Gut Borkenberge ist Teil eines Mammut-Forschungsprojekts „Die Nazi-Gebäude sind unter uns“

Gut Borkenberge ist Teil eines Mammut-Forschungsprojekts
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Jetzt im Sommer ist es hinter hoch gewachsenen dichten Bäumen kaum zu sehen: Das Gut Borkenberge am Hullerner Stausee führt ein relativ unbeachtetes Dasein. Ein Forschungsprojekt hat es jetzt aus seinem Dornröschenschlaf geweckt.

Das Gut, dessen Gebäudestruktur an Grundzüge der Nazi-Architektur erinnert, wie sie sich auch in Konzentrationslagern fanden, war ein Musterhof des Reichsnährstandes, der Bauernorganisation der Nationalsozialisten. Ziel: landwirtschaftliche Produktionsmethoden zu optimieren, auch im Hinblick auf die Kriegswirtschaft.

Dieses Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse der Nazi-Architektur im ländlichen Raum in Westfalen: Gut Borkenberge wurde 1938 von Wilhelm Tengelmann errichtet.

Der Generaldirektor des Bergwerkunternehmens Hibernia AG aus Herne war auch ein guter Freund Hermann Görings, der selbst mindestens einmal, 1939, auf diesem Gut und einem inzwischen abgerissenen benachbarten Jagdhaus in Haltern zu Gast war.

Torbogen und zwei Gebäude

Der Gutshof besteht aus zwei großen Gebäudeteilen, die durch einen Torbogen miteinander verbunden sind, durch den man auf das Innere des Geländes gelangt.

Im rechten Gebäudeteil befinden sich die Wohnung eines Jägers, der für Gelsenwasser tätig ist, und weitere ehemalige Stallungen, die heute zum Aufarbeiten und Lagern des Wildes dienen.

Das Gut ist jetzt eines der herausragenden Beispiele, mit denen sich ein Forscher der Universität Münster beschäftigt hat. „Nationalsozialistisches Bauerbe und Denkmalpflege am Beispiel Westfalen“ lautet der Titel einer Forschungsarbeit, die Dr. Emanuel Hübner im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojektes erarbeitet hat.

Der Eingang zu Gut Borkenberge weist typische Strukturen der Nazi-Architektur auf.
Der Eingang zu Gut Borkenberge weist typische Strukturen der Nazi-Architektur auf. © Jürgen Wolter (Archiv)

Im Auftrag der Bundesregierung untersuchte das breit angelegte Forschungsprojekt fünf Jahre lang, inwieweit die im “‘Dritten Reich‘ für Planen und Bauen zuständigen Institutionen und Personen in die Verbrechen des nationalsozialistischen Staates eingebunden waren.“

Mit Beiträgen von 28 Forscherinnen und Forschern auf mehr als 1300 Seiten konzentriert sich die Untersuchung nicht allein auf die Jahre 1933 bis 1945, sondern nimmt auch die personellen und ideologischen Verbindungen in den Jahren davor und danach in den Blick. Die Ergebnisse liegen jetzt in einer umfangreichen Dokumentation in vier Bänden vor.

Denkmalpflegerische Sicht

Dr. Emanuel Hübner hat dabei die Gebäude untersucht, die in den Jahren zwischen 1980 und 2020 unter Denkmalschutz gestellt wurden. „Ich habe mich 2018 für das Projekt beworben und die Zusage erhalten“, sagt er. „Zwischenzeitlich bis zum Abschluss musste ich immer wieder Bericht über den Fortschritt der Arbeit erstatten.“

Emblem des Reichnährstandes an Gut Borkenberge.
Gut Borkenberge war ein Musterhof des Reichsnährstandes, der Nazi-Bauernorganisation. © Jürgen Woilter (Archiv)

Emanuel Hübner (45) lebt in der Nähe von Bielefeld. Er studierte in Münster Archäologie, Alte Geschichte und Frühgeschichte und zusätzlich Geschichte und Erdkunde fürs Lehramt. Nach dem Studienabschluss arbeitete er ab 2007 am Institut für Sportwissenschaften / Sportgeschichte an der Uni Münster. Seine Promotion befasste sich mit dem Olympischen Dorf 1936 in Berlin. Zusätzlich studierte er von 2007 bis 2009 Denkmalpflege an der TU Berlin.

Heute arbeitet Dr. Emanuel Hübner als Lehrer am Gymnasium Herford und ist Lehrbeauftragter der Universität Bielefeld. Nach einem Besuch im Halterner Römermuseum mit einer Studentengruppe sah er sich das Gut Borkenberge erstmals selbst aus der Nähe an. Für seinen Aufsatz hatte er auch ein Foto der Halterner Zeitung vom Gut Borkenberge verwendet.

300 Gebäude analysiert

„Ich habe in den Archiven des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) 400 Objekte gefunden, die als Bauwerke aus der Nazizeit gelten“, so Hübner. „300 davon sind in meine Analyse eingeflossen. Die Nazigebäude sind mitten unter uns.“

Das Jagdhaus von Gut Borkenberge wurde 1968 abgerissen.
Das Jagdhaus von Gut Borkenberge wurde 1968 abgerissen. © Archiv Bruder

Das Gut Borkenberge wird darin besonders behandelt.

„Es war tatsächlich das erste Gebäude in Westfalen aus dieser Zeit, das unter Denkmalschutz gestellt wurde, nachdem 1980 in Nordrhein-Westfalen ein neues Denkmalschutzgesetz verabschiedet worden war. Das Verfahren für Gut Borkenberge begann schon vor der Verabschiedung des Gesetzes.“

Kontroverse Debatte

„In dieser Zeit wurde auch politisch kontrovers diskutiert, ob Gebäude aus der Zeit des Nationalsozialismus überhaupt schützenswerte Denkmäler sein können“, so Emanuel Hübner. „Eine Funktion als Mahnmal und als typisches Architekturbeispiel waren die Kriterien, die dabei zugrunde gelegt wurden.“

In einem Gebäudeteil befinden sich eine Wohnung und Stallungen.
In einem Gebäudeteil befinden sich eine Wohnung und Stallungen. © Jürgen Wolter (Archiv)

1960 verkaufte die Hibernia AG die Gebäude an die Gelsenwasser AG, die den Hullerner Stausee als Vorstufe zum Halterner Stausee anlegen wollte.

„Ein Abriss des Hofgebäudes war bis dahin jedoch nicht erfolgt. Gleichwohl schrieb im Januar 1980 ein junger Berufsschullehrer aus Haltern an das Westfälische Amt für Denkmalpflege in Münster einen Brief mit der Bitte um Unterstützung und Erhalt des angeblich vom Abriss bedrohten Gebäudes“, stellt Emanuel Hübner in seiner Arbeit fest.

Eigentümer wehrte sich

Das Gebäude wurde zunächst vorläufig unter Schutz gestellt. Nach zwei Ortsterminen hieß es aber in einem Aktenvermerk des Landschaftsverbandes: „(Der Eigentümer, also Gelsenwasser, Anm. d. Red.) wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Listeneintragung eines Denkmals aus der Nazizeit. Der Hof ist bewohnt und sehr gut gepflegt. Ein Abbruch ist nicht vorgesehen. Sie möchten den Hof erhalten, nur nicht unter Schutz stellen lassen.“

Wilhelm Tengelmann traf auch Hermann Göring auf Gut Borkenberge.
Wilhelm Tengelmann traf auch Hermann Göring auf Gut Borkenberge. © Archiv

Die Unterschutzstellung wurde zunächst für fünf Jahre aufgeschoben. „Auch das ist ein ziemlich einmaliger Vorgang“, sagt Emanuel Hübner.

„Doch erst als der Eigentümer 1993 bei der Stadt Haltern einen Antrag auf Nutzungsänderung stellte und Umbauten des Gebäudes ankündigte, war nach Auffassung des Denkmalamtes eine Entscheidung jetzt dringend gefordert“, schreibt Dr. Hübner.

Geschichtszeugnis hohen Ranges

Der Landschaftsverband schrieb deshalb der Stadt Haltern als Unterer Denkmalbehörde: „Bei dem Hof handelt es sich um ein Geschichtszeugnis hohen Ranges, weil es in Bau- und Kulturideologie, Gesamtanlage und Gestaltung die Zeit seiner Erbauung eindrucksvoll dokumentiert.“

„Kurz darauf, im Juli 1993, wurde Gut Borkenberge vorläufig unter Schutz gestellt. Gegen Ende des Jahres beschloss der in Haltern für Denkmalfragen zuständige Ausschuss für Kultur- und Weiterbildung einstimmig, dem Urteil des Denkmalamtes zu folgen und das Gut in die Denkmalliste der Stadt Haltern einzutragen“, so Emanuel, Hübner weiter.

Durch diesen Torbogen gelangt man in das Innere des Gutes Borkenberge.
Durch diesen Torbogen gelangt man in das Innere des Gutes Borkenberge. © Jürgen Wolter (Archiv)

„Schließlich trug im Januar 1994 die Untere Denkmalbehörde der Stadt Haltern das Gut in die kommunale Denkmalliste ein, was der Eigentümer nun ohne Widerstand akzeptierte“, so Hübner.

Häufiges Sträuben

Der Verlauf des Denkmalschutzverfahrens weise typische Merkmale solcher Verfahren auf, die sich hundertfach wiederholt hätten, weist Emanuel Hübner in seiner Arbeit nach.

Häufig seien es interessierte Bürger, die ein solches Verfahren in Gang setzten und häufig sträubten sich die Eigentümer, diesem zuzustimmen, zum Teil direkt unter Verweis auf die Entstehungszeit.

„Heute finden solche Diskussionen bei Gebäuden aus der Nazizeit kaum noch statt“, sagt Hübner. „Die Epoche ist inzwischen historisiert. Größere Diskussionen werden heute entfacht, wenn es um Unterschutzstellung vom Gebäuden der 50er- und 60er-Jahre Betonarchitektur geht. So verändert sich die Wahrnehmung der Verfahren für den Denkmalschutz.“

Zu dem Forschungsprojekt gibt es bis zum 16. Juli eine Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin unter dem Titel „Macht, Raum Gewalt - Planen und Bauen im Nationalsozialismus“.

Die vierbändige Dokumentation der Forschungsprojekte ist unter dem Titel „Planen und Bauen im Nationalsozialismus - Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen“ für 270 Euro im Buchhandel erhältlich.

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