Beim HaLiMa-Deich werde einsickerndes Wasser abgeleitet. Ein Aufweichen des Deichs sei nicht möglich.
Kostenplanung wird wohl überschritten
5,6 Kilometer neuer Deich südlich und nördlich der Lippe sind entstanden. Die ursprünglich veranschlagten Kosten von 95 Millionen Euro würden wohl überschritten, vor allem wegen der Verteuerung von Baumaterialien, so Gerhard Fomanowitz.
Inzwischen haben die vom Lippeverband beauftragten Firmen damit begonnen, den Altdeich abzutragen, zunächst im Bereich westlich des Oelder Wegs im Baugebiet Nord II. Hier sind beim Februar-Hochwasser erstmals Bereiche voll Wasser gelaufen, die zu der hier entstehenden Auenlandschaft gehören. Ein kleiner Wald steht erstmals im Wasser.

Im Bereich im Baugebiet Nord II, westlich des Oelder Weges, entsteht eine neue Aue, wenn der Altdeich (rechts) abgebaut ist. © Lippeverband
Parallel zum Hochwasserschutz spielte von Beginn an auch der Naturschutz, die Entwicklung der Lippe zu einem lebendigen Fluss, eine Rolle bei der Deichbauplanung. Mit seinem Programm „Lebendige Lippe“ ist der Lippeverband in vielen Zonen des Flusses unterwegs, um neue Naturflächen zu schaffen und Pflanzen und Tierarten neue Lebensräume zu bieten.
Neue Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten
„Dabei greifen wir nicht ein, wir setzen keine Tiere aus, sondern bieten Räume, die von alleine nach und nach besiedelt werden“, so Gerhard Formanowitz.
So haben sich im Bereich kleinerer Gewässer bereits zahlreiche Libellen angesiedelt. Und ein weiterer Gast fand sich im Deichgebiet ein, sogar schon während der Bauphase.
„Wir hatten hier mehrere Nester von Kiebitzen, in einigen gab es sogar trotz der Baufahrzeuge, die noch unterwegs waren, erste Bruterfolge“, berichtet der Deichbau-Projektleiter. Auch für Amphibien werden sich in den beiden Auen westlich und östlich des Oelder Weges neue Lebensräume entwickeln. Insgesamt rund 45 ha Auenfläche werden nördlich der Lippe nach und nach entstehen. Flächen, die bei Hochwasser überfluten und bei Niedrigwasser wieder trockenfallen.

Im Bereich Kusenhorst sind die Baufirmen zurzeit mit dem Rückbau des Altdeiches der Lippe beschäftigt. © Jürgen Wolter
Der Lippeverband beginnt jetzt außerdem damit, die Bereiche wieder für Spaziergänger und Radfahrer zugänglich zu machen, die zum Teil jahrelang Deichsperrungen in Kauf nehmen mussten. Dann kann sich die Lippe zwischen Marl, Haltern und Lippramsdorf zu einem ganz neuen Erlebnis- und Lebensraum für Menschen und Tiere entwickeln.
Studium der Germanistik, Publizistik und Philosophie an der Ruhr Universität Bochum. Freie Autorentätigkeit für Buchverlage. Freier Journalist im nördlichen Ruhrgebiet für mehrere Zeitungshäuser. „Menschen und ihre Geschichten faszinieren mich nach wie vor. Sie aufzuschreiben und öffentlich zugänglich zu machen, ist und bleibt meine Leidenschaft.“
