
© (Archiv) Ulrich Backmann
In fast 20 Kneipen in Sythen konnte man früher ein Bier heben
Gastronomie
Die Zahl der Gaststätten in Sythen ist überschaubar geworden. Früher mussten die Einwohner nicht weit gehen, um die nächste Kneipe in ihrem Dorf anzusteuern.
Wer vor einigen Jahrzehnten nach getaner Arbeit gemütlich ein Bier heben wollte, hatte es in Sythen nicht schwer, eine Quelle zu finden. Fast jeder Bewohner fand „um die Ecke“ eine Kneipe, in der man bei einem kühlen Hellen auch den neuesten Dorftratsch austauschte.
An der Theke wurden sogar Geschäfte gemacht, ein Handschlag reichte, um sich einig zu werden. Dafür musste man sich regelmäßig in seiner Stammkneipe sehen lassen, was den häufigen Besuch legitimierte.
Die Bierkneipe ist ausgestorben
Heute kann sich kaum jemand mehr vorstellen, dass es um 1980 noch 17 Lokale in Sythen gegeben hat. Insgesamt 19 Standorte sind noch nachweisbar. Die Anzahl der Betriebe ist mittlerweile auf fünf (Treibsand, Prickingshof, Zum Freibad, Pfeiffer, Lohfs olle Hüsken) geschrumpft, die eher als Speisegaststätten, denn als Bierkneipen geführt werden.

1955 waren Heinz Stiller (vorne) und Sozius Peter Tuschmann ihrer Zeit voraus. Sie stiegen vor dem „Drügen Pütt“ an der Münsterstraße, der Hauptverkehrslinie zwischen Ruhrgebiet und Hamburg, aufs Zweirad. Heute brausen hier an Sommertagen die Motorräder zum gleichnamigen Bikertreff. © (Privat) Heinz Stiller
Wer Familienfeste wie eine Kommunion in einem Sythener Restaurant feiern will, der muss lange vorplanen. Aus diesem Grund wohl schneidet die Sythener Gastronomielandschaft im Ortsteil-Check Sythen eher mittelprächtig ab.
Manch Geschichte rankt sich um die alten Dorfkneipen. Dabei ist beispielsweise „Der Krug zur Linde“, auch Dorfschenke Kock genannt, längst verschwunden und in Vergessenheit geraten. Ihn soll es schon vor 1800 am Hellweg in Höhe des jetzigen Kriegerdenkmals gegeben haben. Laut Überlieferung hat sich im Schatten der dortigen alten Linde Kaiser Napoleon mit Brunnenwasser erfrischt.
Einige Betriebe haben historische Wurzeln
Zu den Betrieben mit historischen Wurzeln, die es heute noch gibt, gehört der Imbiss und Bikertreff „Drügen Pütt“ an der Münsterstraße. Heimatkundler Bernhard Kins berichtet 1955, dass dieser um 1815 als Fuhrwerksausspann gegründet wurde. Die Fuhrleute hätten über den „Drögen“ oder „Drügen Pütt“ geschimpft, so kam der Standort zu seinem Namen.
1919 wurde das Haus von August Alte-Ruthemeyer ersteigert und zu einem beliebten Gasthaus für Fernfahrer gemacht. Damals war die Münsterstraße noch die wichtigste Verbindung zwischen dem Ruhrgebiet und dem Norden.
August Alte-Ruthemeyer bewies Geschäftssinn und betrieb auch eine Tankstelle direkt gegenüber der Gaststätte auf der anderen Fahrbahnseite. Einmal soll hier Emil Underberg eingekehrt sein und seinen Kräuterschnaps bestellt haben. Der Kellner im „Drügen Pütt“ aber empfahl ihm einen besseren Magenbitter, worüber heftiger Streit entstanden sein soll.
Heute betreiben Martina und Peter Tuschmann den Standort als Imbiss und Bikertreff in dritter Generation.
„Sythener Flora“ ist nach ihrem schönen Garten benannt
Aus dem Jahr 1851 stammt das heutige Hotel und Restaurant Pfeiffer, das wegen seiner damaligen schönen Gartenwirtschaft zum Namen „Sythener Flora“ kam. Ihr erster Besitzer, „Pfeiffers Mathies“, war von Beruf Pfeifendrechsler und zog noch mit Kramwaren in einer Kiepe über die Dörfer.
Wenn Gäste kamen, gab es in der ersten Schankwirtschaft Pfeiffer etwas zu trinken. Ansonsten ging man seiner Beschäftigung nach. An gleicher Stelle betrieb Mathias Pfeiffer einen Krämerladen. Von der Gastronomie allein konnte er nicht leben.
Ziegenbock sollte die Gäste vergraulen
1880 übernahm Sohn Bernhard Pfeiffer den Betrieb und baute ihn zu einer Gast- und Gartenwirtschaft, später mit einem neuen Haus und Fremdenzimmern, aus. „Sommerfrischler“ aus dem Ruhrgebiet aber waren damals nicht von allen Sythenern gern gesehen. Nachbarn banden in der Nähe des Lokals einen Ziegenbock an, um die Gäste durch den Geruch zu vertreiben. Heute führen Monika und Matthias Pfeiffer den Betrieb in der fünften Generation.
1998 wurde die „Alte Post“ an der Dorfstraße in Sythen von Renate und Adolf Brockmann aufgegeben und wich einem Mehrfamilienhaus. Sie existierte seit etwa 1880 und war ursprünglich ein bäuerliches Anwesen im Besitz des Bauern Fohrmann. Erster Wirt war Wilhelm Burrichter, der im Volksmund „Knubbel“ genannt wurde, denn „Ick vernubbele di“ war wohl seine ständige Redensart.
Besonders heftig soll Wilhelm Burrichter „geknubbelt“ haben, als es 1885 während eines Kaisermanövers zu einer Einquartierung in seiner Schankwirtschaft kam. 1890 übernahm Bernhard Feldkamp die Wirtschaft, in der später auch die erste Posthilfsstelle für Sythen eingerichtet wurde.

Die "Alte Post" lag am legendären "Fuselpättken" in Sythen und wurde 1998 aufgegeben. Am Standort steht heute ein größerer Wohnkomplex. © (Archiv) Ulrich Backmann
Die „Alte Post“ lag am „Fuselpättken“, auf das noch heute ein Schild an der Dorfstraße hinweist. Die Sythenerin Beate Mertmann hat in einem Beitrag für das Halterner Jahrbuch 2013 die Funktion des Weges beschrieben: Er soll nach dem Bau der Kirche 1910 entstanden sein, damit „die Mannslüe“ nach dem Gottesdienst so schnell wie möglich zum Frühschoppen eilen konnten. „Selbst der Pfarrer soll geholfen haben, das Fuselpättken auszutreten (...).“
Eine der letzten echten Bierkneipen in Sythen war die Bahnhofsgaststätte „Gleis III“. Ihre Seele war über 30 Jahre lang der Wirt Willi Middendorf (Bahnhofs Willi), der bis 1998 jedes Bier mit einem „Prösterken“ überreichte. Einige Jahre später wurde das Lokal geschlossen.
Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen und hinter jeder Zahl steckt eine ganze Welt. Das macht den Journalismus für mich so spannend. Mein Alltag im Lokalen ist voller Begegnungen und manchmal Überraschungen. Gibt es etwas Schöneres?
