Der Jägerhof, das Rockefäller, der Lindenhof, Alt Haltern und andere: Zahlreiche Kneipen und gastronomische Betriebe sind von der Bildfläche verschwunden. Sterben die Kneipen in Haltern?

Haltern

, 04.08.2019, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Jede neunte Kneipe im Kreis Recklinghausen hat seit 2007 geschlossen. Insgesamt haben 105 Betriebe dichtgemacht. Das stellt die Gewerkschaft, Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) fest. Auch Haltern liegt im Trend: Im Dezember 2009 hat es in der Seestadt 102 Gaststätten, Kneipen, Eisdielen und andere gastronomische Betriebe gegeben. Im Juni 2018 waren es noch 90.

„Die Statistik unterscheidet dabei aber nicht nach der Art der Betriebe, sie erfasst alle unterschiedlichen Branchen, von der Kneipe bis zum Imbiss oder der Eisdiele“, sagt dazu Stadtsprecher Georg Bockey.

Mit den Kneipen und Restaurants verbinden sich viele Erinnerungen. Josef Löbbing, Leiter der Stadtagentur, erinnert sich: „1976 habe ich in Alt-Haltern die erste Pizza meines Lebens gegessen.“ Und Kollegin Babsi Deckers kennt noch die Aushänge der Mannschaftsaufstellung des TuS Haltern in der Sportlerklause (heute die Schänke), dem damaligen Vereinslokal des TuS Haltern. „Da ging man hin, um die Aufstellung zu studieren und anschließend ein Bierchen zu trinken.“

Gastronomie ist ein Stück Lebensqualität

Die NGG Ruhrgebiet beruft sich auf Zahlen des Statistischen Landesamtes und warnt vor einem weiteren Kneipensterben. „Vom Fußballabend in der Bar bis zum Grünkohlessen mit dem Sportverein - Die Gastronomie steht für ein Stück Lebensqualität“, sagt NGG-Gewerkschaftssekretär Adnan Kandemir. Es stehe nicht nur ein Stück Alltagskultur auf dem Spiel, es seien auch zahlreiche Arbeitsplätze in der Region in Gefahr.

„Die Zahl der Gastronomiebetriebe hat in der Tat auch in Haltern abgenommen, aber das hat sehr unterschiedliche Ursachen“, stellt Marianne Teltrop, die Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes in Haltern, fest. „In vielen Fällen ist es die Nachfolgeproblematik, die dazu führt, dass ein Betrieb nicht weitergeführt wird. Wenn sich kein Nachfolger findet, dann müssen Betriebe geschlossen werden.“ Sie nennt das Beispiel des Lindenhofs in Sythen, den das Inhaber-Ehepaar Booken zum Ende letzten Jahres aufgegeben hat.

„Auch alte Kneipen sind einige verschwunden“, sagt Marianne Teltrop. In diesem Segment habe sich zum Teil auch das Rauchverbot negativ ausgewirkt. „Selbst bei uns konnte man zum Schluss noch im Thekenbereich rauchen, ich bin aber andererseits froh, dass das heute nicht mehr der Fall ist“, so die Inhaberin des Hauses Teltrop. Die Zahl der Gäste sei insgesamt nicht rückläufig, „Die Gästefrequenz ist nach wie vor gut.“

Viele Innenstadtkneipen sind verschwunden

Allein in der Halterner Innenstadt haben in den letzten Jahren zahlreiche klassische Kneipen dichtgemacht. Vom Rockefäller über das Haus Prudon bis zur Gastätte Alt-Haltern, um nur einige Beispiele zu nennen. Das Adressbuch der Stadt Haltern listet 1985 noch 70 Kneipen und Gaststätten auf, darunter Namen, die längst verschwunden sind wie das Waldhotel Tari, das Hotel St. Georg, das Restaurant Kronenhof oder der Gasthof Tüsshaus.

Postkartenansicht des alten Gasthauses Tüshaus

Postkartenansicht des alten Gasthauses Tüshaus © Foto: Jürgen Wolter

„In andere Bereichen gibt es aber auch Zuwächse“, so Marianne Teltrop. „Ich denke da an die Bauernläden im Halterner Umfeld, die ja zum Teil auch Gastronomie unterschiedlicher Art betreiben. Da sind auch einige Betriebe dazu gekommen in den letzten Jahren. Außerdem haben wir jetzt Shisha-Bars. Es verändert sich auch immer einiges in der Gastronomie.“

Die Nachfolgeproblematik sieht auch NGG Gewerkschaftssekretär Kandemir. Er plädiert außerdem dafür, dass sich Gastronomiebetriebe ausreichend absichern und, wenn möglich, neue Konzepte entwickeln, um auch junge Leute als Gäste zu gewinnen. Solche Konzepte wurden in Haltern unter anderem mit der Kajüte und der Kombüse oder dem Kolpingtreff von Andreas Kleimann und Christian Zehren umgesetzt.

„Wie man Gaststätten neu beleben kann, das ist von Fall zu Fall unterschiedlich“, sagt Andreas Kleimann. „Bei der Kajüte haben wir einige gastronomische Standards geändert, haben zum Beispiel auf Fassbier umgestellt, das gab es vorher nicht. Außerdem helfen Veranstaltungen, die Location im Gespräch zu halten, auch wenn sich nicht gleich jeder Auftritt rentiert. Im Kolpingtreff haben wir einerseits die Tradition erhalten, aber durch einige neue Angebote, wie zum Beispiel einen Spagetti-Tag, auch neue Kunden gewonnen, ohne die alten zu vergraulen. Die reine Bier-Kneipe hat es heute am schwersten: Wer geht heute noch zum Frühschoppen?“

Mal wieder ein Bier in der Kneipe trinken

Die Gewerkschaft NGG sieht eine weitere Ursache für den Kneipenschwund in den Arbeitsbedingungen in der Gastronomie. „Nachts und am Wochenende hinterm Tresen zu stehen, das wollen viele nicht mehr. Deshalb hat die Branche schon heute mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen“, sagt Gewerkschaftssekretär Kandemir. Und die Gewerkschaft hat noch einen Tipp, den auch die Verbraucher beherzigen könnten: „Statt das Feierabendbier zuhause zu trinken, kann man einfach mal wieder in die Kneipe gehen. Das macht Spaß und ist geselliger.“

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