Jürgen Kroker hat "gute Erinnerungen an Haltern"
Bergwerksdirektor im Interview
Bergwerksdirektor Jürgen Kroker ist der erste und letzte Bergmann in der Familie. "Ich bin es mit Leib und Seele", sagt er in einem Interview mit Redakteurin Elisabeth Schrief. Damit verrät er kein Geheimnis. Die Mitarbeiter schätzen gerade das an Jürgen Kroker. Über das mit der Schließung der Zeche Auguste Victoria verbundene Ende der Kohleförderung in Marl und Haltern-Lippramsdorf empfindet er verständlicherweise keine Freude.

Jürgen Kroker, Bergwerksdirektor der Zeche Auguste Victoria, verlässt Marl und wechselt zum Bottroper Bergwerk Prosper Haniel. Die Bronzefigur der Namensgeberin der Zeche geht in den Besitz der Stadt über.Schrief
Die Politik sagt, bis 2050 soll Deutschland ohne Kohle, Gas und Öl als Energieträger auskommen. Konnten Sie sich eine solche Aussage vorstellen, als Sie zum Bergbau gingen?
Als ich mit dem Studium begann, drehte sich alles um die Frage "Wie wird Deutschland unabhängiger vom Erdöl?". Gesprochen wurde in diesem Zusammenhang über einen ausgewogenen Energiemix inklusive Atomkraft. Die Erdölkrise hat damals den Bergbau in den Fokus gerückt. Nach einer Grubenfahrt mit meiner Abiturklasse war ich so begeistert, dass ich statt Maschinenbau unbedingt Bergbau studieren wollte. Meine Entscheidung habe ich nie bereut.
Welche Gefühle weckt das dann heute in Ihnen, wenn eine moderne, leistungsfähige Zeche stillgelegt wird?
Natürlich empfinde ich keine Freude, wenn wir den Deckel auf den Pütt machen müssen. Denn wir sind ein leistungsfähiges Unternehmen mit hoch motivierten Mitarbeitern. Das Bergwerk hat früh angefangen, mit modernen Management-Methoden zu arbeiten. Wir sprechen immer von unserer Bergwerks-Kultur, darauf genau gründen die Erfolge: Wir haben immer die Mitarbeiter in Planungsprozesse und in die Gestaltung der Arbeitsplätze eingebunden. Wertschätzung der Mitarbeiter ist bei uns seit Langem oberstes Gebot. Das haben uns die Mitarbeiter zurückgegeben, indem sie sehr leistungsstark gearbeitet haben. Der Bergbau geht leider zu Ende. Aber das ist politisch gewollt und unser Auftrag ist jetzt, das umzusetzen.
Niemand Ihrer Mitarbeiter fällt ins Bergfreie. Wo liegt für sie die Zukunft?
Wir werden Anfang 2016 noch rund 1000 Mitarbeiter haben. Davon scheiden im nächsten Jahr 500 in den Vorruhestand aus, und 450 verlegen wir zum Bottroper Bergwerk Prosper Haniel, 50 gehen zum Servicebereich Technik und Logistik.
Die Gebäude in Marl benötigen wir noch bis Anfang November. Aber mit dem Personalrückgang ziehen wir ein Gebäude nach dem anderen frei. Zum 1. 1. 2017 übergeben wir die Flächen an Montan Immobilien.
Was geschieht mit dem Lippramsdorfer Schachtgelände?
In Lippramsdorf ziehen wir gerade alles frei. Nur den Schacht brauchen wir noch bis August 2016, um das Material aus der Grube zu holen. Im Verwaltungsgebäude schauen gerade Fachleute der Bezirksregierung, ob es als Landesnotunterkunft für Flüchtlinge geeignet ist.
Wo bleibt die Technik von untertage?
Der Markt ist, was gebrauchtes Equipement angeht, zum Erliegen gekommen. Das hängt damit zusammen, dass die Kohlepreise im Keller sind. Die Unternehmen tätigen nur noch Erhaltungsinvestitionen, Neues kaufen sie nicht. Auch China nicht. Das, was wir nun aus den Strecken holen, wird irgendwann im Hochofen landen. Außer dem Material, das wir in Bottrop benötigen.
Wie teuer ist der Rückbau?
Über Zahlen spreche ich nicht gerne. Natürlich kostet der Rückbau Geld, billiger wäre es, alles stehen und liegen zu lassen. In der Rückzugsphase sind die größten Kosten die Arbeitskosten. Sachkosten fallen kaum noch an. Wir bauen ja zurück und nicht neu.
Auf welcher Strecke ist die Nordwanderung des Bergbaus stecken geblieben?
Wir hätten noch viele Entwicklungsflächen gehabt. Aber seit 2008 sind nicht mehr viele Aktivitäten in die Nordwanderung des Bergbaus gesteckt worden. Für einen weiteren Abbau im Norden wären die Aufwendungen enorm. Wir müssten einen Teufensprung machen, um die Fläche zu entwickeln. Da wäre es günstiger gewesen, ein neues Bergwerk zu bauen. Wir hätten noch 50 Millionen Tonnen Kohle gehabt. Bei einer jährlichen Förderung von 2,5 Millionen Tonnen hätten wir noch 20 Jahre fördern können. Allerdings mit neuer Infrastruktur. 217 Millionen Tonnen hat AV übrigens in all den Jahren in Marl und Haltern gefördert.
Wer hat Ihnen die Kohle abgenommen?
Unser Hauptabnehmer war lange Zeit die Chemie in Ludwigshafen. Dort wurden aus den Kohlenstoffen chemische Produkte gemacht. Wir hatten in Marl ein eigenes Kraftwerk, aber seitdem AV zur RAG gehörte, waren unsere Hauptabnehmer Steinkohlekraftwerke. 600 000 Tonnen Kohle gingen an Kokereien. Das war ein sehr stabiler Markt in den letzten fünf Jahren. Die Kokereien bedienen sich jetzt am Weltmarkt.
Geht der Region mit der Stilllegung der Zeche nicht auch ein wichtiger Ausbilder verloren?
In der Tat. Wir haben noch 61 Auszubildende, die im Frühjahr ihre Prüfung ablegen. In Hochzeiten hatte AV über 300 Auszubildende. Die Schließung der Zeche ist ein schwerer Schlag für den Ausbildungsmarkt in der Region. Bisher ist es immer gut gelungen, die jungen Facharbeiter unterzubringen. Die aufnehmenden Arbeitgeber wissen, sie bekommen gute Kräfte, die auch am Wochenende und im Schichtbetrieb arbeiten, was man aus anderen Ausbildungsbetrieben nicht unbedingt kennt. Nach der Abschluss-Prüfung erhielt jeder junge Facharbeiter einen elfmonatigen Zeitvertrag, um im Beruf laufen zu lernen. Um die jungen Menschen mache ich mir weniger Sorgen. Ich wünschte mir nur, sie wären mobiler und bereit, sich außerhalb der Region zu bewegen. Bergleute aber sind sehr heimatverbunden.
Die Wasserhaushaltung nach Schließung der Zeche steht in der Kritik. Sind die Sorgen berechtigt?
Im Oktober 2016 beginnen wir mit der Verfüllung auf AV 3/7. Die Verfüllung des Schachtes 3 wird lange dauern, vermutlich bis 2017. Das hängt damit zusammen, dass er mit höherer Technik versehen werden muss. Denn unser Wasserhaltungskonzept sieht zunächst vor, dass wir am Bergwerk Lohberg zwischen Dinslaken und Hünxe einen zentralen Wasserhebungsstandort haben. Sollte aber die Wasserwegigkeit versagen, müssen wir den Marler Schacht als Reserve bereithalten. Bei Bedarf werden wir auch die Schächte 7, 8 und 9 für den Einlass von Tauchwasserpumpen wieder aufbohren können. Das Grubenwasser soll kurz gehalten werden. Um das Ziel zu erreichen, fahren wir mit Hosenträger und Gürtel.
Hat Lippramsdorf trotzdem Schäden zu befürchten?
Unser Grubenwasserkonzept ist so gut, dass es meiner Meinung nach nicht zu namhaften Anhebungen des Geländes kommen wird. Und zu den Bergschäden: Im letzten Abbaubetrieb wird es noch Setzungen geben. Wir kalkulieren ein Jahr. Das sind Erfahrungen aus dem Baufeld 10. Dort war nach einem Jahr die Tagesoberfläche zur Ruhe gekommen.
Wie beschreiben Sie das Verhältnis des Bergwerks zu den Halternern?
Mein Eindruck ist, die Politik, aber auch ein Großteil der Bevölkerung stand uns nicht in Gegnerschaft gegenüber. Was immer sehr aufgebaut worden ist, war die Aufregung, wenn Bergschäden vermeintlich nicht ausreichend nach Vorstellungen von Hauseigentümern reguliert wurden. Das Verhältnis zur Politik und zu Verbänden ist aber insgesamt geprägt durch sachliches und konstruktives Miteinander. Ich kann mich nicht beklagen und behalte Haltern in guter Erinnerung. Wir haben immer versucht, ein fairer und offener Ansprechpartner zu sein.
Aber Haltern hat sich nie als Bergbaustadt verstanden. Ist das auch Ihr Eindruck?
Die Sichtweise von Haltern ist so: Man sieht sich mehr dem Münsterland zugehörig. Haltern legt keinen Wert darauf, als Bergbaustadt wahrgenommen zu werden. Obwohl, wenn man hier auf die Karte guckt: Haltern hatte vier aktive Schächte. Wenn man das als Definition nimmt, ist Haltern Bergbaustadt, eben nur kein Förderstandort. Aber auch unsere Geschäftsbeziehungen müssten eine deutliche Nähe verursacht haben. Aber, wenn man die Bürger fragt, dann werden die meisten sagen: Nein, Haltern ist keine Bergbaustadt.
Was werden Sie den Gästen der Feierstunde heute mit auf den Weg geben?
Dass wir erhobenen Hauptes das Bergwerk verlassen, wir sind stolz auf unsere Arbeit. Ohne unser Bergwerk würde es Marl und das Ruhrgebiet nicht geben. Und ohne Ruhrgebiet gäbe es Haltern nicht. Daran müssen auch diejenigen denken, die dem Bergbau nicht so wohlgesonnen gegenüber stehen. Und ich werde mich bei den Mitarbeitern bedanken. Sie waren unser wesentliches Kapital.
Wenn Prosper Haniel zumacht, geht eine ganze Epoche Steinkohlenförderung zu Ende. Werden Sie das noch als aktiver Bergmann erleben?
Nach den Planungen, die mir bekannt sind: Ja!
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